Indikationserweiterungen in der Arzneimittel-Zulassung: Oft ohne Zusatznutzen-Nachweis

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Beate Wieseler, die beim IQWiG das Ressort Arzneimittelbewertung leitet, plädiert in einem Kommentar im Journal “BMJ” für Zulassungsregularien, die Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen fördern anstelle von Me-too-Präparaten.

Eine im BMJ veröffentlichte Studie eines Forschungsteams aus Harvard (doi:10.1136/bmj-2022-074166), so heißt es, habe anhand von Health Technology Assessments aus Deutschland und Frankreich einen Trend bestätigt, der sich schon länger abgezeichnet habe: Während zumindest jedes zweite neue Arzneimittel in seinem ersten Anwendungsgebiet den Betroffenen einen nachgewiesenen Zusatznutzen gegenüber der Standardbehandlung biete, sinke dieser Anteil mit jeder weiteren Indikation, für die anschließend ebenfalls eine Zulassung erteilt wird.

Im dritten Anwendungsgebiet sei die Chance eines Zusatznutzens bereits um 45 Prozent kleiner als in der ersten Indikation. Dennoch bemühe sich die Pharmaindustrie häufig erfolgreich um solche Zulassungserweiterungen, um ihren Ressourceneinsatz zu optimieren und die Schutzfristen für ihre Wirkstoffe zu verlängern.

Nachschärfung im Rahmen der Revision des EU-Arzneimittelrechts

Anders, als viele Menschen glauben, ist eine Überlegenheit gegenüber den bisherigen Therapien keine Voraussetzung für eine Arzneimittel-Zulassung: Die gesetzlichen Vorschriften in Europa und den USA verlangen lediglich eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz, also dass das Arzneimittel mehr nutzt als schadet.

Wieseler, die im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) das Ressort Arzneimittelbewertung leitet, spricht sich in ihrem BMJ-Kommentar zur Harvard-Studie für eine Nachschärfung dieser Vorschriften aus, etwa im Rahmen der geplanten Revision des EU-Arzneimittelrechts. Zwar sei es in gewissem Rahmen sinnvoll, in verschiedenen Indikationen zwischen mehreren Präparaten wählen zu können, etwa um Nebenwirkungen zu minimieren. Aber die Regelwerke sollten eigentlich Anreize für echte Verbesserungen gegenüber den bisherigen Therapien setzen, indem sie Fördermaßnahmen wie die Verlängerung der Marktexklusivität an den Nachweis eines Zusatznutzens gegenüber vorhandenen Therapieoptionen knüpfen.

„Die Studie aus Harvard zeigt einmal mehr: Man muss die tatsächlichen Konsequenzen der Arzneimittelgesetzgebung im Detail analysieren, um Fehlentwicklungen zu erkennen. Dann kann man das Regelwerk evidenzbasiert weiterentwickeln, um Ressourcen bestmöglich einzusetzen, echte Innovationen zu fördern und damit die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern“, meint Wieseler. „So, wie das System derzeit aufgesetzt ist, wird es den Erwartungen von Patientinnen und Patienten, Öffentlichkeit, Ärzteschaft und Politik nicht gerecht.“