Mutationen im RNU4-2-Gen lösen Entwicklungsstörungen aus

Proteinkodierende Abschnitte machen nur einen kleinen Bruchteil des Erbguts aus. Rund 98 Prozent der DNA sind nichtkodierend und damit noch nicht verstanden. (Foto: © Arek Socha – Pixabay)

Forschende der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, USA, und anderen Universitäten haben eine neue mögliche genetische Ursache für intellektuelle Behinderungen entdeckt. Sie fanden heraus, dass seltene Mutationen in einem Gen namens RNU4-2 stark mit kognitiven Einschränkungen und Entwicklungsstörungen verbunden sind.

Das Besondere an den neuen Erkenntnissen: RNU4-2 gehört zu jenen Genen, die nicht in ein Protein übersetzen, es handelt sich um ein nichtkodierendes Gen. Derlei Gene erfüllen oft wichtige strukturelle Aufgaben in der Zelle, ihre Erforschung ist aber komplexer, da ihre Funktionen oft weniger offensichtlich sind als bei proteinkodierenden Genen.

Die meisten bisher bekannten Genmutationen, die neurologische Entwicklungsstörungen auslösen können, betreffen proteinkodierende Gene. Dabei machen diese Gene nur etwa 1,5 Prozent des gesamten Genoms aus. Viele Menschen mit neurologischen Entwicklungsstörungen erhalten bisher trotz Gentests keine Diagnose. Das Forschungsinteresse an nichtkodierenden Genen ist deshalb groß.

Für ihre Untersuchungen nutzten die Forschenden Ganzgenom-Sequenzierungsdaten der National Genomic Research Library des Vereinigten Königreichs. Sie verglichen bei 5529 Menschen mit Intelligenzminderung und bei 46.401 Kontrollpersonen seltene Mutationen in insgesamt 441.132 nichtkodierenden Genen. Die am stärksten mit Intelligenzminderung assoziierten Genvarianten fanden sie in RNU4-2. Das Gen kodiert für eine Unterform der RNA, die snRNA. Diese ist Teil des Spleißosoms, das nach der Transkription nichtprotein-kodierende Abschnitte aus der RNA herausschneidet. Die beobachteten Mutationen in RNU4-2 sind der Studie zufolge neu entstanden („de novo“) und kommen nicht im Erbgut der Eltern vor.

Menschen mit Mutationen in RNU4-2 ähnelten sich in der Symptomausprägung so stark, dass die Forschenden davon ausgehen, dass diese Genmutationen der Grund für die Intelligenzminderung sind. Neben den kognitiven Einschränkungen kam es bei Betroffenen beispielsweise auch zu motorischen Entwicklungsverzögerungen‚ Krampfanfällen, einem kleineren Kopf sowie Kleinwuchs; die Forschenden sehen in dieser Symptomvielfalt ein neues Syndrom.

„Um genetische Erkrankungen zu behandeln, muss man ihren Ursprung verstehen. Das ist hier für eine Gruppe von Erkrankungen gelungen und allein die große Zahl an Betroffenen spricht dafür, dass man den Mechanismus der Erkrankung mit Hochdruck weiter erforschen wird. Man kann sich gut vorstellen, dass mit Kenntnis der Erkrankung auch die symptomatische Therapie der Betroffenen verbessert wird“, kommentiert Prof. Ingo Kurth,
Direktor des Instituts für Humangenetik und Genommedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, die Studienergebnisse.

Problematisch sei jedoch, dass bei Erkrankungen wie der RNU4-2-assoziierten Entwicklungsstörung bereits während der Entwicklung des Kindes im Mutterleib viel passiere und eine Therapie zu spät erfolge. „Dennoch gibt es Beispiele wie die Spinale Muskelatrophie, bei der auch ein früher Therapiebeginn nach Geburt einen wirklichen Benefit bringt. Wichtig ist auch hier: Genetische Störungen müssen früh erkannt und diagnostiziert werden. Je umfassender, umso besser.“