Koma: Mehr Forschung ist notwendig22. März 2024 Der Verlauf beziehungsweise die Prognose eines Komas hängt maßgeblich von Schweregrad und Reversibilität der Hirnschädigung ab. (Foto: © nimito – stock.adobe.com) Anlässlich des Welt-Koma-Tages am 22. März 2024 mahnt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) den Aufbau eines Nationalen Koma-Registers an, um Forschungslücken bezüglich der bestmöglichen Rehabilitation der Betroffenen zu schließen. In Deutschland fallen nach Zahlen der Deutschen Hirnstiftung täglich circa 7000 Menschen ins Koma, deren Prognose von Schweregrad, Reversibilität und Dauer der Hirnschädigung abhängt. Besonders schlecht ist die Prognose von Wachkomapatienten, deren Zahl in Deutschland auf 1500 bis 5000 geschätzt wird.1 Eine verlässliche Datenbasis fehlt jedoch, weshalb die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) den Aufbau eines Nationalen Koma-Registers anmahnt. Ursache für ein Koma ist eine akute Hirnschädigung, am häufigsten bedingt durch ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Schlaganfall oder durch Sauerstoffmangel nach einem Herzstillstand. Weitere häufige Ursachen sind Vergiftungen (auch durch Medikamente, Drogen, Alkohol), Unterzuckerung, Hirnentzündungen oder -tumoren.2 Bei der Aufnahme auf Intensivstationen sind bis zu 47 Prozent der Betroffenen von einer schweren Bewusstseinsstörung betroffen.3 Da die Diagnostik eines unklaren Komas mit schweren Bewusstseinsstörungen („disorder of consciousness“) eine Herausforderung sein kann, hat die „European Academy of Neurology“ Leitlinien zur multimodale Beurteilung erstellt, die die neuesten Erkenntnisse und Evidenzen zu standardisierten klinisch-neurologischen Untersuchungstechniken, funktioneller Neurobildgebung (PET, funktionelles MRT) und Elektroenzephalographie (quantitative EEG-Analyse) beinhalten.4 Bereits im vergangenen Jahr wurde unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie eine „Leitlinie zur Rehabilitation bei Koma und schweren Bewusstseinsstörungen“ erstellt, die bereits in diesem Jahr ein Update erhalten wird.5 Mit systematischer Literaturrecherche wurden evidenzbasierte, diagnostische, medizinethische und therapeutische Empfehlungen erarbeitet. Zur Vigilanzverbesserung wird darin die medikamentöse Behandlung mit Amantadin empfohlen. Darüber hinaus kann auch die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) zum Einsatz kommen. Weitere Maßnahmen sind Positionierungsverfahren, d. h. passive Vertikalisierung (z. B. mittels Kipptisch oder Stehbett), aber auch die multisensorische Stimulation mit möglichst großem autobiografischen und emotionalen Bezug (mit auditorischen, visuellen, taktilen, olfaktorischen und gustatorischen Reizen). „Für die Behandlung anhaltender Komazustände gibt die Leitlinie konkrete Empfehlungen“, konstatiert Prof. Andreas Bender, Burgau, Erst- und Korrespondenzautor der Leitlinie. „Allerdings gibt es nach wie vor zu wenige klinische randomisierte kontrollierte Interventionsstudien zur Komatherapie. Hier besteht ein großer Bedarf, um das Rehabilitationspotenzial von Patientinnen und Patienten vollständig auszuschöpfen.“ Trotz evidenzbasierter Leitlinien und modernster Medizin versterben innerhalb der ersten sechs Monate zehn bis 26 Prozent der Betroffenen.6 Besonders dramatisch ist das Schicksal von Wachkoma-Patienten. Eine italienische Studie mit 492 Koma-Patienten (in Folge von Schädel-Hirn-Traumata oder anderer Ursachen) zeigte, dass immerhin 53 Prozent der Betroffenen aus diesem Zustand erwachten. Von diesen wiesen aber 71 Prozent derjenigen, bei denen ein Schädel-Hirn-Trauma ursächlich war, und 83 Prozent derer, bei denen das Koma nicht durch Traumata verursacht worden war, schwerste Behinderungen in Folge auf.7 Mit der „Curing Coma“-Kampagne zum Welt-Koma-Tag, einer globalen Gesundheitsinitiative, soll die Öffentlichkeit für diese schwerste Form der Bewusstseinsstörung sensibilisiert und auf die Notwendigkeit weiterer Therapieforschung hingewiesen werden: https://secure.qgiv.com/event/worldcomaday2024 „Mehr Forschung ist in der Tat erforderlich“, erklärt auch Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Ein erster Schritt wäre der Aufbau eines Nationalen Koma-Registers, damit wir wissen, wie viele Betroffene es gibt, wie die Verläufe und Outcomes sind und welche Therapien welche Effekte haben.“ Gleichzeitig muss nach Ansicht des Experten auch das Bewusstsein für die Prävention in der Bevölkerung erhöht werden. „Hierzu gehört das konsequente Tragen von Fahrradhelmen. Und auch eine frühzeitige Schlaganfallprävention, unter anderem durch Nichtrauchen, Blutdruckkontrolle, Bewegung und gesunde Ernährung. Hierzu kann jeder einzelne selbst beitragen!“ 1. Bender A et al. Wachkoma und minimaler Bewusstseinszustand. Systematisches Review und Metaanalyse zu diagnostischen Verfahren. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 235-42. doi.org/10.3238/arztebl.2015.0235 2. Bender A et al. The Neurological Rehabilitation of Adults With Coma and Disorders of Consciousness. Dtsch Arztebl Int. 2023 Sep 15;120(37):605–612. 3. Kondziella D et al.; EAN Panel on Coma, Disorders of Consciousness. European Academy of Neurology guideline on the diagnosis of coma and other disorders of consciousness. Eur J Neurol. 2020 May;27(5):741–756. 4. S3-Leitlinie Neurologische Rehabilitation bei Koma und schwerer Bewusstseinsstörung im Erwachsenenalter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/080-006#anmeldung 5. Bender A et al. The Neurological Rehabilitation of Adults With Coma and Disorders of Consciousness. Dtsch Arztebl Int. 2023 Sep 15;120(37):605–612. doi.org/10.3238/arztebl.m2023.0159 6. Avesani R et al. Epidemiological and clinical characteristics of patients in a vegetative state in Italian rehabilitation units. What about outcome? Functional Neurology 2018;33(2):97–103. https://www.researchgate.net/publication/326302219_Epidemiological_and_clinical_characteristics_of_492_patients_in_a_vegetative_state_in_29_Italian_rehabilitation_units_What_about_outcome
Mehr erfahren zu: "DMKG: Moderne Migränetherapien werden zu wenig genutzt" DMKG: Moderne Migränetherapien werden zu wenig genutzt Seit Jahren sind wirksame und gut verträgliche Migräneprophylaktika verfügbar, deren Anwendung auch von der aktuellen S1-Leitlinie empfohlen wird. Doch viele Menschen mit schwerer Migräne erhalten diese Medikamente erst spät. Das […]
Mehr erfahren zu: "Experte für Gedächtnisforschung zum Honorarprofessor der Universität Magdeburg ernannt" Experte für Gedächtnisforschung zum Honorarprofessor der Universität Magdeburg ernannt Als Honorarprofessor stärkt Dr. Michael Kreutz die Lehre und Forschung im Bereich der Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Mehr erfahren zu: "Streeck warnt vor leichter Zugänglichkeit von Drogen" Streeck warnt vor leichter Zugänglichkeit von Drogen „Per Taxi ins Jugendzimmer“: Der Bundesdrogenbeauftragte sieht die leichte Verfügbarkeit von Rauschgift als große Gefahr. Eine Droge bereitet ihm besonders große Sorgen.