Hepatotoxizität: Neuer Ansatz identifiziert genau die für die Leber schädlichsten Medikamente

Foto: © burdun/stock.adobe.com

Laut neuen Forschungsergebnissen liefert die derzeitige Methode zur Beurteilung medikamentenbedingter Leberschäden bei einigen Substanzen kein genaues Bild der Toxizität.

Die Klassifizierung der Hepatotoxizität wird bisher durch Zählen einzelner gemeldeter Fälle akuter Leberschäden (ALI) bestimmt. Stattdessen verwendeten die Autoren einer aktuellen Studie reale Gesundheitsdaten, um die ALI-Raten innerhalb einer Bevölkerung zu messen. Dabei stellten sie fest, dass das Risikopotenzial einiger Medikamente für die Leber falsch klassifiziert wird.

Häufigkeit schwerer ALIs: Wertvolles Instrument für das Monitoring

„Aus klinischer Sicht wird die Kenntnis der Rate schwerer ALI nach Beginn der Einnahme eines Medikaments anhand realer Daten dabei helfen, zu bestimmen, welche Patienten während der Behandlung mit leberbezogenen Labortests genauer überwacht werden sollten“, Seniorautor Dr. Vincent Lo Re, außerordentlicher Professor für Medizin und Epidemiologie an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania (USA) erläutert: „Die Häufigkeit schwerer ALIs kann ein wertvolles Instrument darstellen, um die Lebertoxizität eines Medikaments zu bestimmen und festzustellen, wann Patienten überwacht werden sollten, da die Häufigkeitsraten einen realistischeren Blick auf diese Toxizität bieten. Fallberichte spiegeln die beobachteten ALI-Raten nicht genau wider, da sie die Anzahl der Personen, die einem Medikament ausgesetzt waren, nicht berücksichtigen und Fälle von Leberschäden, die durch Medikamente verursacht werden, unterrepräsentiert sind.“

In der zitierten Studie wiesen 17 verschiedene Medikamente Raten auf, die fünf schwere ALI-Ereignisse pro 10.000 Personenjahre überstiegen – ein Maß, das sowohl die Anzahl der Personen in einer Gruppe als auch die Dauer der Beobachtung durch die Studie widerspiegelt (12 Personenjahre könnten eine Person mit Daten über 12 Jahre oder zwei Personen über sechs Jahre bedeuten). Das Team stellte fest, dass elf dieser Medikamente anhand von Fallzahlen, die wahrscheinlich nicht ihr wahres Risiko widerspiegelten, in niedrigere Kategorien der Lebertoxizität fielen, da ihre Häufigkeitsraten höhere Toxizitätsgrade aufwiesen. Eines der Medikamente, das in dieser Gruppe landete, war Metronidazol.

Inzidenzraten sind ein wichtiges Maß für die Untersuchung des Gesundheitszustands einer Bevölkerung, da sie ein vollständigeres Bild liefern als einfaches Zählen. Beispielsweise würde ein Medikament mit 60 Berichten über Leberschäden nach der traditionellen Methode (basierend auf der Rohzahl der gemeldeten Fälle von Leberschäden) als das am stärksten hepatotoxische gelten. Wenn jedoch bei diesem Medikament 60 schwere ALI-Ereignisse beobachtet wurden und es von fünf Millionen Menschen eingenommen wurde, wäre die Inzidenzrate sehr niedrig und würde es wahrscheinlich so darstellen, dass das Medikament nicht gefährlich für die Leber ist. Wenn jedoch 60 schwere ALI-Ereignisse innerhalb einer Population von 1000 Patienten beobachtet würden, würde dies eine höhere, möglicherweise bedeutendere Schädigungsrate widerspiegeln.

Daten zu fast acht Millionen Menschen

Um die Inzidenzraten zu ermitteln, untersuchten Lo Re und sein Team, darunter Hauptautorin Dr. Jessie Torgersen (ebenfalls von der University of Pennsylvania) Daten aus elektronischen Krankenakten von fast acht Millionen Menschen (Quelle: United States Veterans Health Administration; Zeitraum 2000-2021). Keine dieser Personen litt vor der Einnahme eines der 194 untersuchten Medikamente an einer Erkrankung der Leber oder der Gallengänge beziehungsweise der Gallenblase. Jedes dieser Medikamente wurde aufgrund des Verdachtes auf Hepatotoxizität analysiert, da für jedes mehr als vier entsprechende veröffentlichte Berichte im Zusammenhang mit der Einnahme vorlagen.

Gewissermaßen auf der anderen Seite der Lebertoxizitäts-Medaille fanden die Forscher acht Medikamente, die aufgrund der Anzahl der veröffentlichten Fallberichte als am stärksten lebertoxisch eingestuft wurden, aber eigentlich in die Gruppe derjenigen mit der geringsten Hepatotoxizität gehörten – mit Inzidenzraten von weniger als einem schweren ALI-Ereignis pro 10.000 Personenjahre. So lagen beispielsweise die Raten schwerer ALI bei Statinen in der Gruppe, in der weniger als ein Ereignis pro 10.000 Personenjahre auftrat.

„Der systematische Ansatz, den wir entwickelt haben, ermöglicht eine erfolgreiche Messung der Lebertoxizitätsraten nach Beginn einer Medikamenteneinnahme“, erläutert Lo Re. „Angesichts der inhärenten Einschränkungen von Fallberichten war es nicht überraschend, dass die Fallberichtszahlen die beobachteten Raten schwerer akuter Leberschäden nicht genau widerspiegelten.“

Mit diesen Erkenntnissen hoffen die Forscher, dass in elektronischen Krankenakten bald Mechanismen etabliert werden könnten, die Ärztinnen und Ärzte das Signal geben, auf die Leber bezogene Labortests von Patienten genau im Auge zu behalten, die mit der Einnahme von Medikamenten beginnen, für die hohe Raten schwerer ALI beobachtet werden. „Wichtig ist, dass unser Ansatz eine Methode bietet, mit der Aufsichtsbehörden und die Pharmaindustrie Berichte über medikamenteninduzierte ALI in großen Populationen systematisch untersuchen können“, betont Lo Re.