Neuer Stammzell-Mechanismus im Darm entdeckt

Darmzotten (Abbildung: © tonaquatic/stock.adobe.com)

Wissenschaftler haben einen neuen biophysikalischen Mechanismus gefunden, der die Stammzellen im Darm von Mäusen reguliert. Dort wird eine Stammzelle nicht nur durch intrinsische molekulare Marker definiert, sondern auch durch ihren Standort und Bewegungen in ihrer Umgebung. Dies könnte zu neuen Behandlungsmethoden führen.

Bernat Corominas-Murtra, ein ehemaliger Postdoc am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und jetzt Assistenzprofessor an der Universität Graz (beide Österreich), und Edouard Hannezo, Professor am ISTA, arbeiteten mit einer internationalen Gruppe experimentell Forschender unter der Leitung des Teams von Jacco Van Rheenen in Amsterdam (Niederlande) zusammen, um die Stammzellen im Darmepithel zu untersuchen. Dabei entdeckten sie einen neuen Mechanismus, der das Verständnis von Stammzellen verändern könnte.

Das Darmepithel überzieht alle Darmzotten, zwischen denen die Lieberkühn-Krypten liegen. Unklar war bisher, was dort geschieht. „Am Boden der Krypten teilen sich die Stammzellen des Darmepithels ständig. Ein Teil der dabei entstehenden Zellen verbleibt als Stammzellen in der Krypta, die anderen werden nach außen an die Spitze der umgebenden Zotten geschoben“, erklärt Corominas-Murtra. „Dort differenzieren sie sich schließlich zu funktionellen Zelltypen, die den Darm erst funktionieren lassen und nach einigen Tagen wieder abgestoßen werden. Das passiert ständig in unserem Körper, und wenn dieser Mechanismus versagt, kann es zu ernsthaften medizinischen Problemen kommen.“

Als sie die Stammzellen im Dünn- und Dickdarm untersuchten, waren die Wissenschafter zunächst verblüfft. „Normalerweise denken wir, dass Stammzellen durch intrinsische biochemische Eigenschaften einer Zelle bestimmt werden – so etwas wie ein biochemischer Marker, den wir identifizieren können“, fährt Corominas-Murtra fort. “Wir fanden heraus, dass unter den Zellen, die diesen traditionellen Stammzellmarker hatten, viele von ihnen nie wirklich als Stammzellen funktionierten. Stattdessen werden sie aus den Krypten verdrängt und entsorgt, ohne überhaupt zur langfristigen Erneuerung des Darms beizutragen. Wir sahen auch, dass die klassischen Marker zwar etwa die gleiche Anzahl von Stammzellen im Dünn- und Dickdarm vorhersagten, dass aber im Dünndarm etwa doppelt so viele von ihnen tatsächlich als Stammzellen arbeiteten wie im Dickdarm.“ Die Forschenden wollten daher verstehen, was für ein Mechanismus bestimmt, welche Zellen tatsächlich als Stammzellen fungieren. Sie fanden einen überraschenden neuen Mechanismus, der die Stammzellen in den Krypten reguliert.

„Wir haben herausgefunden, dass es auf den Standort ankommt, ob eine Zelle als Stammzelle funktioniert oder nicht. Die Zellen im Darmepithel werden nicht nur von den Zellteilungen aus der Krypta herausgeschoben – wie auf einem Fließband –, sondern es ist noch eine andere Art von Bewegung im Spiel“, erklärt Corominas-Murtra. Die Wissenschafter fanden heraus, dass sich Zellen im Darmepithel auch aktiv in zufällige Richtungen bewegen – gewissermaßen vor und zurück auf dem Förderband. Auf diese Weise können Zellen, die bereits ein kleines Stück entlang des Förderbands geschoben wurden, wieder an der Basis der Krypta landen. Dort können sie dann erneut als Stammzellen fungieren, um sich zu teilen und das Darmepithel zu erneuern.

Edouard Hannezo erklärt die möglichen Auswirkungen dieser Ergebnisse: „Diese Bewegungen stellen einen neuen Mechanismus basierend auf der Umgebung dar, der bestimmt, welche Zellen funktionell als Stammzellen fungieren können. Im Dünndarm ist das molekulare Signal, das diese Bewegungen steuert, stärker als im Dickdarm, sodass die Zellen häufiger in die Krypta zurückwandern können. Dies erklärt, warum es im Dünndarm mehr tatsächlich funktionierende Stammzellen gibt als im Dickdarm. Dies könnte große Auswirkungen auf unser Verständnis davon haben, was eine Stammzelle eigentlich ist und wie man sie in der Medizin einsetzen kann.“

Diese Erkenntnis stützt sich auf frühere Ergebnisse von Corominas-Murtra und Hannezo am ISTA und die Arbeit der Van-Rheenen-Gruppe. Ursprünglich aus der Physik kommend, entwickelten Corominas-Murtra und Hannezo ein komplexes mathematisches Modell des Darmepithels, das die Bewegung der Zellen sowohl von der Krypta weg als auch zurück zu ihr abbildet. Mit Hilfe ihres Modells konnten sie die Anzahl der tatsächlich funktionierenden Stammzellen in Dünn- und Dickdarm vorhersagen. Eine Reihe anderer Forschergruppen aus ganz Europa entwickelte Experimente mit den neuesten Methoden der Mikroskopie und Genetik, um die Vorhersagen zu testen, und sie erwiesen sich als zutreffend. Sie versuchten sogar, das chemische Signal in den Krypten zu hemmen und stellten fest, dass sich dadurch die Anzahl der funktionierenden Stammzellen wie vorhergesagt reduzierte.