Neue DKFZ-Untersuchung: Schutzwirkung der Vorsorge-Koloskopie wurde in der NordICC-Studie unterschätzt

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Wie stark der tatsächliche Schutzeffekt der Vorsorge-Koloskopie bislang unterschätzt wurde, haben Forschende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) mithilfe eines mathematischen Simulationsansatzes ermittelt.

Die Modellrechnungen bestätigen eine Screening-bedingte Reduktion der Darmkrebs-Neuerkrankungen um deutlich mehr als 50 Prozent – ein Wert, der im Einklang mit den langjährigen klinischen und epidemiologischen Beobachtungen steht.

Die Vorsorge-Darmspiegelung, so heißt es in einer Mitteilung des DKFZ, gelte seit ihrer Einführung als Erfolgsgeschichte: In den USA sank die Krebsneuerkrankungsrate der älteren Bevölkerung nach flächendeckender Einführung der Darmspiegelung etwa um die Hälfte – obwohl Darmkrebs-Risikofaktoren wie etwa Fettleibigkeit im gleichen Zeitraum eher zunahmen.

Jedoch: Die publizierten Langzeit-Ergebnisse der ersten randomisierten kontrollierten Studie (RCT) zur Wirksamkeit der Screening-Koloskopie (NordICC-Studie) deuteten auf eine mit 18 Prozent eher bescheidene Reduktion des Darmkrebsrisikos hin. DKFZ-Wissenschaftler haben bereits mehrfach auf Schwachstellen des Studiendesigns, der Auswertung und der Dateninterpretation aufmerksam gemacht. „Die in dieser Arbeit ermittelte Risikoreduktion von 18 Prozent innerhalb von zehn Jahren wirkt auf den ersten Blick enttäuschend. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Ergebnis eher die Studienbedingungen reflektiert als die Situation im wirklichen Leben“, erklärt Prof. Hermann Brenner, Epidemiologe vom DKFZ.

Auf eine bislang wenig beachtete Ursache für eine Verzerrung der Ergebnisse von RCTs zur Darmkrebsvorsorge konzentrieren sich Brenner und Kollegen in ihrer aktuellen Publikation. In die Risikoschätzungen der NordICC Studie floss ein erheblicher Anteil von Darmkrebsfällen ein, die schon beim Studieneintritt vorhanden waren. Trotzdem wurden sie wie neu aufgetretene Fälle gewertet. Die Experten sprechen bei diesem Phänomen von einer „Prävalenz-Verzerrung“.

„Das verletzt einen zentralen Grundsatz randomisierter Präventionsstudien, wonach nur Personen, die noch nicht an der Krankheit leiden, die man verhindern will, in die Messung des Präventionseffekts einbezogen werden sollten“, erklärt Brenner und verdeutlicht: „Krebs, der sich bereits entwickelt hat, kann man nicht mehr vorbeugen.“

Das Team um Brenner und Thomas Heisser, den Erstautor der aktuellen Publikation, hat nun ermittelt, wie stark die tatsächliche Schutzwirkung durch die Prävalenz-Verzerrung unterschätzt wird. Dazu bildeten die Forscher in einem Simulationsansatz die NordICC-Studie mit und ohne präklinische Krebserkrankungen bei Studieneintritt nach. Dafür nutzten sie ein mathematisches Modell, das den natürlichen Verlauf von Darmkrebs auf der Grundlage der Entwicklung von Adenomen zu präklinischem und klinischem Krebs simuliert. Die Ergebnisse waren eindeutig: Betrachtet man ausschließlich die neu auftretenden Darmkrebsfälle, so zeigte sich über den gesamten Zehn-Jahres-Zeitraum ein erheblicher Schutzeffekt des Screenings. „Unsere Modellrechnungen bestätigen das hohe präventive Potenzial der Darmspiegelung, das bei methodisch angemessener Analyse auch in der NordICC-Studie gefunden worden wäre“, sagt Brenner.

Doch auch wenn die Koloskopie bei der Prävention von Darmkrebs hochwirksam ist, so hängt der Erfolg eines Screening-Programms erheblich davon ab, wie es angeboten und genutzt wird. Relevante Größen sind zum Beispiel das Einstiegsalter und die Teilnahmerate der Menschen in der relevanten Altersgruppe. „In Deutschland ist die Darmkrebs-Inzidenz seit Einführung der Vorsorge-Koloskopie im Jahr 2002 bereits um etwa 30 Prozent zurückgegangen. Dennoch erkranken pro Jahr immer noch ca. 55.000 Menschen an Darmkrebs. Bei einer besseren Nutzung der Darmkrebs-Vorsorge könnten wir noch sehr viel mehr Darmkrebsfälle verhindern“, ergänzen die DKFZ-Forscher.