KI-Tool: Identifizierung von Augenerkrankungen und Parkinson-Risiko anhand von Netzhautbildern

Die Bildgebung der Retina ermöglicht es, kleine Blutgefäße zu beobachten, deren Zustand auf ein Gesundheitsproblem hinweisen könnte.Foto©ipm/Alamy

Wissenschaftler haben ein Instrument der Künstlichen Intelligenz (KI) entwickelt. Dieses soll in der Lage sein, anhand von menschlichen Netzhautbildern das Risiko für die Entwicklung mehrerer Gesundheitszustände – von Augenkrankheiten über Herzversagen bis hin zur Parkinson-Krankheit – zu diagnostizieren und vorherzusagen.

Es wurden bereits KI-Tools für die Erkennung von Krankheiten anhand von Netzhautbildern trainiert. Das Besondere an dem neuen Tool namens RETFound ist den Forschenden zufolge jedoch, dass es mit der Methode „selbst überwachtes Lernen“ entwickelt wurde. Das bedeutet, dass die Forscher nicht jedes der 1,6 Millionen Netzhautbilder, die für das Training verwendet wurden, analysieren und sie beispielsweise als „normal“ oder „nicht normal“ einstufen mussten. Solche Verfahren sind zeitaufwendig und teuer und werden bei der Entwicklung der meisten Standardmodelle für maschinelles Lernen benötigt.

Stattdessen verwendeten die Wissenschaftler eine Methode, die derjenigen ähnelt, mit der große Sprachmodelle wie ChatGPT trainiert werden. RETFound nutzt eine Vielzahl von Netzhautfotos, um zu lernen, wie fehlende Bildteile aussehen sollten.

„Durch Millionen von Bildern lernt das Modell, wie eine Netzhaut aussieht und was alles Merkmale einer Netzhaut sind“, erklärte Pearse Keane, Augenarzt am Moorfields Eye Hospital NHS Foundation Trust in London (GB). Dies bildet den Eckpfeiler des Modells und klassifiziert es als ein sogenanntes Basismodell, dass für viele Aufgaben angepasst werden kann.

Ein Fenster zur menschlichen Gesundheit

Die Retina ist der einzige Teil des menschlichen Körpers, durch den das Kapillarnetz aus kleinsten Blutgefäßen direkt beobachtet werden kann. „Wenn Sie an einer systemischen Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Bluthochdruck leiden, die potenziell alle Blutgefäße in Ihrem Körper betrifft, können wir das direkt in Netzhautbildern sichtbar mache“, erklärte Keane.

Die Netzhaut ist auch eine Erweiterung des zentralen Nervensystems und weist Ähnlichkeiten mit dem Gehirn auf. Das bedeutet, dass Netzhautbilder auch zur Beurteilung von Nervengewebe verwendet werden können. „Das Problem ist, dass Menschen oft nicht über das nötige Fachwissen verfügen, um diese Scans zu interpretieren. Hier kommt die KI ins Spiel“, so Keane.

Nachdem sie RETFound mit 1,6 Millionen unmarkierten Netzhautbildern trainiert hatten, fügten Keane und Kollegen eine kleine Anzahl markierter Bilder – wie zum Beispiel von Parkinson-Betroffenen – ein. So konnten die Wissenschaftler dem Modell bestimmte Bedingungen, wie die die mit einer Krankheit verbundenen Merkmale, beibringen.

Die Verwendung von unmarkierten Daten für das anfängliche Training des Modells „beseitigt einen großen Engpass für Forscher“, ergänzte Xiaoxuan Liu, ein klinischer Forscher, der an der Universität von Birmingham (GB) im Bereich der KI forscht. Der Radiologe Curtis Langlotz, Direktor des Zentrums für Künstliche Intelligenz in Medizin und Bildgebung an der Stanford University in Kalifornien (USA), stimmt dem zu: „Qualitativ hochwertige Charakterisierungen medizinischer Daten sind extrem teuer, sodass die Effizienz der Charakterisierung das A und O geworden ist.“

Das System zeigte gute Leistungen bei der Erkennung von Augenkrankheiten wie der Diabetischen Retinopathie. Auf einer Skala von 0,5 (nicht besser als eine zufällige Vorhersage) und eins (perfektes Modell mit genauer Vorhersage) erreichte es für Diabetische Retinopathie, je nach verwendetem Datensatz, Werte zwischen 0,822 und 0,943. Bei der Vorhersage des Risikos für systemische Krankheiten – wie Herzinfarkt, Herzversagen, Schlaganfall und Parkinson – war die Gesamtleistung den Forschenden zufolge zwar begrenzt, aber immer noch besser als die anderer KI-Modelle.

Laut Liu ist RETFound bisher eine der wenigen erfolgreichen Anwendungen eines Grundlagenmodells in der medizinischen Bildgebung.

Ausweitung der Anwendungen

Die Forschenden untersuchen als nächstes, für welche anderen Arten der medizinischen Bildgebung die bei der Entwicklung von RETFound verwendeten Techniken eingesetzt werden könnten. „Es wird interessant sein zu sehen, ob sich diese Methoden auf komplexere Bilder verallgemeinern lassen“, sagte Langlotz.

Die Autoren haben das Modell öffentlich zugänglich gemacht. Sie hoffen, dass Forschergruppen auf der ganzen Welt es für ihre eigenen Patientenpopulationen und medizinischen Gegebenheiten anpassen und trainieren können.

Die Verwendung von RETFound als Grundlage für andere Modelle zur Erkennung von Krankheiten birgt jedoch auch ein Risiko, erklären die Forschenden. Denn alle Beschränkungen, die in das Tool eingebettet sind, könnten in künftige Modelle einfließen, die darauf aufgebaut sind. „Es liegt nun an den Autoren von RETFound, seine ethische und sichere Nutzung zu gewährleisten, einschließlich einer transparenten Kommunikation seiner Grenzen, damit es ein echter Gewinn für die Gemeinschaft sein kann“, erklärte Liu.

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Quellen Zhou Y, Chia MA, Wagner SK et al. A foundation model for generalizable disease detection from retinal images. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06555-xSpringer Nature