Kolorektalkarzinom: Darmbakterien können Hinweis geben

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Wissenschaftler aus der Schweiz haben einen auf Künstlicher Intelligenz basierenden Ansatz entwickelt, mit dem sich dank des Mikrobioms im Darm ein Kolorektalkarzinom feststellen lässt.

Derzeit wird Darmkrebs vor allem im Rahmen einer Koloskopie diagnostiziert. Dabei handelt es sich aber um aufwendiges Verfahren, dass wegen der nötigen Vorbereitung sowie der Untersuchung selbst von vielen Patienten nicht gut angenommen wird. Das verzögert eine rechtzeitige Diagnose. Unter Verwendung von Algorithmen des Maschinellen Lernens haben nun Forschende von der Universität Genf (UNIGE) in der Schweiz nach ihren Angaben erstmals alle Bakterien im menschlichen Darm so detailliert identifiziert, dass es möglich ist, die physiologische Bedeutung der verschiedenen mikrobiellen Subgruppen zu verstehen. Diese Erkenntnisse wendete die Arbeitsgruppe schließlich auf die Identifizierung von Krebserkrankungen des Kolons und Rektums anhand der Bakterien an, die in einfachen Stuhlproben zu finden waren. Daraus ergaben sich Hinweise auf die Möglichkeit eines nicht invasiven und kostengünstigen Screening-Tests.

Die sich aus diesem Verfahren ergebenden möglichen Anwendungen seien „riesig“, heißt es in einer Mitteilung der UNIGE anlässlich der Veröffentlichung der Studie in „Cell Host & Microbe“, und reichten von der Diagnose auch anderer Krebserkrankungen bis hin zu einem besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen dem Darmmikrobiom und der Gesundheit im Allgemeinen.

Neue, komfortablere Diagnosewerkzeuge gesucht

Vor allem vor dem Hintergrund weltweit zunehmender Darmkrebsfälle bei vergleichsweise jüngeren Erwachsenen sei es dringend nötig, einfachere und weniger invasive Diagnosewerkzeuge zu entwickeln, formuliert die UNIGE. Zwar sei schon lange bekannt, dass das Darmmikrobiom bei der Entstehung von Kolorektalkarzinomen eine Rolle spielt, doch sei die Übertragung dieser Erkenntnisse in die klinische Praxis oftmals schwierig. Der Grund dafür: Verschiedene Stämme derselben Bakterienspezies können zu gegenteiligen Effekten führen – einige fördern die Erkrankung, während andere keine Auswirkungen haben.

„Anstatt uns auf die Analyse der verschiedenen Spezies zu verlassen, die das Mikrobiom bilden (wodurch sich nicht alle bedeutsamen Unterschiede erkennen lassen), oder auf Bakterienstämme (die sich von Mensch zu Mensch erheblich unterscheiden), konzentrierten wir uns auf eine dazwischen liegende Stufe des Mikrobioms – die Subspezies“, erläutert Prof. Mirko Trajkovski von der Abteilung für Zellphysiologie und Stoffwechsel sowie vom Diabeteszentrum der Medizinischen Fakultät der UNIGE. Er leitete die Studie, deren Ergebnisse kürzlich publiziert wurden. „Die Auflösung auf Ebene der Subspezies ist spezifisch und kann Unterschiede abbilden, die sich auf die Funktionsweise von Bakterien beziehen und darauf, wie sie zu Erkrankungen wie beispielsweise Krebs beitragen. Dabei bleibt sie allgemein genug, um diese Veränderungen in verschiedenen Gruppen von Individuen, Populationen oder Ländern zu erkennen.“

Maschinelles Lernen als unterstützendes Element

Im ersten Schritt analysierten die Forschenden um Trajkovski enorme Datenmengen. „Für mich als Bioinformatikerin war die Herausforderung, einen Ansatz für die Analyse von Massendaten zu liefern“, berichtet Erstautorin Matija Trickovic, die in Trajkovskis Labor tätig ist. „Wir haben erfolgreich den ersten umfassenden Katalog von Subspezies im menschlichen Darmmikrobiom erstellt – zusammen mit einer präzisen und effizienten Methode für die Anwendung sowohl in der Forschung als auch in der Klinik.“

Indem sie diesen Katalog mit bestehenden klinischen Daten kombinierten, entwickelten die Wissenschaftler ein Modell, mit dem sich die Existenz von Darmkrebs allein auf Basis der Bakterien in Stuhlproben nachweisen lässt. „Wir hatten zwar Vertrauen in unsere Strategie, doch die Ergebnisse waren bemerkenswert“, sagt Trickovic. „Mit unserer Methode fanden wir 90 Prozent aller Krebsfälle. Dieses Resultat liegt sehr nahe an der Detektionsrate von 94 Prozent, die mit Koloskopien erreicht wird. Sie ist auch besser als alle derzeit verfügbaren nicht invasiven Verfahren.“

Durch die Integration von noch mehr klinischen Daten könnte das Modell sogar noch exakter werden und die Genauigkeit der Koloskopie erreichen, glauben die Forschenden. Sie gehen außerdem davon aus, dass es sich zu einem Tool entwickelt, das routinemäßig beim Screening eingesetzt wird und die Darmkrebsfrüherkennung erleichtert. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung würde dann durch eine Koloskopie bestätigt werden müssen – aber eben nur bei ausgewählten Personen.

Eine ganze neue Welt von Anwendungen

Eine erste klinische Studie in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Genf ist in Vorbereitung. Ihr Ziel ist, genauer zu bestimmen, welche Krebsstadien und -läsionen damit erkannt werden können. Dabei geht die potenzielle Anwendung über Darmkrebs hinaus. Durch die Beurteilung von Unterschieden von Subgruppen derselben Bakterienspezies lassen sich jetzt die Mechanismen ermitteln, durch die das Darmmikrobiom die Gesundheit des Menschen beeinflusst.

„Dieselbe Methode könnte bald eingesetzt werden, um nicht invasive Diagnose-Tools für eine große Bandbreite von Erkrankungen zu entwickeln – alles auf Basis einer einzigen Mikrobiomanalyse“, fasst Trajkovski zusammen.