Leberschäden bei Kindern als Folge von COVID-19?

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Mitte Februar meldeten britische Gesundheitsbehörden erstmals eine ungewöhnliche Häufung von Hepatitisfällen bei Kindern. Ein Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung ist bisher weder bestätigt noch widerlegt. Nun beschreiben israelische Forschende fünf Fälle von Schäden der Leber und der Gallengänge bei Kleinkindern, die alle zuvor nachweislich eine COVID-19-Infektion durchgemacht hatten.

Seit der ersten Meldung von Hepatitisfällen in Großbritannien im Februar wurden bis zum 9. Juni gut 400 Fälle von akuter Hepatitis unbekannter Ätiologie bei Kindern im Alter von 16 Jahren und darunter aus der europäischen Region gemeldet. In einer jüngst im Fachblatt „Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition“ erschienenen kleinen Fallstudie beschreiben israelische Forschende nun fünf Fälle von Schäden der Leber und der Gallengänge bei Kleinkindern, die alle zuvor nachweislich eine COVID-19-Infektion durchgemacht hatten.

Bei zwei gesunden Säuglingen im Alter von drei und fünf Monaten kam es zu einem Leberversagen, das rasch zu einer Lebertransplantation führte. Die Explantate zeigten eine Entzündung, massive Nekrose und Wucherungen in den Gallenwegen. Die drei weiteren Kinder, zwei im Alter von acht Jahren und eines im Alter von 13 Jahren, wiesen eine Hepatitis mit Cholestase auf. Bei zwei dieser Kinder wurde eine Leberbiopsie durchgeführt, die eine lymphozytäre Entzündung der Pfortader und des Organgewebes sowie ebenfalls Wucherungen in den Gallengängen ergab.

Alle Patienten wurden mit Steroiden behandelt. Ihr Gesundheitszustand verbesserte sich. Ob dies direkt mit den Medikamenten zusammenhing, ist aber ungewiss. Untersuchungen auf weitere infektiöse und metabolische Ursachen für die Leberschäden blieben der Studie zufolge ergebnislos.

Die fünf Kinder hatten einen asymptomatischen oder milden COVID-19-Verlauf. Bei infizierten Erwachsenen wurden vergleichbare Schäden an Leber und Gallenwegen bisher hauptsächlich nach schwerer Erkrankung mit einer längeren Einweisung auf die Intensivstation beschrieben. Bei vier der untersuchten Kinder betrug die mittlere Zeit von der COVID-19-Diagnose bis zur Feststellung von Schäden der Gallengänge 74,5 Tage, wobei die Zeitspanne sehr breit war: 21 bis 130 Tage. Beim fünften Patienten war die Datenlage hierzu unzureichend.

Bereits im Titel ihrer Studie sprechen die Forschenden von „Long COVID-19 Liver Manifestation“ und entwerfen im Weiteren die Idee, die Leber- beziehungsweise Gallenschäden könnten ähnlich wie das multisystemische Entzündungssyndrom (PIMS) eine seltene Langzeitnebenwirkung der COVID-19-Infektion bei Kindern sein. Ein mögliches, direktes Einfallstor für das Virus in die Zelle, der ACE2-Rezeptor, ist auch im Darm, in der Gallenblase und den Hepatozyten vorhanden.

Von insgesamt 273 internationalen Fällen, die mittels PCR auf SARS-CoV-2 getestet wurden, waren nur 29 (10,6 %) positiv. Hinweise auf bereits durchgemachte Infektionen mithilfe von Blutwerten lagen aber lediglich für 47 Fälle vor, von denen 30 (63,8 %) einen positiven Befund hatten. Von den 94 Fällen mit Angaben zur COVID-19-Impfung waren 80 (85,1 %) nicht geimpft.

Kausaler Zusammenhang bleibt spekulativ

„Es gibt vielfältige Gründe, warum Kinder eine akute Hepatitis haben können. Nicht immer kann man eine klare Ursache identifizieren. Die in dieser israelischen Studie beschriebenen Einzelfälle weisen einen gewissen zeitlichen Zusammenhang auf, der aber von Fall zu Fall so unterschiedlich ist, dass ein kausaler Zusammenhang spekulativ bleibt”, erklärte Prof. Ansgar Lohse, Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik (Gastroenterologie mit Sektionen Infektiologie und Tropenmedizin) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Das gute Ansprechen auf Kortison weist auf eine überschießende Immunreaktion als wichtigen Mechanismus der Krankheitsentstehung hin. Unklar bleibt jedoch, wogegen sich diese Immunreaktion richtet. Ein SARS-CoV-2-Nachweis im Gewebe fehlt, sodass durchaus auch andere Alltagsviren ebenso wie eine autoimmune Hepatitis infrage kommen. Für einen Zusammenhang mit der Impfung gibt es gar keinen Anhalt.“

Lücken in der Diagnostik

Prof. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie, Universitätsklinikum Frankfurt, bezeichnete die Beschreibung und Aufarbeitung der einzelnen Fälle als “insuffizient”. So seien bei beiden Säuglingen bespielsweise IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen worden. “In diesem Alter kann der Nachweis sowohl durch eine Infektion des Säuglings als auch durch eine Infektion der Mutter (Nukleokapsid-IgG-Antikörper oder Spike-IgG-Antikörper) oder Impfung der Mutter (Spike-Antikörper) erklärbar sein. Angaben über den Infektions- und Impfstatus der Mutter finden sich nicht. Es ist deshalb anhand der Beschreibung in dieser Fallstudie für mich somit nicht klar, ob die beiden Säuglinge überhaupt eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, oder ob lediglich die maternalen Antikörper der geimpften oder genesenen Mutter nachgewiesen wurden“, erklärte die Virologin.

Die virologische Testung sei in der Studie ebenfalls “nicht einheitlich und zum Teil unvollständig” erfolgt, bemängelte Ciesek. So sei bei keinem der Kinder eine akute Hepatitis-E-Virusinfektion ausgeschlossen worden. “Meiner Meinung nach gehört der Ausschluss einer akuten Hepatitis-E-Virusinfektion jedoch unbedingt zu einer Abklärung einer akuten Hepatitis dazu. Insbesondere nach Verzehr von nicht ausreichend gegartem Fleisch oder Wurst kann es zu einer Infektion mit dem Hepatitis-E-Virus kommen.“

Auch eine Diagnostik im Hinblick etwa auf eine Eisenspeichererkrankung sei nicht durchgeführt worden. Ein Screening auf toxische Substanzen wird nicht erwähnt und es bleibt unklar, ob die Kinder darauf getestet wurden.“
„Die Diskussion in der Fallstudie enthält einige wichtige generelle Überlegungen zu einer möglichen Pathogenese. Die Studie hilft aber meines Erachtens bei der Ursachenfindung nicht entscheidend weiter. Der Titel ,Long COVID-19 Liver Manifestation in Children‘ ist also irreführend, da in dem Text kein Zusammenhang zwischen dem Krankheitsbild ,Long Covid‘ und den berichteten Hepatitisfällen nachgewiesen werden kann. Hier hätte man sich von den Autoren, den Reviewern und dem Journal gewünscht, die Veröffentlichung unter diesem Titel zu unterbinden. Er dürfte so insbesondere Laienleser/innen in die Irre führen, und einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und einer schweren Leberschädigung suggerieren. Das kann unbegründete Ängste auslösen”, gab Ciesek zu bedenken.

Konkrete Empfehlungen ließen sich aus den fünf Fällen ebenfalls nicht ableiten, sagte die Virologin. “Zusammenfassend sollten die aktuell berichteten Fälle von schwerer akuter Hepatitis bei (Klein-)Kindern sorgfältig medizinisch aufgearbeitet werden. Eine Beteiligung von SARS-CoV-2 ist aber weiterhin weder bewiesen noch ausgeschlossen.”