Nebenwirkung von Gabapentinoiden wird oft fehlinterpretiert

Gapapentin und Pregabalin werden vor allem zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt. (Symbolfoto: ©daniiD/stock.adobe.com)

Ödeme in den Beinen sind ein häufiges Anzeichen einer Herzinsuffizienz. Treten sie kurz nach Initiierung einer Therapie mit Gabapentinoiden auf, könnte es sich um eine Nebenwirkung handeln. Vielfach wird dies aber nicht in Betracht gezogen, verdeutlicht eine aktuelle US-Studie. Die Folge: Eine unnötige Verschreibungskaskade.

Gabapentionoide wie Gabapentin und Pregabalin werden zur Behandlung bestimmter Epilepsien sowie neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Wassereinlagerungen in Form von Ödemen zählen mit einer Inzidenz von etwa sieben bis zehn Prozent zu den häufigen Nebenwirkungen dieser Arzneistoffe.

Laut einer kürzlich in „JAMA Network Open“ publizierten Untersuchung könnten Ödeme in den unteren Extremitäten bei älteren Patienten allerdings oft als Symptom einer Herzinsuffizienz fehlinterpretiert werden. Das hatte in der US-amerikanischen Studie eine problematische Verschreibungskaskade von Schleifendiuretika zur Folge, die wiederum Nierenschäden, Schwindel und Stürze verursachen können.

Im letzten Jahr hatte eine australische Studiengruppe bereits berichtet, dass es bei gebrechlichen sowie nierenkranken Patienten, die mit Pregabalin oder Gabapentin behandelt werden, gehäuft zu Hüftfrakturen kommt (wir berichteten). Auch gibt es Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Kognition und ein erhöhtes Demenzrisiko unter längerfristiger Einnahme von Gabapentin bei chronischen Rückenschmerzen (wir berichteten).

Studie zur Verschreibungskaskade von Gabapentinoiden

Unter Leitung von Forschenden der University of California, San Francisco (UCSF) und des dort ansässigen Veterans Affairs Medical Centers untersuchten die Wissenschaftler nun die Verschreibungskaskade von Gabapentinoiden (Gabapentin und Pregabalin), Ödemen und Schleifendiuretika und wie sich diese auf die nachgelagerten Ergebnisse der Patienten auswirkt. Dazu verfolgten sie die Krankenakten von 120 US-Veteranen mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren.

Die meisten der inkludierten Patienten waren männlich (n=116) und ein Großteil (n=106) stand unter Dauermedikation mit fünf oder mehr Medikamenten. Für ihre Untersuchung hatten die Forschenden jene Personen ausgewählt, denen zunächst Gabapentinoide verschrieben worden waren und kurz darauf Schleifendiuretika.

Gabapentinoide selten als Ursache für Ödeme genannt

Bei insgesamt 116 Patienten war die Indikation für die Verschreibung von Schleifendiuretika notiert worden. Am häufigsten handelte es sich dabei um Ödeme der unteren Extremitäten (n=104), Herzinsuffizienz (n=16) und/oder Dyspnoe (n=15). Bei 73 Patienten (60,8 %) wurde eine Differentialdiagnose für Ödeme dokumentiert, wobei am häufigsten auf Herzinsuffizienz (n=47) und/oder venöse Stauung (n=16) verwiesen wurde. In nur vier Fällen betrachteten die behandelnden Ärzte die Medikamente als Ursache der Ödeme.

Alle Ärzte, einschließlich derjenigen, die Gabapentinoide als Ursache vermuteten, verschrieben Schleifendiuretika. In den 60 Tagen nach Initiierung dieser traten bei 28 Patienten (23,3 %) 37 Ereignisse auf, die möglicherweise auf den Beginn der Diuretikabehandlung zurückzuführen waren. Die häufigsten Folgeereignisse waren eine Verschlechterung der Nierenfunktion (n=9), Schwindel (n=7), Elektrolytstörungen (n=6) und Stürze (n=5). Sechs Patienten wurden ins Krankenhaus eingeliefert oder in der Notaufnahme untersucht. Es wurde kein Unterschied hinsichtlich Differentialdiagnosen, Indikationen und Folgemaßnahmen bei Patienten mit und ohne Demenz festgestellt.

Verschreibungskaskade vermeiden

Die Autoren weisen auf mehrere Limitationen ihrer Studie hin. Zum einen beruhte die Analyse auf der Dokumentation in Krankenakten. Nicht dokumentierte Überlegungen der Behandelnden konnten daher nicht erfasst werden. Somit sind die Einblicke in die klinischen Entscheidungsprozesse begrenzt. Zudem wurden nur Fälle mit möglicher Verschreibungskaskade beurteilt, nicht aber Situationen, in denen die Behandler ein Diuretikum bewusst nicht verordneten. Möglicherweise spiegeln die Beobachtungen daher nicht das gesamte Spektrum der Verschreibungskaskaden in der klinischen Praxis wider. Und schließlich sind die Daten nur eingeschränkt übertragbar, denn sie stammen aus einem speziellen Gesundheitssystem mit überwiegend männlicher Population.

Das Fazit der Autoren fällt insgesamt dennoch ernüchternd aus. Basierend auf ihren Ergebnissen halten sie potenzielle Folgeschäden übersehener Gabapentinoid-Schleifendiuretika-Verschreibungskaskaden für häufig. Das unterstreiche die Bedeutung der Bekämpfung von Verschreibungskaskaden in der klinischen Praxis. Dazu sei es wichtig, die Entscheidungsprozesse, die der Verschreibungskaskade zugrunde liegen, über die Dokumentation hinaus weiter zu untersuchen, zum Beispiel mittels qualitativer Interviews mit verschreibenden Ärzten und Patienten.

Doch was bedeutet das für die klinische Praxis? Erstautor und Geriater Dr. Matthew Growdon von der UCSF fordert die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf, Gabapentinoide nur bei klarer Indikationsstellung und nicht in unnötig hohen Dosen zu verschreiben, um das Risiko von Verschreibungskaskaden und anderen Nebenwirkungen zu verringern.

(ah/BIERMANN)