Kopfschmerzursachen bei Jugendlichen: Lange Bildschirmzeiten, unregelmäßige Mahlzeiten, Rauchen16. April 2024 Foto: © simona – stock.adobe.com Das Risiko für Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen steigt mit einem späten Zubettgehen, langen Bildschirmzeiten und unregelmäßigen Mahlzeiten sowie auch durch Alkohol sowie den Konsum von Zigaretten – oder Cannabis. Drei von vier Jugendlichen kennen dder Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zufolge das Phänomen rezidivierender Kopfschmerzen.1 Die Gesamtprävalenz wird für das Kindes- und Jugendalter heute mit bis zu 60 Prozent angegeben.2 Schon im Kindesalter gehören Kopfschmerzen zu den häufigsten Schmerzen – mit Eintritt in die Schule verfünffacht sich die Häufigkeit.2 Bei den primären Kopfschmerzen stehen mit 41 Prozent Spannungskopfschmerzen an erster Stelle3, aber auch Migräne kommt vor (9,4 %). Bei 32,5 Prozent der Betroffenen besteht ein Mischtyp beider Formen. Für die Behandlung ist die richtige Diagnose essenziell. Ungewöhnlich ist, wenn bereits Kleinkinder (< 3 Jahren) über Kopfschmerzen klagen. Hier (aber grundsätzlich natürlich in jedem Alter) dürften ernste Erkrankungen, die zu sekundären Kopfschmerzen führen, wie Meningitis, Hirntumoren oder Blutungen nicht übersehen werden, warnt die Fachgesellschaft. Bei der kinderärztlichen Anamnese und Untersuchung sollte daher nach bestimmten Hinweisen („red flags“)4 gesucht werden (z. B. Trauma, plötzlich neu aufgetretene oder im Verlauf zunehmende Kopfschmerzen, zusätzlich bestehende Übelkeit/Erbrechen, Fieber, nächtliches schmerzbedingtes Erwachen, Wesensveränderung oder weitere neurologische Symptome). Die einzige primäre Kopfschmerzdiagnose, bei der ein Einsatz schmerzstillender Medikamente wie Paracetamol, Ibuprofen und Triptane (letztere ab 12 Jahren) gerechtfertigt sind, ist eine nachgewiesene Migräne, erklärt die DGN. Dennoch nähmen etwa 80 Prozent der Jugendlichen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen regelmäßig Schmerztabletten.1 Hier bestehe längerfristig wie bei Erwachsenen die Gefahr, dass sich sekundär ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication-overuse headache“, MOH) entwickelt, warnen die Experten.1,2 Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind oft eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die nicht selten chronisch wird. Ungefähr jedes zweite Kind mit wiederkehrenden Kopfschmerzen wird im späteren Leben noch immer darunter leiden.3 Daher ist es besser, möglichst frühzeitig nach den Ursachen zu suchen, statt unbedacht Schmerzmedikamente einzunehmen. Wie bei Erwachsenen auch, werden bei Kindern und Jugendlichen bestimmte „moderne“ Lebensstilfaktoren beziehungsweise Verhaltensweisen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus besteht eine Assoziation mit dem Auftreten von Depression und Angststörungen. Auch wenn kausale Zusammenhänge schwer zu ermitteln sind, sei klar, dass Kinder mit Kopfschmerzerkrankungen oft im Alltag (Schule, Familie, Freunde, Hobbies) stark beeinträchtigt sind – wobei der Schmerz das Sozialleben beeinflusse und umgekehrt, erklärte die DGN. Eine gründliche Suche nach möglichen Kopfschmerzursachen führe oft bereits zu hilfreichen Behandlungsansätzen. Neben klassischen innerfamiliären Belastungssituationen spielen sowohl eine Überorganisation des kindlichen Alltags, eine Reizüberflutung mit fehlenden Ruhepausen4, aber auch Langeweile und daraus entstehende Gewohnheiten eine Rolle. Eine aktuelle bevölkerungsbasierte Studie5 aus Kanada untersuchte in einer Querschnittsbefragung Kopfschmerzauslöser im Alter von fünf bis 17 Jahren (n=4.978.370; Durchschnittsalter 10,9 Jahre; 48,8 % weiblich). Die Kopfschmerzhäufigkeit wurde dichotomisiert erfragt als „höchstens 1x/Woche“ oder „mehr als 1x/Woche“ (definiert als häufige Kopfschmerzen). Insgesamt 6,1 Prozent hatten häufige Kopfschmerzen. Die Wahrscheinlichkeit für häufige Kopfschmerzen stieg signifikant mit dem Alter (OR 1,31) an und war beim weiblichem Geschlecht höher (OR 2,39). Im für Alter/Geschlecht bereinigten Rechenmodell stieg das Risiko signifikant mit einem späten Chronotyp („Nachteulen“, aOR 1,1) sowie langen Bildschirmzeiten (≥21 Stunden gegenüber 0,0 in der letzten Woche, aOR 2,97) an. Bei zwölf- bis 17-Jährigen spielte auch Substanzkonsum eine Rolle (≥1/Woche Alkohol vs. nie: aOR 3,50; „binge drinking“ ≥5x im letzten Monat vs. nie: aOR 5,52; tägliches Zigarettenrauchen vs. nie: aOR 3,81; täglich E-Zigaretten vs nie: aOR 3,1; täglicher Cannabiskonsum vs. nie: aOR 3,59). In der gesamten Kohorte war eine tägliche häusliche Rauchexposition mit häufigen Kopfschmerzen assoziiert (aOR 2,0). Die Wahrscheinlichkeit häufiger Kopfschmerzen sank mit der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten (aOR 0,90; p<0,001). Es gab dagegen keinen Zusammenhang mit der angegebenen körperlichen Aktivität. „Die Ergebnisse zeigen, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Als sogenannte potenziell modifizierbare Risikofaktoren sollten sie in der Praxis angesprochen werden, denn hier gilt es gegenzusteuern“, erklärte DGN-Kopfschmerzexperte Prof. Hans-Christoph Diener, Essen. Es gibt verschiedene Projekte zum (Selbst-)Management beziehungsweise zur Prophylaxe von Kopfschmerzen bei Kinder und Jugendlichen, da Haus- und Kinderarztpraxen oft nicht die Zeit haben, der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden. Ein Beispiel ist das Projekt DreKiP2 am Universitätsklinikum Dresden, ein multimodales Kinderkopfschmerztherapieprogramm. Nach dem Assessment in der Kinderkopfschmerzambulanz läuft das Programm schulbegleitend über zwei bis drei Monate. Es beinhaltet acht Module (Kopfschmerzedukation, Stressbewältigung, Entspannungstechniken, körperliche Aktivierung/Fitness, Klettertherapie/Selbstwirksamkeit, Kunsttherapie/Defokussierung, Yoga und Riechtraining), zusätzlich finden edukative Eltern-Workshops statt. „Wir wissen heute, dass viele neurologische Erkrankungen, die seit Jahren zunehmen, zu einem großen Teil auch lebensstilbedingt sind“, erklärte Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Natürlich beweisen nicht alle statistischen Assoziationen eine Kausalität, aber Programme wie das aus Dresden, die an der Modifikation möglicher Auslöser ansetzen, zeigen gute Erfolge. In der aktuellen Studie war auch Cannabis ein relevanter Risikofaktor. Auch unter diesem Aspekt ist die Freigabe dieser Droge in Deutschland kritisch zu sehen.“
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