Medizinprodukteverordnung: BVMed berichtet über Produkteinstellungen

Besorgt wegen der Auswirkungen der EU-Medizinprodukteverordnung: BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll. Foto: © BVMed | Darius Ramazani

Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR), die seit Mai 2021 gilt, zeigt laut einer Umfrage des Medizintechnik-Industrieverbandes BVMed bereits jetzt “dramatische Auswirkungen”, wie es in einer Mitteilung heißt.

Über 70 Prozent der BVMed-Mitgliedsunternehmen haben demnach aufgrund der MDR-Neuregelungen einzelne Medizinprodukte oder ganze Produktlinien eingestellt. An der Umfrage haben sich 88 Mitgliedsunternehmen des BVMed beteiligt. Darüber hinaus gaben 55 Prozent der Unternehmen an, dass bisherige Lieferanten bereits ihre Geschäftstätigkeit aufgrund der MDR eingestellt haben. „Wir müssen die im Markt sichtbaren Auswirkungen der MDR sehr ernst nehmen. Es drohen negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung. Der Handlungsdruck wächst. Wir brauchen jetzt Lösungen insbesondere für bewährte Bestandsprodukte und seltene Nischenprodukte, wie sie beispielsweise in den USA oder für seltene Arzneimittel in der EU existieren“, so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll.

Betroffen sind laut der Umfrage die Bereiche Endoprothetik, Implantate, Erste Hilfe, Wundversorgung, Kardiologie, Ophthalmologie, Gynäkologie, Urologie, Proktologie, Neurochirurgie und Gastroenterologie. Unter den eingestellten Produkten seien auch chirurgische Instrumente und Nischenprodukte.

Ausfall von Lieferanten

Der Verlust von Lieferanten führte in knapp 38 Prozent der Fälle zu einer Einstellung von Produkten oder sogar ganzen Produktlinien. Weitere Auswirkungen waren notwendige Designänderungen an den Produkten (27 Prozent) und damit einhergehende Auswirkungen auf die Gültigkeit bestehender Zertifikate (26 Prozent).

Rund 60 Prozent aller befragten MedTech-Unternehmen berichten über einen Anstieg der Kosten und eine längere Dauer eines Konformitätsbewertungsverfahrens über alle Medizinprodukte-Risikoklassen hinweg. Ungefähr 40 Prozent hat noch keine Kenntnis darüber. Je höher die Klasse, umso stärker hat sich die Dauer der Verfahren erhöht (55 bis 100 Prozent), während sich die Kosten über alle Klassen hinweg verdoppelt haben.

Aus einer weiteren BVMed-Blitzumfrage, an der sich 24 Mitgliedsunternehmen beteiligten, geht hervor, dass nur ein Drittel der Hersteller mit der Kommunikation mit ihrer Benannten Stelle zufrieden ist. Als kritische Themen werden die Unberechenbarkeit von zeitlichen Abläufen, oft wechselnde Vorlagen für Anträge, eine intransparente Preisgestaltung, mangelnde Ressourcen und Erreichbarkeit sowie unterschiedliche Ansichten über klinische Bewertungen sowie Klassifizierungen genannt.

Im August 2021 hatte bereits der Filmbeitrag „Medizinprodukte-EU-Verordnung verschlechtert Versorgung“ im ARD-Magazin “Plusminus” die Thematik aufgegriffen. Im Film kamen unter anderem Mediziner aus der Kinderchirurgie und der Orthopädie zu Wort, die mit den Folgen des neuen Medizinprodukte-Rechtsrahmens für die Patientenversorgung zu kämpfen haben. Bei der MDR handelt es sich um einen neuen Rechtsrahmen, der nach Ansicht des BVMed einen deutlich erhöhten bürokratischen Aufwand und erhebliche Kostensteigerungen mit sich bringt, „die vor allem die kleinen und mittelständischen Medizinprodukte-Unternehmen bedrohen“, so Möll.

BVMed fordert Sonderregelungen für Bestands- und Nischenprodukte

Der neue Rechtsrahmen betrifft dabei nicht nur neue Medizinprodukte, sondern auch alle Bestandsprodukte. Für solche Produkte fordert der Industrieverband pragmatische Lösungen beispielsweise über das Instrument der „Anerkennung klinischer Praxis“. Für „Orphan Devices“ (Nischenprodukte) müsse die Europäische Kommission Ausnahmeregelungen nach dem US-Vorbild der „Humanitarian Device Exemption“ sowie der „Orphan Drug“-Regelungen in Europa schaffen.

Weiterhin regt der BVMed an, dass für kleine und mittlere Unternehmen spezielle Förderprogramme beispielsweise zur Unterstützung von klinischen Studien aufgelegt werden. Diese Förderprogramme dürften sich nicht nur auf Neuentwicklungen und Innovationen beschränken, sondern müssten Bestandsprodukte einschließen.

(BVMed/ms)