Pharmakologischer Generalschlüssel zur Beruhigung von Nervenaktivität entdeckt4. März 2019 Schematische Darstellung eines Natriumkanals in Muskelzellen. (Foto: © scienceDISPLAY – Fotolia.com) Ein Forscherteam aus Berlin und Kiel hat einen pharmakologischen Mechanismus in Kaliumkanälen entdeckt, mit dem eine zu hohe elektrische Aktivität in Nerven- oder Muskelzellen eingedämmt werden kann. Elektrische Signale entstehen durch das gezielte Öffnen und Schließen von Ionenkanälen, durch die elektrisch geladene Teilchen (wie z.B. Natriumionen und Kaliumionen) transportiert werden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass viele Medikamente auf Ionenkanäle wirken und dass insbesondere Medikamente, die überschießende elektrische Aktivität reduzieren, von großem pharmakologischem Interesse sind. Dabei liegt der Forschungsschwerpunkt auf den Kaliumkanälen, von denen es im menschlichen Körper etwa 80 verschiedene Varianten gibt. Viele von ihnen haben die Aufgabe, überschießende elektrische Aktivität in Nervenzellen und Muskelzellen zu unterdrücken. Ohne diese elektrische Beruhigung würden Zellen durch Übererregung absterben. Wissenschaftler am Physiologischen Institut der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) haben jetzt einen neuartigen Mechanismus entdeckt und pharmakologisch beeinflusst. Damit konnten sie, wie mit einem Generalschlüssel, bestimmte Ionenkanäle gleichzeitig öffnen und so überschießende Aktivität in Zellen unterdrücken. Dr. Han Sun (FMP) bestimmte anhand von Molekulardynamik-Simulationen in Kombination mit Röntgenkristallographischen und funktionellen Mutgenese-Daten, wo sich die negativ geladenen Aktivatoren in den Kanälen befinden. „Interessanterweise befindet sich die negativ geladene Gruppe der Aktivatoren direkt unter dem Selektivitätsfilter, wo sie mit Kaliumionen unter dem Filter interagiert,“ sagte Sun. Mithilfe von Computersimulationen, die sie zum Teil beim Norddeutschen Verbund für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) durchführte, konnte der Ionenfluss durch den Selektivitätsfilter simuliert werden. Aus dieser Analyse konnten die Forscher den Mechanismus entschlüsseln, mit dem negativ geladene Aktivatoren die Kanäle öffnen und den Ionenfluss beschleunigen. „Dieser Mechanismus ist überraschenderweise für eine Reihe verschiedener wichtiger neuroprotektiver Kanäle universell gültig und könnte einen Ausgangspunkt für rationale Medikamentenentwicklung darstellen,“ ergänzte Sun. Die Kieler Arbeitsgruppe „Ionenkanäle“ um Prof. Thomas Baukrowitz untersuchte die molekulare Biophysik von Ionenkanälen, also jene Prozesse, die zum Öffnen und Schließen von Ionenkanälen in der Zelle führen. „Kaliumkanäle sind für uns Grundlagenforscher deshalb so interessant, weil sie vielseitig regulierbar sind: Sie lassen sich durch Spannung, Temperatur oder mechanischen Stress öffnen – aber auch durch den Einsatz bestimmter Substanzen“, erklärte Baukrowitz. Solche Substanzen befinden sich in einem Teststadium und sind noch nicht für Versuchsreihen oder den Pharmamarkt zugelassen. Die Kieler Forscher entdeckten, dass eine Reihe schon lange bekannter Substanzen (Versuchspharmaka) nicht wie ursprünglich gedacht spezifisch auf eine Sorte von Kaliumkanäle wirken, sondern gleichzeitig viele unterschiedliche Kaliumkanäle öffnen. Diese sogenannte Polypharmakologie war bis dahin für Kaliumkanäle unbekannt. Teilweise wurden die in der Arbeit verwendeten Substanzen am FMP in der Arbeitsgruppe von Dr. Marc Nazaré synthetisiert. „Ähnlich einem Generalschlüssel öffnen die Substanzen alle Kaliumkanäle mit diesem Klappenmechanismus gleichzeitig“ erklärte Dr. Marcus Schewe aus Kiel. „Die Versuchssubtanzen zweckentfremdeten gewissermaßen die natürliche Funktionsweise der Kanalpore, um diese zu öffnen. Dass dieser Klappenmechanismus in verschiedenen Sorten von Kaliumkanälen auf sehr ähnliche Weise funktioniert, war so nicht bekannt und liefert ein besseres Verständnis der Funktionsweise von Kaliumkanälen”, ergänzte Baukrowitz. Das Wissen darum, wie die Testpharmaka in Kaliumkanälen wirken, könnte beispielsweise Pharmaunternehmen helfen, effizientere neue Medikamente zu entwickeln, insbesondere bei solchen, die zur Behandlung von Krankheiten wie Epilepsie, Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien), Gefäßverengungen oder verschiedenen Schmerzzuständen zum Einsatz kommen. Originalpublikation: Schewe M. et al.: A pharmacological master key mechanism that unlocks the selectivity filter gate in K+ channels. Science 2019 Feb 22;363(6429):875-880.
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