Polioviren vom Wildtyp 1 in Hamburger Abwasserprobe nachgewiesen

Darstellung von Polio-Viruspartikeln mit Kapsidproteinen. (Foto: © TuMeggy -stock.adobe.com)

In einer Hamburger Abwasserprobe sind Polio-Wildviren vom Typ 1 (WPV1) nachgewiesen worden. Darüber berichtet das Robert-Koch-Institut (RKI) im aktuellen „Epidemiologischen Bulletin“. Das Risiko für die Bevölkerung stuft das RKI aufgrund der allgemeinen hohen Impfquoten als gering ein. 

Seit Ende 2024 wurden in Abwasserproben aus mehreren Standorten in Deutschland  zirkulierende impfstoffabgeleitete Polioviren des Typs 2 (VDPV) nachgewiesen (wir berichteten). Nun sind in einer Abwasserprobe in Hamburg erstmals seit 1992 Polio-Wildviren vom Typ 1 (WPV1) gefunden worden.

Ausscheidung der Viren durch mindestens eine Person

Die Polio-Wildviren wurden dem RKI zufolge am 6. Oktober in Hamburg entdeckt. Derlei Polioviren zirkulieren aktuell eigentlich nur noch in Afghanistan oder Pakistan. In beiden Ländern ist die Polioimpfquote recht gering. Die Genomsequenz des nun entdeckten Virus zeige starke Ähnlichkeiten mit einem genetischen Cluster in Afghanistan, erklärte das RKI. Der Nachweis spreche dafür, dass die Viren von mindestens einer Person ausgeschieden worden sei, die sich um den Zeitpunkt der Abwasserprobe in Hamburg aufgehalten habe. Ein Zusammenhang zwischen den nun entdeckten Polio-Wildviren und den zuletzt immer häufiger gefundenen impfstoffabgeleiteten Polioviren besteht dem RKI zufolge nicht. Die Virustypen seien verschieden.

Für Prof. Andreas Bergthaler, Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien (Österreich), ist der aktuelle Nachweis der Wildtyp-Viren angesichts internationaler Reise- und Migrationsaktivitäten und bei anhaltender Zirkulation von WPV1 in wenigen Ländern „nicht völlig überraschend“. Seit 2021 werde das Abwasser in Deutschland auf Wildtyp-Polioviren überwacht. Dass nun erstmals ein solches Signal detektiert wurde, deutet dem Experten zufolge daraufhin, dass es sich um ein örtlich und zeitlich begrenztes Ereignis handelt. Abwasseranalysen von aktuelleren Proben aus Hamburg und anderen Orten könnten nun über die Ausbreitung genaueren Aufschluss geben.

Allgemein hohe Impfquote, aber große regionale Unterschiede

Das Risiko für die Bevölkerung wertet das RKI aufgrund der allgemeinen hohen Impfquoten als gering. Allerdings gibt es bei Säuglingen, Kleinkindern und Vorschulkindern wesentliche Impflücken. Die Grundimmunisierung gegen Polio werde in Deutschland meist deutlich zu spät abgeschlossen, heißt es in einer RKI-Auswertung der bundesweiten Impfquoten vom vergangenen Jahr. So besäßen im Alter von zwölf Monaten fast vier Fünftel aller Kinder noch keinen vollständigen Polioimpfschutz, obwohl die Grundimmunisierung zu diesem Zeitpunkt entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission bereits abgeschlossen sein sollte. Versäumte Impfungen würden zwar oftmals nachgeholt, aber bis zum Alter von zwei Jahren seien bundesweit dennoch nur 77 Prozent der Kinder vollständig gegen Polio geimpft.

Experten weisen in diesem Zusammenhang auf regional sehr unterschiedliche Impfquoten in Deutschland hin. Da die Wahrscheinlichkeit für klinische Erkrankungen mit zunehmender Viruszirkulation und bei niedrigen Impfquoten steige,„ist dieses Risiko entsprechend der regional unterschiedlichen Impfquoten in Deutschland bei Auftreten von Polioviren unterschiedlich“, erklärte Dr. Carolina Klett-Tammen, Stellvertretende Teamleiterin der Klinischen Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig.