Manche Blutzellen haben einen überraschenden Ursprung: den Darm

Menschliche hämatopoetische Stammzellen im Darm. (Abb.: © Megan Sykes/Columbia University)

Der menschliche Darm kann bis zu 10 Prozent der Blutzellen im Blutkreislauf aus seinem eigenen Reservoir blutbildender Stammzellen versorgen. Das ist das überraschende Ergebnis einer neuen Studie von Forschern des Vagelos College of Physicians and Surgeons der Columbia University.


Wissenschaftler hatten bisher angenommen, dass Blutzellen ausschließlich im Knochenmark von einer speziellen Population hämatopoetischer Stammzellen gebildet werden.

Die Analyse zirkulierender weißer Blutkörperchen bei Patienten nach Darmtransplantation legt nahe, dass die aus dem gespendeten Darm stammenden Zellen reifen und im Körper des Empfängers eine Immuntoleranz gegenüber dessen Gewebe lernen. In ähnlicher Weise können weiße Blutkörperchen, die der Empfänger nach der Transplantation selbst produziert, lernen, das transplantierte Gewebe nicht abzustoßen. “Wir können eindeutig zeigen, dass es zwischen den beiden Gruppen von Blutzelle einen immunologischen Dialog gibt, der das Transplantat vor dem Immunsystem des Patienten schützt und ebenso den Patienten vor dem Transplantat”, sagt Dr. Megan Sykes, Leiterin des Columbia Center for Translational Immunology.

Die Wissenschaftler stellten auch fest, dass die hämatopoetischen Stammzellen im Darm letzten Endes durch einen zirkulierenden Pool weißer Blutkörperchen des Empfängers ersetzt werden. Da Patienten mit einer höheren Anzahl von Blutzellen des Organspenders niedrigere Abstoßungsraten aufwiesen, deuten diese Ergebnisse laut den Studienautoren auf neue Strategien bei Organtransplantationen hin.

Das Reservoir blutbildender Stammzellen im Darm wurde entdeckt, als die Forscher feststellten, dass das Blut von Patienten, die ein Darmtransplantat erhalten hatten, Zellen des Spenders enthielt. Die Wissenschaftler verfolgten daraufhin die Blutzellen des Spenders bis zu deren Ursprung: hämatopoetische Stammzellen im gespendeten Darm.

Die Blutzellen, die von Zellen im Spenderdarm gebildet werden, können auch für den Transplantatempfänger von Vorteil sein. Je mehr Spenderblutzellen ein Patient im Blutkreislauf aufwies, desto unwahrscheinlicher war es, dass das Transplantat abgestoßen wurde. “Es ist möglich, dass Patienten mit einem hohen Anteil an Spenderzellen möglicherweise nicht ein so hohes Maß an Immunsuppression benötigen, wie sie derzeit erhalten”, sagt Sykes, “und eine Verringerung der Immunsuppression könnte die Outcomes verbessern.” Würde man zu transplantierende Organe mit zusätzlichen hämatopoetischen Stammzellen des Spenders versehen, könnte dies ebenfalls den Dialog zwischen Spender und Empfänger verbessern und die Toleranz gegenüber dem Transplantats verstärken. “Das könnte das Leben von Patienten nach einer Transplantation dramatisch verbessern”, erklärt Sykes. “Unser ultimatives Ziel ist es, eine Immuntoleranz zu erreichen, die es uns ermöglicht, auf eine Immunsuppression vollständig zu verzichten und dass das Transplantat vom Patienten als eigenes Organ behandelt wird. Das ist der wirkliche Heilige Gral.”

Als nächstes planen die Forscher eine Studie, in der sie versuchen, die Anzahl der hämatopoetischen Stammzellen, die zusammen mit dem Spenderdarm transplantiert werden, zu erhöhen. Dies werde hoffentlich zu einer höheren Konzentration von Spenderblutzellen im Blutkreislauf des Empfängers führen sowie zu einer erhöhten Immuntoleranz und einem geringeren Bedarf an Immunsuppressiva.