Neuer Therapieansatz für seltene Hirnerkrankung im Kindesalter

Lichtmikroskopische Aufnahme von Mikrogliazellen in gesundem Hirngewebe mit Silberimprägnation nach Rio Hortega. (Foto: © JosLuis – stock.adobe.com)

Freiburger Mediziner zeigen erstmals, dass Immunzellen im Gehirn an der Entsorgung von Stoffwechselprodukten beteiligt sind. Diese Erkenntnis kann helfen, eine Therapien für Kinder mit Morbus Sandhoff zu entwickeln.  

Forschende des Universitätsklinikums Freiburg haben gemeinsam mit einem internationalen Team aus Mannheim, Göttingen, Boston (USA), Fukuoka (Japan) und dem Max-Planck-Institut für Immunobiologie und Epigenetik (MPI-IE) in Freiburg herausgefunden, dass Immunzellen im Gehirn die Nervenzellen bei der Entsorgung von Stoffwechselprodukten unterstützen. Sie konnten zeigen, dass eine Störung dieser bislang unbekannten Funktion zur seltenen, schweren kindlichen Demenz Morbus Sandhoff führt. Dabei können im Gehirn Fettsäuren nicht abgebaut werden, was letztlich zum Tod der Kinder führt. Aufbauend auf den Ergebnissen kann nun eine Therapie entwickelt werden, die an der Ursache der Erkrankung angreift. Auch für andere neurologische Erkrankungen könne diese Erkenntnis von Bedeutung sein., schreiben die Forschenden in „Nature“.

„Unsere Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie wichtig das Zusammenspiel von Immun- und Nervenzellen für die Hirngesundheit ist – das eröffnet neue Therapieperspektiven, nicht nur für die Sandhoff-Krankheit, sondern auch für andere neurodegenerative Erkrankungen“, erklärt Studienleiter Prof. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg und Mitglied des Exzellenzcluster Centre for Integrative Biological Signalling Studies (CIBSS) der Universität Freiburg. „Für die Sandhoff-Krankheit ist das ein wichtiger Schritt hin zu einer spezifischen Therapie.“

Nervenzellen können nur mit Unterstützung Fettstoffe abbauen

Morbus Sandhoff ist eine lysosomale Speichererkrankung, bei der sich insbesondere der Fettstoff GM2 in den Nervenzellen ansammelt – mit schweren neurologischen Folgen bis zur vollständigen Demenz und dem Tod bereits im Kindesalter.

Das Forschungsteam hat nun herausgefunden, dass Mikrogliazellen im gesunden Zustand das Enzym β-Hexosaminidase ausschütten. Dieses gelangt zu benachbarten Nervenzellen und hilft dort beim Abbau von GM2. Fehlt das Enzym, wie bei der Sandhoff-Krankheit, stauen sich GM2-Fettmoleküle in den Nervenzellen an. Dies wiederum aktiviert die Mikrogliazellen auf ungewöhnliche Weise: Sie erkennen GM2 über einen speziellen Rezeptor und beginnen, entzündungsfördernde Botenstoffe freizusetzen. Die Folge: eine zerstörerische Immunreaktion im Gehirn.

Neues Verständnis – Neue Therapieansätze

Die Forschenden konnten nicht nur diesen bislang unbekannten Signalweg entschlüsseln, sondern auch zeigen: Wenn Mikrogliazellen im Mausmodell gezielt durch gesunde Immunzellen aus dem Blut ersetzt werden, lässt sich der Krankheitsverlauf stoppen. Die Nervenzellen bauen wieder GM2 ab, die Entzündungsreaktionen gehen zurück, und die Tiere überleben ihre sonst tödliche Erkrankung. „Unsere Studie zeigt, dass Mikrogliazellen nicht nur Wächter des Gehirns sind, sondern aktiv zur Gesundheit von Nervenzellen beitragen – indem sie ihnen bei der Entsorgung von Stoffwechselabfällen helfen“, erklärt Erstautor Dr. Maximilian Frosch, Arzt am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg. „Dieser Mechanismus könnte auch bei Alzheimer, Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen.“

Blick in die Zukunft

Auch im Gewebe verstorbener Sandhoff-Patienten fanden sich dieselben molekularen Veränderungen wie im Mausmodell – ein starkes Indiz für die Übertragbarkeit auf den Menschen. „Langfristig könnten genetisch veränderte Immunzellen oder spezifische Wirkstoffe, die in diesen neu entdeckten Signalweg eingreifen, neue Behandlungsoptionen für zahlreiche neurologische Erkrankungen bieten“, ist Prinz überzeugt.