Organspenderegister in Deutschland – Top oder Flop?

Einträge im Organspenderegister bieten eine solide Grundlage für das Gespräch mit den Angehörigen, betonen Experten. Foto: DSO / Thomas Goos

Wird die Einführung eines Organspenderegisters die Spenderzahlen nach oben bringen? Experten äußern sich skeptisch. Immerhin könnte das Register für mehr Klarheit und bessere Abläufe sorgen. Die Erfahrungen aus dem Ausland ließen sich nutzen, um einen Fehlstart in Deutschland zu verhindern.

Da es in fast allen EU-Ländern ähnliche Register bereits gibt, fragte das Heidelberger Science Media Center (SMC) mehrere Experten im In- und Ausland nach ihrer Einschätzung zu den Effekten in Deutschland.

„Das Register könnte einen neuen Schub für die Organspende in Deutschland bedeuten. Umfragen haben immer wieder gezeigt, dass die Spendebereitschaft in der Bevölkerung groß ist“, erklärt Prof. Moritz Schmelzle, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „Wir im Transplantationszentrum begrüßen alle Maßnahmen, die eine Dokumentation der Entscheidung zur Organspende zu Lebenszeiten unterstützen, und hoffen, dass möglichst viele Menschen ihre Entscheidung eintragen werden.“

Mehr Organspenden durch das Register?

Dr. Frank Logemann, Transplantationsbeauftragter an der MHH, ist bezüglich der positiven Impulse zurückhaltender: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Erklärendenportal in den ersten Jahren des Registers hochfrequent genutzt werden wird, wenn nicht gleichzeitig Aufklärung generell, Beratung im Einzelfall zur Organspende und Hilfestellung beim Eintrag in das Register geleistet werden. Eine Zunahme der Organspendehäufigkeit wird durch das Bereitstellen des Registers allein nicht spürbar werden. Dennoch wird es wahrscheinlich in diesem Jahr zu einer Zunahme der Organspenden kommen, weil mit dem Registerstart und der derzeit diskutierten Einrichtung einer Form von Widerspruchslösung das Thema Organspende präsenter wird und sich Menschen häufiger mit ihrem Umfeld über ihre Einstellung dazu austauschen werden.“

Prof. Eva-Maria Merz, Professorin der Abteilung Soziologie an der Universität Amsterdam (Niederlande) betont ebenfalls die Bedeutung umfassender Information über das neue Register: „Große Hürden, die das Funktionieren eines solchen Registers erschweren könnten, sind beispielsweise (zu) wenig Information und Verständnis zur Funktion eines digitalen Registers. Weitere Hürden sind mangelndes Vertrauen in die Datensicherheit, aber auch mehr allgemein in die Integrität und das Funktionieren des Gesundheitssystems sowie Desinformationen zu Faktoren, die eine Organspende ermöglichen oder verhindern – wie beispielsweise der Gesundheitszustand, Religion und Lebenswandel des potenziellen Spenders.“

Ungute Erfahrungen aus der Schweiz

In der Schweiz wurde das Vertrauen in die Datensicherheit bereits schwer beschädigt: Das Land hatte bereits ein Register, sperrte es aber aufgrund der Anfälligkeit für Hacker-Angriffe 2022 wieder. In Zukunft – frühestens 2026 – soll die dortige Zustimmungslösung von der Widerspruchslösung abgelöst und dann ein neues Register eingeführt werden.

PD Dr. Franz Immer, Direktor von Swisstransplant, resümiert: „Von der Einführung im Oktober 2018 bis zur Betriebseinstellung im Januar 2022 gab es 130.000 Registereinträge. Dies entspricht weniger als zwei Prozent der Bevölkerung über 16 Jahre. (…) Im Schnitt gab es pro Tag zwei bis drei Anfragen von Entnahmespitälern an Swisstransplant. Insgesamt gab es von Oktober 2018 bis Januar 2022 jedoch nur 23 Treffer bei der Registerabfrage. Das Register hat somit nicht zum Anstieg der Spenderzahlen in der Schweiz geführt, sondern bot eine zeitgemäße, elektronische Möglichkeit, den Entscheid zu hinterlegen und diesen rund um die Uhr zu modifizieren, beziehungsweise – sollte die Frage nach einer Organspende gestellt werden – abzufragen.“

Bedenken und Hürden – Information entscheidend

Für den Erfolg eines Organspenderegisters ist es Immer zufolge wichtig, zwei Bedenken zu entkräften, die Menschen von einer potenziellen Organspende abhalten können: Zum einen würden in der Schweiz auch bei einem „Ja“ im Register stets die Angehörigen befragt, bevor ein Organ entnommen wird, so der Experte. Die Angehörigen erhalten ihm zufolge ein Datenblatt mit dem Entscheid und optional einer persönlichen Nachricht der verstorbenen Person. Zum zweiten erfolge die Konsultation des Registers in der Schweiz erst nach beschlossenem Therapieabbruch. Dem Vorurteil, dass Ärzte Patienten „sterben lassen“ und nicht mehr alles tun, um sie zu retten, wenn ein „Ja“ im Register hinterlegt ist, kann so begegnet werden.

Immer betont: „Der Registereintrag muss einfach sein, beziehungsweise ohne technische, bürokratische, sprachliche oder andere signifikante Hürden vorgenommen werden können.“ Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit seien gefragt, damit die Bevölkerung das Register überhaupt kennt. Doch der Experte schätzt: „Wenn der Zweck ist, mehr Organspenden zu haben, hilft ein freiwilliges Register – wie es in der Schweiz der Fall war – wohl nicht weiter. (…) Um einen Unterschied bei den Organspendezahlen zu machen, müsste das Register wohl zwingend sein, so wie in den Niederlanden.“

Niederlande: Nach Widerspruchslösung alle Menschen registriert

Die Niederlande haben 2020 von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung gewechselt. Nichon Jansen von der Nederlandse Transplantatie Stichting fasst zusammen: „Im Jahr 1998 haben wir in den Niederlanden aufgrund der Umsetzung des Organspendegesetzes ein nationales Spenderregister (Opt-in-Einwilligungssystem) eingeführt. (…) Etwa 6,5 Millionen Menschen wurden registriert, aber in sieben Millionen Fällen waren die Präferenzen der Spender nicht bekannt. Im Jahr 2020 wurde ein neues Spendergesetz (Opt-out-Einwilligungssystem oder aktive Spenderregistrierung) eingeführt. Die sieben Millionen Menschen ohne Registrierung wurden von der Regierung aufgefordert, ihre Entscheidung zu registrieren. Wer auf die beiden Schreiben nicht reagierte, erhielt ein drittes Schreiben, in dem die Registrierung ‚Kein Widerspruch zur Spende‘ bestätigt wurde. Die Umsetzung hatte zur Folge, dass nun die gesamte Bevölkerung (ab 18 Jahren) registriert ist.“

Erleichterung für die Angehörigen

Es sei jedoch noch zu früh, um eine allgemeine Auswirkung des Opt-Out-Zustimmungssystems auf die Zahl der Organspender in den Niederlanden zu erkennen, „obwohl wir einen leichten Anstieg der Zahl der Organspender beobachten“, so Jansen. „In der Praxis gibt es jedoch eine große Veränderung, da die Spendergespräche mit den Spenderfamilien jetzt immer auf der Grundlage der Registrierung des Angehörigen geführt werden. Dies ist ein großer Unterschied zum Opt-in-System, bei dem die Spendepräferenzen von sieben Millionen Menschen unbekannt waren. Es ist nicht einfach, eine Organ- oder Gewebespende zu beantragen, wenn die Familie des Spenders nicht weiß, was der potenzielle Spender wünscht. Eine Entscheidung unter emotionalen Umständen zu treffen, macht es noch schwieriger. Es ist zu hoffen, dass es sich auch in Deutschland positiv auswirkt, wenn die Wünsche der Spender in einem nationalen Spenderregister registriert werden.“

(ms)