Mikrobiom-Therapie: Erfolgsfaktoren für Stuhltransplantationen ermittelt11. August 2022 Darmmikrobiom (Abbildung: © Kateryna_Kon/stock.adobe.com) Eine Behandlung von Patienten mit Antibiotika und einer Darmspülung vor einem fäkalen Mikrobiom-Transfer (FMT) begünstigt die Ansiedelung übertragener Bakterien der Spender. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart. Prof. W. Florian Fricke und Daniel Podlesny vom Fachgebiet Mikrobiom und Angewandte Bioinformatik entwickelten zusammen mit anderen Forschenden ein Modell, mit dem sich die Auswirkungen der Therapie auf das Darmmikrobiom individueller Patienten vorhersagen lässt. Es kann teilweise erklären, warum der Erfolg der Stuhltransplantation für die Behandlung mancher Erkrankungen wie Diabetes oder Colitis ulcerosa bisher durchwachsen ist. Dabei fanden die Wissenschaftler bei sehr unterschiedlichen Patientengruppen und Erkrankungen gemeinsame Mechanismen für die Neuorganisation des Mikrobioms nach der Transplantation – Ansatzpunkte, mit denen diese Form der Mikrobiom-Therapie klinisch optimiert und gezielter, das heißt auf individuelle Patientn zugeschnitten, eingesetzt werden kann. Vorhersagemodell mit breiten Anwendungsmöglichkeiten Noch weiß man relativ wenig über die Wechselwirkungen der Mikrobiome von Spendern und Patienten nach der Prozedur, das heißt welche Faktoren für eine erfolgreiche Ansiedelung der Spender-Bakterien im Darm der Empfänger notwendig sind und wie die Übertragung maximiert werden kann. „Unser Ziel war es, die Mechanismen zu verstehen die dabei eine Rolle spielen, und ein generelles Vorhersagemodell zu entwickeln, das für unterschiedliche Gruppen von Patienten Anwendung finden kann“, berichtet Fricke. Dies ist ihm und seinem Doktoranden Podlesny jetzt mit einer neuen, von ihrer Arbeitsgruppe entwickelten bioinformatischen Methode gelungen. Hierbei lag ein besonderer Fokus auf der Übertragung einzelner Bakterien oder Stämme durch die Transplantation. Dazu bedienten sie sich eines besonderen von ihnen entwickelten Verfahrens, um selbst kleine Veränderungen im Mikrobiom nachweisen zu können. Neben eigenen Forschungsergebnissen erfassten sie dafür auch Daten aus 14 weiteren klinischen Studien und werteten so die Daten von mehr als 250 mit Stuhltransplantation behandelter Personen aus. Die wichtigste Erkenntnis der Forschenden: Unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung setzte sich nach der Transplantation für die meisten Bakterienarten nur ein Stamm durch. Patienten enthielten zumeist entweder den gleichen Stamm wie vor der Behandlung oder einen neuen, übertragenen Stamm, aber nur in seltenen Fällen eine Mischung. Je stärker das vorhandene Darmmikrobiom bereits vor der Transplantation geschädigt war oder durch eine Vorbehandlung mit Antibiotika beeinträchtigt wurde, desto erfolgreicher konnten sich die gespendeten Mikroben ansiedeln. Die beiden Forscher stehen mit ihren Ergebnissen nicht allein: Zeitgleich und unabhängig voneinander kamen inzwischen auch die Arbeitsgruppe am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, in die Podlesny wechseln wird, sowie eine Arbeitsgruppe in Italien zu vergleichbaren Ergebnissen. Ökosystem Darm „Im Grunde genommen hat die Transplantation das Ziel, ein neues oder modifiziertes mikrobielles Ökosystem im Darm zu etablieren“, erklärt Fricke. „Normalerweise verhindert das Darmmikrobiom von gesunden Erwachsenen die Ansiedelung von eindringenden Mikroorganismen, die um dieselben ökologischen Nischen konkurrieren. Ist das natürliche Zusammenspiel gestört, können sich neue Mikroben besser ansiedeln oder vorhandene Stämme ersetzen.“ Dies ist nach Meinung der Forscher auch der Grund dafür, warum eine Stuhltransplantation vor allem bei wiederkehrenden Infektionen mit dem Bakterium Clostridioides difficile eine Erfolgsrate von rund 90 Prozent hat. Durch die wiederholte Einnahme von Antibiotika, die in der konventionellen Therapie gegen die Infektion eingesetzt werden, ist das Darmmikrobiom massiv gestört – ideale Voraussetzungen für die Kolonisierung mit neuen Bakterien nach einer Stuhltransplantation. Es erklärt außerdem, warum die Ansiedelung von neuen Mikroorganismen nach der Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa, schwerem Übergewicht oder Diabetes deutlich bescheidener ausfiel. Bei diesen Erkrankten fanden die Forschenden vor der Therapie ein weitgehend intaktes Darmmikrobiom vor. Schritt in Richtung personalisierte Medizin Allerdings zeigen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Ansätze auf, mit deren Hilfe die Effizienz von Stuhltransplantationen unabhängig von der zu behandelnden Grunderkrankung verbessert werden kann: Sowohl eine antibiotische Vorbehandlung als auch eine Darmspülung vor der Transplantation führten bei den Patienten zu einer verstärkten Ansiedelung übertragener Mikroorganismen. Dabei müssen die Risiken einer solchen Vorbehandlung jedoch mit der Schwere des Krankheitsbildes und dem zu erwartenden Behandlungserfolg abgewogen werden. Zudem weisen die Ergebnisse in Richtung personalisierte Medizin: In Simulationen mit ihrem Modell zeigte sich, dass die Anzahl übertragener Stämme von unterschiedlichen Spendern auf einzelne Patienten um einen Faktor von bis zu zehn schwanken kann. Dabei hing der Erfolg von der jeweiligen Kombination aus Patient und Spender ab. Damit könnte das Modell die Grundlage für personalisierte Ansätze der Stuhltransplantation bilden, wenn vor der Behandlung zunächst zueinander passende spendende und empfangende Personen ausgewählt werden. „Mit unserem Modell liefern wir einen Werkzeugkasten, mit dessen Hilfe man die Auswirkungen der Stuhltransplantation präzise vorhersagen und für Patient:innen individuell anpassen kann“, fasst Fricke den Nutzen zusammen. „Es ist ein Grundstein für zukünftige Entwicklungen von zielgerichteten, personalisierten Therapien zur Veränderung des Mikrobioms im Darm.“
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