Leben mit Spenderherz: Was denken Transplantierte über den Organspender?

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Sogenannte Spenderperson- und Organgedanken können psychische Stressreaktionen bei Patienten hervorrufen – mit gravierenden Folgen. Die Untersuchung des Phänomens wird von Fördermitteln der Deutschen Herzstiftung unterstützt.

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein transplantiertes Herz von der Person, die das Organ empfangen hat, angenommen und von ihr „integriert“ wird? Und welche konkreten körperlichen und psychischen Stressoren lassen sich identifizieren? Fragen wie dieser gehen Mediziner, Psychologen und eine Public Health-Expertin am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen (HDZ NRW) und der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL in einer von der Deutschen Herzstiftung und der Deutschen Stiftung für Herzforschung mit 47.600 Euro geförderten Forschungsarbeit nach.

Genauer in den Fokus ihrer gemeinsamen Forschung nehmen die Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken. Das Forschungsvorhaben „Spendergedanken und Herztransplantation (SpHer)“ wird durchgeführt von Dr. Nora M. Laskowski und dem leitenden Arzt Prof. Georgios Paslakis, beide an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL tätig, sowie von Dr. Katharina Tigges-Limmer, Leiterin der medizinpsychologischen Abteilung der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im HDZ NRW, Bad Oeynhausen.

Organabstoßungsangst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung

Die psychischen Leiden bei herztransplantierten Patienten können sehr verschieden sein. Patienten leiden häufig unter der Angst, dass das Organ abgestoßen werden könnte. Manche haben bereits aufgrund ihrer Grunderkrankung, in der Zeit vor der Transplantation, während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus und auf der Intensivstation große Belastungen erlebt und entwickeln infolgedessen eine Depression. „In noch ausgeprägteren Fällen kann es sein, dass die Konfrontation und Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – was bei schwer herzkranken Menschen häufig der Fall ist – zu einer ,posttraumatischen Belastungsstörung‘ führt“, berichtet Paslakis in „HERZ heute“. Das erfordere eine spezielle Behandlung, so der Mediziner. Studien zufolge kann eine Depression sogar das Ergebnis der Herztransplantation negativ beeinflussen.

Spenderperson- und Organgedanken: Wann Qual, wann Kraftquelle?

Ein emotionaler Spagat kann für Patienten auf der Warteliste für ein Spenderherz oder nach überstandener Transplantation das Nachdenken über den Organspender sein. Das kann so belastend sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt – schlimmstenfalls lehnen Empfänger das übertragene Organ sogar ab. Es sind Gedanken über das Geschlecht und das Alter des Spenders, über die Umstände seines Todes oder seine Persönlichkeit, sowie über die Familiengeschichte, den Beruf, die Religion und gar die sexuelle Orientierung der Spenderperson.

„Das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken haben wir wissenschaftlich untersucht. Vorab stellten wir fest, dass es zu diesem Thema sehr wenig Studien gibt“, erklärt Tigges-Limmer. Das klinische Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken könne sowohl vor als auch nach einer Transplantation aufkeimen und noch lange danach weiter bestehen bleiben. „Unklar war bislang auch, ob derartige Gedanken für die Patientinnen und Patienten eine emotionale Belastung sind – oder ob sie ihnen auch Kraft geben können und den Umgang mit dem Transplantationsprozess erleichtern“, so Tigges-Limmer. Auf das transplantierte Herz würden auch häufig vermeintlich wahrgenommene Veränderungen des Charakters und der Persönlichkeit zurückgeführt. „Manchmal können diese Gedanken durchaus beglückend sein. Dann wird das Herz als Geschenk erlebt und dem ,Schenker‘ gegenüber entwickelt sich eine dankbare Verbundenheit.“ Manchmal können Spenderperson- und Organgedanken aber so belastend für Patienten und für ihre Angehörigen sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt. „Das wollen wir in einer künftigen Studie genauer untersuchen“, erklärt Tigges-Limmer.

Fast jeder Herztransplantierte hat Spenderperson- und Organgedanken

Welche Patienten entwickeln diese Gedanken, zu welchem Zeitpunkt tauchen diese Gedanken mit welchen Inhalten und Überzeugungen auf? Und als wie belastend oder bereichernd werden die Gedanken empfunden? Für neue Erkenntnisse durch mehr belastbare Daten zu diesem Thema haben die Mediziner und Psychologen des HDZ NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum mit Förderhilfe der Deutschen Herzstiftung anonym 407 Herztransplantierte am HDZ NRW befragt. „Wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen diese Gedanken überhaupt haben. Vor der Transplantation waren es etwa 40 Prozent der Befragten. Danach aber 91 Prozent. Also fast jeder hat diese Gedanken nach der Transplantation“, berichtet die Humanbiologin und Public Health-Expertin Laskowski. Betroffene gaben an, sehr erleichtert zu sein, die OP geschafft zu haben und gegenüber dem Spender eine große Dankbarkeit zu spüren. „Gleichzeitig ist für einige Patienten ein diffuses Schuldgefühl dabei, nämlich: ,Ich darf leben, während jemand anders sterben musste‘“, beschreibt Psychologin Tigges-Limmer einen häufigen Gedanken bei Herztransplantierten. „Gleichzeitig heißt es aber auch, es stirbt niemand für mich, aber mein neues Glück fußt auf dem Tod, so könnte man es sagen.“

Kliniken bieten Hilfen für Betroffene

Für Betroffene mit Bedarf für professionelle Hilfe gibt es in allen Transplantationszentren in Deutschland psychologische und psychosomatische Dienste, die Patienten im schwierigen Prozess der Transplantation begleiten. Aber nicht alle Patienten würden diese Hilfe auch in Anspruch nehmen. In einigen Fällen würden die Therapeuten auch aktiv Betroffene aufsuchen, wenn die Behandlungsteams den Eindruck hätten, dass Menschen unterstützt werden müssten – professionelle Hilfe aber von sich aus nicht einforderten, berichtet Tigges-Limmer. „Das Ziel muss es sein, die Schwelle der Inanspruchnahme niedrig zu halten. Psychotherapeutische Unterstützung für Menschen vor, während und nach einer Transplantation sei „kein Luxus“, sondern „eine Notwendigkeit, die als selbstverständlich anzusehen ist“, betont die Psychologin. „Doch immer noch hindert das Stigma, das mit der Psychotherapie verbunden ist, Menschen daran, diese Hilfe für sich einzufordern.“ Auch sei eine Refinanzierung dieser notwendigen Arbeit noch nicht gesichert.