Menschen gestehen Tieren Gedanken und Gefühle zu – betrachten sich selbst aber als mental einzigartig

Na, wie geht’s euch heute? (Symbolbild) Foto: © Irina Schmidt – stock.adobe.com

Wissenschaftler konnten zeigen: Menschen gehen davon aus, dass Tiere denken und fühlen – aber nicht wie wir. Von der Frage, ob Tiere Gedanken und Gefühle haben, hängt nicht zuletzt ab, wie empathisch und rücksichtsvoll Menschen mit Tieren umgehen.

Ein internationales Team unter der Leitung Leipziger Forschender hat nun herausgefunden, dass sich Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten in dieser Frage überraschend einig sind. Viele Erwachsene und Kinder nehmen zwar an, dass Tiere grundsätzlich denken und fühlen können, sie schreiben ihnen aber keine menschenähnlichen Gedanken zu.

Ein Großteil der bisherigen psychologischen Forschung zum menschlichen Blick auf Tiere nahm Personen aus westlichen Gesellschaften in den Fokus. Die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Kinder und Natur“ des Leipzig Labs an der Universität Leipzig und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) wählten für ihre großangelegte Studie einen kulturvergleichenden Ansatz. Demzufolge bezogen sie Menschen verschiedenen Alters aus verschiedenen gesellschaftlichen und sozio-kulturellen Kontexten ein. Für die Studie fragten sie mehr als 1000 Kinder (4 bis 17 Jahre) und knapp 200 Erwachsene aus 33 Gemeinschaften in 15 Ländern, inwieweit Tiere ihrer Ansicht nach zu Gedanken und Gefühlen fähig sind .

Glaube an die Einzigartigkeit menschlichen Denkens

Die weitgehend ähnlichen Einschätzungen überraschten die Forschenden, erklärt Prof. Katja Liebal von der Universität Leipzig. Die Wissenschaftlerin hat die Studie gemeinsam mit der Erstautorin Karri Neldner sowie Prof. Daniel Haun vom MPI-EVA geleitet. Die meisten Menschen zeigten sich in der Befragung überzeugt, dass Tiere zwar grundsätzlich zu Gedanken und Gefühlen fähig seien. Sie waren jedoch überzeugt, dass sich ihre Gedanken grundsätzlich vom Denken des Menschen unterscheiden würden. Weniger einheitlich fielen die Einschätzungen dazu aus, ob Tiere menschenähnliche Gefühle haben können.

Auch wenn die Stichprobengröße nicht ausreiche, um die Ergebnisse für alle Menschen zu verallgemeinern, sehen die Forschenden in den Daten Hinweise auf eine grundlegende menschliche Überzeugung. Was Menschen als trennend zwischen sich und anderen Tieren ansehen, ist vor allem das Denken. Menschen verstehen sich als mental einzigartig.

Folgen für den Umgang mit Tieren

„Der Glaube an die Einzigartigkeit menschlichen Denkens entsteht früh im Leben und bleibt über die gesamte Lebensspanne stabil“, erklärt Neldner. Diese Einschätzung habe wichtige Implikationen für den Umgang mit anderen Lebewesen. „Die den Tieren zugeschriebenen geistigen Fähigkeiten bestimmen auch ihren moralischen Status. Menschen können somit rechtfertigen, Tiere als Nahrung, Medizin oder zur Unterhaltung zu nutzen.“

Gleichzeitig würden Tierarten, die als empfindungsfähig oder menschenähnlich wahrgenommen würden, überproportional viel Schutz, Spenden und politische Unterstützung erhalten. „Das ist vor allem in Bezug auf das Artensterben und den Biodiversitätsverlust besonders problematisch: Insekten, die davon stark betroffen sind, erfahren sehr viel weniger Aufmerksamkeit und Interesse als Säugetiere, die jedoch nur einen Bruchteil der Artenvielfalt ausmachen“, so Liebal.

Stadtkinder sprechen Tieren öfter menschliche Gedanken zu

Darüber hinaus stellten die Forschenden fest, dass die befragten Kinder und Jugendlichen aus städtischen Gemeinden Tieren häufiger Gedanken und Gefühle zuschreiben als Gleichaltrige aus ländlichen Gebieten. Gründe dafür könnten sein, dass Kinder in Städten häufiger mit menschenähnlichen Darstellungen von Tieren konfrontiert sind. Oder, dass Kinder auf dem Land häufiger gefährlichen, schädlichen oder als Nutztiere gehaltenen Tieren begegneten. Dies könne emotionale Distanz fördern.

Für die Studie hatte das Forschungsteam eine ungewöhnliche Befragungsmethode gewählt. Anders als in vielen psychologischen Studien üblich, führten nicht Wissenschaftler die Interviews, sondern Menschen aus den jeweiligen kulturellen Kontexten und Gemeinschaften. Diese waren vorher in der Interviewführung und -auswertung ausgebildet worden.

Die Interviews wurden im Anschluss übersetzt, verschriftlicht und von den Forschenden sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgewertet. „Auch wenn der Studienverlauf sehr viel weniger kontrolliert war, als wenn wir Teilnehmende in ein Labor eingeladen hätten, sind wir davon überzeugt, dass die dadurch erhaltenen Daten viel wertvoller sind, da sie im jeweiligen kulturellen Kontext entstanden sind“, so Liebal.

Projekte der Arbeitsgruppe Leipzig Lab „Kinder und Natur“

Die Arbeitsgruppe Leipzig Lab „Kinder und Natur“ untersuchte von 2020 bis 2023 die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zu Tieren. Auch betrachteten die Wissenschaftler die Entwicklung dieser Einstellungen in verschiedenen sozio-kulturellen Kontexten. Die Gruppe setzte sich zusammen aus Forschenden aus der Verhaltensbiologie sowie der Entwicklungs- und Kulturvergleichenden Psychologie an der Universität Leipzig und am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie und weiteren Partnern. Aktuell arbeiten die beteiligten Forscher an der Auswertung der Daten und bereiten weitere Publikationen vor.

Weitere Informationen:

https://www.uni-leipzig.de/forschung/forschungsprofil/leipzig-lab/kinder-und-nat… Leipzig Lab „Kinder und Natur“