Neurologische Entwicklungstörungen: Wann sollte ein Gentest erfolgen?

Eine Kinderärztin untersucht die motorische Entwicklung eines Babys. (Foto: © Cello Armstrong – stock.adobe.com)

Motorische Verzögerungen und ein niedriger Muskeltonus sind bei Kindern mit neurologischen Entwicklungsstörungen häufige Anzeichen für eine zugrundeliegende genetische Erkrankung. Das zeigt eine Studie der University of California in Los Angeles (UCLA), USA.

Angesichts einer bislang begrenzten Datenlage zu den frühen Symptomen neurologischer Entwicklungsstörungen, die eine positive Gendiagnose vorhersagen, wollten die Studienautoren herausfinden, welche Faktoren bei dieser Untergruppe von Kindern die Notwendigkeit eines Gentests anzeigen. „Bei Gentests kann ein diagnostisches Ergebnis Vorteile für die medizinische Versorgung bringen, aber wir haben keine etablierten klinischen Richtlinien für die frühen neurologischen Entwicklungssymptome, die bestimmen, wer einen Gentest erhält oder nicht“, erklärte Dr. Julian Martinez, leitender Mitautor der Studie und medizinischer Genetiker an der UCLA Health.

Für die Studie, die in der Zeitschrift „Genetics in Medicine“ veröffentlicht wurde, werteten die Forschenden die Krankenakten von 316 Patienten aus, die zwischen 2014 und 2019 in der UCLA Care And Research In NeuroGenetics (CARING) Clinic behandelt wurden. In dem multidisziplinären Zentrum arbeiten Psychiater, Genetiker, Neurologen und Psychologen zusammen, um Patienten mit neurologischen Entwicklungsstörungen zu behandeln. Die Patienten wurden anhand ihrer Gentestergebnisse in Kategorien eingeteilt. Anschließend dokumentierten die Forscher klinische Faktoren, die zwischen Patienten mit und ohne Gendiagnose unterschieden.

Dabei zeigte sich, dass Patienten mit einer Gendiagnose insgesamt eher weiblich waren und aufgrund einer motorischen Verzögerung, eines niedrigen Muskeltonus und/oder eines angeborenen Herzfehlers eine Frühbehandlung erhielten. In der Studiengruppe hatten 75 Prozent der Patienten mit motorischer Verzögerung eine genetische Diagnose, bei Patienten ohne motorische Verzögerung waren ein niedriger Muskeltonus und das Alter beim Gehen weitere Indikatoren für eine genetische Krankheitsursache.

„Viele Jahre lang hat die Genetik fleißig daran gearbeitet, herauszufinden, welche Patienten am meisten von Gentests profitieren würden“, erklärte Martinez. „Es ist also hilfreich zu wissen, dass eine Verzögerung der motorischen Fähigkeiten eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine Gendiagnose mit sich bringt.“

Insgesamt bringe die Studie die Entwicklung evidenzbasierter Richtlinien für Gentests bei neurologischen Entwicklungsstörungen näher, erkärte Dr. Aaron Besterman, Hauptautor der Studie und ehemaliger Postdoktorand an der UCLA Health. „Indem wir die wichtigsten klinischen Merkmale identifizieren, können wir sicherstellen, dass die Kinder, die am ehesten von Gentests profitieren, diese umgehend erhalten.“

Martinez ergänzte, dass eine frühzeitige genetische Diagnose dazu führen könne, dass eine Komorbidität wie ein angeborener Herzfehler oder eine psychiatrische Erkrankung behandelt oder frühzeitig erkannt werden könne oder eine höhere Wahrscheinlichkeit von Krampfanfällen ersichtlich werde.

„Mit dem Einsatz genetischer Untersuchungen und der Präzisionsmedizin soll die diagnostische Odyssee – also die lange Zeit, die ein Patient braucht, um eine Diagnose zu erhalten – verkürzt werden, sodass wir uns um den Patienten kümmern und die personalisierte Pflege anbieten können, die speziell für den Patienten mit einer einzigartigen Diagnose am besten geeignet ist“, erklärte Martinez.