Personalisierte Medizin: Funktionierende, künstliche Leberzellen aus Hautgewebe gezüchtet

Harnstoffzyklus: Rolle von OTC und Aquaporin 9 (Grafik: © A. Lämmle, M. Wyler/Insel Gruppe)

Forschenden ist ein wichtiger Schritt zum Bau von personalisierten, künstlichen Leberzellen gelungen. Erstmals konnten technisch hergestellte Stammzellen aus Hautgewebe durch Zufügen eines Transportproteins dazu gebracht werden, sich wie normale Leberzellen zu verhalten.

Der Harnstoffzyklus ist für die Entfernung stickstoffhaltiger Abbauprodukte aus dem Organismus verantwortlich. Fehlt in diesem Zyklus das Enzym OTC, kommt es zu Vergiftungen durch eine Anreicherung von Ammoniak. Ein OTC-Defekt ist die häufigste vererbte Krankheit im Harnstoffzyklus. Er ist mit Medikamenten bisher nicht heilbar.

Das OTC-Gen liegt auf dem Geschlechtschromosom (X-Chromosom). Bei männlichen Patienten, die ein X- und ein Y-Chromosom haben, wirkt sich ein Defekt des OTC-Gens dramatisch aus: Bei neugeborenen Jungen endet die Ammoniakvergiftung durch OTC-Mangel oft tödlich. Das Forschungsteam vom Inselspital, Universitätsspital Bern, dem Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung (beide Schweiz) und der University of California San Francisco (UCSF) in den USA suchte daher nach Wegen, Medikamente gegen den OTC-Defekt im Labor zu testen

Erstes Modell gebaut

Zuerst stellte die Arbeitsgruppe in einem aufwendigen Verfahren künstliche Leberzellen aus dem Hautgewebe von Patientinnen und Patienten her. Dafür wurde Patientinnen und Patienten und einer Kontrollgruppe aus gesunden Personen eine sehr kleine Hautprobe entnommen. Die Forschenden veränderten diese Proben in einem technologischen Verfahren so, dass sie sich wie Stammzellen verhielten. Dieses Herstellungsverfahren wurde von dem Stammzellforscher Prof. Shin’Ya Yamanaka, Direktor des Center for iPS Cell Research an der Universität Kyoto in Japan entwickelt, wofür der Wissenschaftler im Jahr 2012 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. „Mittels induzierter Stammzellentechnologie ist es uns gelungen, künstliche Leberzellen herzustellen, die sich weitgehend wie Leberzellen von Patientinnen und Patienten verhalten“, erläutert Dr. Alexander Lämmle, Oberarzt an der Kinderklinik und am Universitätsinstitut für Klinische Chemie am Inselspital. „Wir haben jedoch beobachtet, dass die künstlichen Leberzellen deutlich weniger Harnstoff ausscheiden als echte, gesunde Leberzellen, und zwar unabhängig davon, ob sie von gesunden Kontrollen oder Harnstoffzyklus-Patientinnen und -Patienten stammen.“ Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelang es, den Grund für dieses Verhalten zu ermitteln. Die technologisch hergestellten Stammzellen zeichneten sich durch einen vollständigen Mangel an Aquaporin 9, einem Transport-Eiweiß in der Zellmembran, aus. Grund für dieses Fehlen ist der noch unreife Charakter der künstlichen Leberzellen.

Aquaporin 9: der Schlüssel zur funktionierenden, künstlichen Leberzelle

Aquaporine organisieren den Transport von Wasser und bestimmter Stoffe durch die Zellmembran. Aquaporin 9 ist zuständig für den Transport von Harnstoff. Die Forschenden entwickelten in einem nächsten Schritt ein Verfahren, bei dem die Bildung von Aquaporin 9 in den Stammzellen forciert wird. Dadurch ändern die technologisch hergestellten Leberzellen ihr Verhalten. Sie bauen Ammoniak zu Harnstoff ab und scheiden den Harnstoff aus – genauso, wie es gesunde Zellen tun. Damit ist die Grundlage für ein funktionierendes Testverfahren mit künstlichen Leberzellen geschaffen.

Einsatz der künstlichen Zellen in Medikamententests

Bei einem OTC-Defekt funktionieren die komplexen OTC-Eiweißgebilde nicht richtig. Sie brauchen – wie die meisten großen Eiweiße – Chaperone, damit sie richtig zusammengebaut werden und funktionieren können. Prof. Johannes Häberle vom Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung erläutert: „Die Chaperone sorgen dafür, dass die Faltung der Enzymmoleküle korrekt erfolgt und dass das Enzym korrekt für seinen Einsatz vorbereitet wird. Das neue Testmodell wird nun eingesetzt, um OTC-Chaperone zu testen und auf diese Weise mehr über den OTC-Defekt und über mögliche Therapien herauszufinden.“