Neue S3-Leitlinie zum Oro- und Hypopharynxkarzinom

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In diesem Jahr erstmals vorgelegt: die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Oro- und Hypopharynxkarzinoms. Ausdrücklich weist die Leitlinie auf die größten Risikofaktoren – Nikotin, Alkohol und HPV – hin.

Rund 15.000 Menschen erkranken jedes Jahr in Deutschland neu an einem Oropharynxkarzinom, 1300 Menschen an einem Hypopharynxkarzinom. Neben den Hauptrisikofaktoren Rauchen und Alkoholkonsum spielt die Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV) für das Auftreten der Erkrankung eine immer größere Rolle. Experten sprechen bei HPV-bedingten Krebserkrankungen heute bereits von einer eigenen Tumorsubgruppe. Eine unter maßgeblicher Beteiligung von HNO-Fachärztinnen und Fachärzten entwickelte und in diesem Jahr erstmals publizierte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Oro- und Hypopharynxkarzinoms bündelt das aktuelle Wissen und gibt Handlungsempfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Erkrankung.

Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Leipzig und Mit-Koordinator der Leitlinie, Prof. Andreas Dietz, unterstreicht die Bedeutung der Veröffentlichung: „Die Leitlinie ist ein hoch konzentriertes Empfehlungswerk, das sich an Ärzte, Pflegekräfte, Logopäden und Patienten richtet. Sie schließt die Lücke zwischen den bereits existierenden S3-Leitlinien zum Plattenepithelkarzinom des Kehlkopfes und der Mundhöhle.“

Bei der Zahl der jährlichen Neuerkrankungen zeige sich eine gegenläufige Tendenz bei den beiden Tumorarten: „Wegen seiner Verbindung mit HPV-16, einem der Hochrisiko-Typen der humanen Papillomaviren, nimmt das Oropharynxkarzinom eine besondere Stellung unter den Kopf-Hals-Tumoren ein“, erklärt Dietz. In den letzten 25 Jahren habe sich das Oropharynxkarzinom als das in seiner Inzidenz am stärksten zunehmende Karzinom im Kopf-Hals-Bereich in Deutschland herausgebildet. Dagegen sei die Inzidenz des Hypopharynxkarzinoms stabil bis geringgradig rückläufig, berichtet der Klinikdirektor.

Chronischer Tabak- oder Alkoholgenuss ist gefährlich

Auch beim Blick auf die Risikofaktoren müsse zwischen den Tumorentitäten unterschieden werden: „Hauptrisikofaktoren für das Auftreten eines nicht durch HPV-16-verursachten Oro- und Hypopharynxkarzinoms sind chronischer Tabak- oder Alkoholgenuss. Wesentlich seltener können auch andere Faktoren eine Rolle spielen, so zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten.“ Beim HPV-assoziierten Oropharynxkarzinom handele es sich um eine vom HPV-16-negativen Oropharynxkarzinom unterscheidbare eigene Tumorgruppe. „Für die Entstehung von HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen spielt fast ausschließlich das HPV-16-Virus eine Rolle. Die Infektion wird überwiegend durch Sexualverkehr übertragen“, erläutert Professor Dietz.

Außerdem weise die Leitlinie darauf hin, dass das reine HPV-16-assoziierte, nicht durch schädliche Genussstoffe begünstigte Oropharynxkarzinom in Deutschland nur sehr selten vorkomme. Dietz: „Die überwiegende Mehrzahl der Patienten weist eine Mischung aus HPV-16 und vorhandener Noxenexposition, also Nikotin- und Alkoholkonsum, auf. Insofern verwischen die Grenzen der vermeintlich als unterschiedlich zu betrachtenden beiden Oropharynxkarzinom-Entitäten.“ Die Leitlinie weise ausdrücklich darauf hin, dass die „klassischen“ Risikofaktoren Tabak- und Alkoholkonsum nach wie vor eine ausschlaggebende Rolle bei der Neubildung der Tumoren spielen.

HPV-Impfung für Mädchen und Jungen ab 9 Jahren empfohlen

Zur Vermeidung einer Krebserkrankung im Mundrachenbereich sei ein Verzicht auf Tabak und Alkohol geboten. „Männer und Frauen, die regelmäßig stark rauchen und größere Mengen Alkohol konsumieren, haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an Oro- und Hypopharynxkarzinomen zu erkranken.“ Bei einer Ernährungsumstellung auf ausgewogene mediterrane Kost lasse sich das Risiko für eine Karzinomentwicklung im Rachen zudem senken. Die schützenden Schlüsselelemente der mediterranen Ernährung seien Zitrusfrüchte, Gemüse – besonders frische Tomaten –, Olivenöl und Fischöle.

Zur Vorbeugung einer HPV-assoziierten Erkrankung werde von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren die Impfung gegen HPV empfohlen. „Ein vollständiger Impfschutz kann nur erreicht werden, wenn es vor der Impfung noch zu keiner längeren HPV-Infektion gekommen ist. Deshalb sollte die Impfung idealerweise vor Aufnahme erster sexueller Kontakte durchgeführt werden“, hebt Dietz hervor.

Schnelle fachärztliche Abklärung notwendig

Bei Verdacht auf einen Kopf-Hals-Tumor sei eine schnelle Abklärung notwendig, fährt der Leipziger Krebsexperte fort. „In der Leitlinie wird zur fachärztlichen Untersuchung geraten, wenn die Patienten über vier Wochen eine der folgenden Beschwerden haben: Blutbeimengungen im Speichel, Heiserkeit, Schwierigkeiten beim Sprechen und Atmen, anhaltendes, speziell einseitiges Fremdkörpergefühl, ins Ohr ausstrahlende Schmerzen, unklares Bluthusten, Schluckstörungen und/oder Schmerzen beim Schlucken, Schwellung am Hals oder Mundgeruch.“ Zur Diagnose erfolge eine endoskopische Untersuchung des Rachen- und Mundraums in einer HNO-Praxis oder -Klinik.

Klare Absage zur HPV-Impfung nach erfolgter Therapie

Bei der Feststellung eines Tumors empfehle die Leitlinie eine interdisziplinär abgestimmte, individuelle Behandlung in einem Tumorzentrum, so Dietz weiter. Neben chirurgischen Verfahren stehen radioonkologische und chemotherapeutische Ansätze zur Verfügung. Eine klare Absage erteile die Leitlinie der HPV-Impfung nach einer erfolgten Therapie, ergänzt der Experte. „Patienten fragen immer wieder, was sie gegen ein Wiederkehren des überstandenen Tumors tun können. Da einige Ärzte eine Impfung zur Verstärkung der Immunabwehr bei bekannter Karzinom-Erkrankung durchführen, ordnet die Leitlinie relativ deutlich ein, dass diese Impfung wirkungslos und daher nicht sinnvoll ist.“

Die Prognose für die erkrankten Patienten hängt von verschiedenen Faktoren ab, so unter anderem dem Entstehungsort, der Größe sowie weiteren Eigenschaften des Tumors. Ferner seien der HPV-16-Status, die Ausbreitung in die Lymphgefäße sowie das Alter des Patienten relevant. „Bei vom HPV-Virus ausgelösten Oropharynxkarzinomen ist die Vorhersage meistens besser. Auch bei kleineren Mundrachenkarzinomen schlägt die Behandlung in der Regel gut an. Wichtig für den Therapieerfolg sind eine frühzeitige Diagnose und ein schneller Behandlungsbeginn durch spezialisierte Tumorteams“, unterstreicht Andreas Dietz.

Der Vortrag „Die neue S3-Leitlinie Oro-, Hypopharynxkarzinom – Praxisrelevante Präzisierungen der Diagnostik und Therapie“ (Donnerstag, 31. Oktober 2024, 15:00–15:25 Uhr, Congress Center Rosengarten Mannheim, Musensaal) ist Teil des Hauptprogramms der 57. Fortbildungsveranstaltung für HNO-Ärzte in Mannheim.