„Herr Lauterbach ist ein Auslaufmodell“1. Oktober 2024 Zuversicht sieht anders aus: Nadim Moharam, Axel Belusa, Maurice Stephan Michel, Stefan Windau, Thomas krönert und Stefan Greß beim Berufspolitischen Forum auf dem DGU-Kongress. Foto: Schmitz Beim gut besuchten berufspolitischen Forum auf dem 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) am 27.09.2024 sollte es laut Titel um „Ökonomisierung der Medizin und Nachhaltigkeit“ gehen. Es wurde eine Abrechnung mit der aktuellen Gesundheitspolitik. „Dieses Land ist dabei, sein Gesundheitswesen abzurüsten“, konstatierte Dr. Thomas Krönert, Geschäftsführer der Thüringen Kliniken „Georgius Agricola“, eines kommunalen Klinikunternehmens mit Standorten in Saalfeld, Rudolstadt und Pößneck, das auch über eine urologische Klinik mit 30 Betten verfügt. Er plädierte dafür, damit aufzuhören, ambulante gegen stationäre Medizin und internistische gegen chirurgische Fächer auszuspielen. „Wir haben alle dieselben existenziellen Probleme.“ Woher die existenziellen Probleme im Klinikbereich kommen, erläuterte der Geschäftsführer wie folgt: Weil die Länder ihrer Investitionsverpflichtung nicht nachkämen, seien die Krankenhäuser gezwungen, Überschüsse aus den Betriebskosten zu erwirtschaften, um investieren zu können. Doch auch die Betriebskosten seien aufgrund zu geringer Landesbasisfallwerte unterfinanziert. „Ungeordnete Marktbereinigung“ Wäre die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) eine Abhilfe? Mitnichten, glaubt Krönert: „Unter dem Mantel der Qualität wird Abbau betrieben.“ Krankenhäuser mit weniger als 300 Betten hätten dann keine Chance mehr, ist er überzeugt. Während sich die privaten Klinikbetreiber „die Sahnehäubchen holen“, sprich: unkomplizierte, lukrative Fälle behandeln, hätten kommunale Anbieter das Nachsehen. Alleiniger Gesellschafter der Thüringen Kliniken ist etwa der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. „Wir müssen dagegen ankämpfen, dass eine ungeordnete Marktbereinigung stattfindet!“, forderte Krönert. Die Fachärzte sieht der Klinik-Chef, der von Haus aus Gefäßchirurg ist, generell benachteiligt. „Wir haben einen EBM, der vor 25 Jahren das letzte Mal angepasst worden ist. Das ist asozial!“ Doch Krönert warnte vor Tricksereien: „Wenn wir Indikationen aus wirtschaftlichen Gründen stellen, dann hören wir auf, Arzt zu sein.“ „Ich rede gar nicht über Nachhaltigkeit, sondern darüber: Wie können wir funktionsfähig werden?“, begann auch Dr. Stefan Windau, Vizepräsident der Sächsischen Ärztekammer, in bewusster Abweichung vom vorgegebenen Thema und ohne Präsentation seine Rede. „Wir fordern alle mehr Geld – jeder zu Recht“, sagte der Internist aus Dresden. Doch das löst seiner Ansicht nach nicht das Problem. „In Deutschland kann jeder das Gesundheitssystem unbeschränkt nutzen“, sagte Windau und forderte von der Politik mehr Mut, die Inanspruchnahme zu strukturieren. „Der direkte Zugang zum Arzt ist gut und richtig“, betonte er. Dies müsse erhalten, aber auch gesteuert werden. Prof. Stefan Greß, Leiter das Fachgebiets Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie im Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Hochschule Fulda, hielt sich schon eher an sein Thema „Ökonomisierung der Medizin und Nachhaltigkeit – Aus Sicht der Ökonomie“. Das Problem, so Greß, sei nicht die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen: „Eine Kostenexplosion gibt es nicht.“ Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pro Kopf liefen dagegen weitgehend mit dem Bruttoinlandsprodukt parallel, wie der Wirtschaftswissenschaftler den Teilnehmern anhand einer Grafik veranschaulichte. „Das Problem aus ökonomischer Sicht ist, dass die Einnahmen nicht nachkommen.“ Die Schere zwischen den beitragspflichtigen Einnahmen der GKV und den Ausgaben geht immer weiter auf. „Nicht alle Einnahmen sind beitragspflichtig“, erinnerte Greß, „Vermögenseinkommen beispielsweise bleibt außen vor, und die Beitragsermessungsgrenze beschränkt die Beiträge nach oben. Insofern bleibt da eine schwere Einkommenslücke, die geschlossen werden muss.“ Dies geschieht zu einem großen Teil über den Bundeszuschuss. „Die Steuerfinanzierung mit klarer Regelbindung bleibt auf der Tagesordnung“, so Greß. „Mehr Geld aus dem Steuertopf“ werde es aber nicht geben. Eine Reform der Beitragsfinanzierung hält der Ökonom für „nicht völlig unwahrscheinlich“. Selbst die Opposition habe sich für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze offen gezeigt. „Leistungseinschränkungen sind zwar für diese Legislaturperiode ausgeschlossen (…), aber was dann in der nächsten Legislaturperiode passiert, weiß niemand“, schloss Greß. Einnahmen oder Ausgaben steuern? Die Diskussionsteilnehmer griffen Greß‘ Anregungen auf: „Unser Problem ist, dass nur die 17,5 Millionen abhängig Beschäftigten das bezahlen müssen“, sagte ein Zuhörer. „Es sind eher die kleineren und mittleren Einkommen, die die Gesundheitsversicherung bezahlen“, pflichtete der Professor ihm bei. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze werde aktuell nicht diskutiert, so Greß – im Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage. „Das ist eine Finanzierungsquelle, die momentan brachliegt.“ Statt die Einnahmeseite zu betrachten, nahm Dr. Michael Stephan-Odenthal, niedergelassener Urologe aus Leverkusen, und 1. Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein im Berufsverband der Deutschen Urologie (BvDU), die Ausgabeseite ins Visier und sprach sich für eine bessere Patientensteuerung aus. Ärztekammer-Vertreter Windau stimmte ihm zu: „Die ungesteuerte Leistungsinanspruchnahme muss geändert werden – aber es fehlt der politische Mut.“ Ein Diskussionsteilnehmer ging noch weiter: „Warum tut man sich so schwer zu sagen: Ein Monat Lebensverlängerung darf in der palliativen Situation x Euro kosten?“ Für Prof. Maurice Stephan Michel, den ehemaligen Generalsekretär und nun 2. Stellvertretenden Präsidenten der DGU ist die Mangelverwaltung „zum Verzweifeln – aber wir dürfen nicht verzweifeln“. Enttäuscht stellte er fest: „Für das Gesundheitswesen, wie es jetzt ist, bin ich nicht Arzt geworden.“ BvDU-Präsident Dr. Axel Belusa brachte es auf den Punkt: „Alle haben schlechte Laune, jeder ist genervt.“ Auch bei ihm macht sich offenbar Resignation breit: „Wenn wir zum Protest aufrufen, macht keiner mit.“ Vielleicht erledigt sich das Problem aber auch von selbst. „Herr Lauterbach ist ein Auslaufmodell“, ist Dr. Jens Westphal, Chefarzt der Klinik für Urologie am Alexianer-Krankenhaus in Krefeld, überzeugt. Der Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen werde die Zukunft sein, über die Krankenhausreform brauche man nicht mehr zu diskutieren „Wir sind mit dem ICE schon durch den Bahnhof, aber Herr Lauterbach guckt sich noch die Rücklichter an”, so Westphal. Windau, der sächsische Landesärztekammer-Vize, hegt in diesem Punkt jedoch Zweifel: „Woher sind Sie so sicher, dass das Gesetz nicht kommt?“ Vermutlich werde im Bundesrat zum Schluss doch zugestimmt werden, die Länder könnten es höchstens verzögern, so der Internist. Am Ende bleibt zu vermuten, dass so mancher Arzt sich offen oder heimlich ein vorzeitiges Ende der Ampel-Regierung wünscht – allein schon, um Lauterbach loszuwerden. Denn mit einer Fortsetzung der Ampel nach der nächsten Bundestagswahl ist nicht zu rechnen. Hatte es am Anfang von Lauterbachs Amtszeit noch geheißen „endlich ein Arzt als Gesundheitsminister“, so haben sich offenbar inzwischen alle Hoffnungen zerschlagen, und die Ärzteschaft scheint den großen Auslauf abzuwarten. (ms)
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