Macht unsere Gesellschaft uns krank?26. Oktober 2022 Was bedeuten die aktuellen Bedrohungen wie Klimakrise, Kriege und Corona-Pandemie für die menschliche Psyche? Welchen Anteil hat die Gesellschaft, wie sie aktuell beschaffen ist, an der Entstehung psychischer und psychosomatischer Störungen? Ein neues Buch beleuchtet diese Fragen so profund wie praxisnah. Prof. Wolfgang Schneider, Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin, langjähriger Klinikdirektor und Gutachter, diagnostiziert „eine Gesellschaft zwischen Narzissmus, Hysterie und Abhängigkeit“, so der Titel seines Buches. Narzissmus, weil eine Tendenz zur „Bestätigung über die Selbstinszenierung als etwas Besonderes“, so Schneider, besonders in den sogenannten „sozialen Medien“ zu beobachten ist; Hysterie, weil die „Dramatisierung und Emotionalisierung aller Ereignisse in der Politik sowie in den Medien“ durch Unechtheit und Oberflächlichkeit auffallen; Abhängigkeit, weil sich viele Menschen in ihrer Verunsicherung nach autoritärer Führung sehnen, was sich laut Schneider in zunehmenden Nationalegoismen bis hin zu rassistischen Übergriffen zeigt. Wie wäre diesen Problemen beizukommen? „Anstatt multidisziplinärer Prävention wählt unsere Gesellschaft allzu oft durch Medikalisierungs- und Pathologisierungsprozesse den Weg in die Krankheit“, stellt Schneider fest. Problemstellungen, die sozialer Ursache sind und politische Lösungen verlangen, werden demnach auf die individuelle Ebene der Krankheit verschoben und damit ins Medizinsystem überführt. Wie kann aber das Gesundheitssystem mehr für psychosoziale Belange tun, anstatt immer nur die Folgen beim Einzelnen zu reparieren? Schneider versucht eine Antwort: „Das Ziel des Buches liegt darin, dem Leser zu verdeutlichen, dass eine Suche nach den Gründen für Störungen des seelischen und körperlichen Wohlbefindens sinnvoll und möglich ist. Die Lösungen liegen oftmals weniger in speziellen Unterstützungen durch Experten, sondern oftmals eher in der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie der Umorientierung des eigenen Wertesystems.“ (ms) Wolfgang Schneider: „Eine Gesellschaft zwischen Narzissmus, Hysterie und Abhängigkeit“, Hogrefe, Bern 2022, 240 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-456-86217-0
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