Reformvorschlag zur MDR: Branchenverbände sehen „gute Ansätze“

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Die EU plant, die Medizinprodukte-Verordnung (MDR) zu „verschlanken und zukunftsfähig“ zu machen. Während Branchenverbände die Reformvorschläge als guten Ausgangspunkt sehen, mahnt der AOK-Bundesverband, die Patientensicherheit nicht zu vergessen.

Einfachere Abläufe, weniger Bürokratie, aber mehr Vorhersehbarkeit und Kosteneffizienz – so umreißen Europäisches Parlament und EU-Rat in ihrer Initiative zur Verbesserung der MDR und der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) die wesentlichen Ziele ihres Vorstoßes. Die Änderungsvorschläge seien eine Antwort auf Anfragen aus dem EU-Parlament, verschiedener Mitgliedsstaaten – darunter Deutschland und Frankreich – sowie unterschiedlicher Interessengruppen.

„Unverhältnismäßige Anforderungen“ in der MDR?

Als Probleme werden etwa das Fehlen verlässlicher Zeitpläne oder unterschiedliche Praktiken in den verschiedenen Mitgliedsstaaten identifiziert. Außerdem verweist das Dokument auf die im Vergleich zu tatsächlichen Risiken bestimmter Medizinprodukte „unverhältnismäßigen Anforderungen“ des aktuellen Regelwerks. Die jetzt vorgelegten Änderungsvorschläge sollen Abhilfe schaffen – ohne dabei die eigentlichen Ziele von MDR und IVDR aus dem Blick zu verlieren, wie es in dem Dokument heißt.

In Hinsicht auf die benannten Stellen zielt der Reformvorschlag darauf ab, deren Koordination zu stärken. So sollen Aufsicht und regulatorische Überwachung der benannten Stellen verbessert werden, indem Experten der EU-Kommission und anderer Mitgliedsstaaten einbezogen werden. Verantwortlich für die benannten Stellen bleiben aber die einzelnen EU-Länder.

„Weit über das Ziel hinausgeschossen“

Branchenverbände sehen die Änderungsvorschläge zwar überwiegend positiv, aber wunschlos glücklich sind sie nicht. So betonte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) Dr. Marc-Pierre Möll: „Allen Beteiligten ist in den letzten Jahren klar geworden, dass die MDR weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Deshalb ist es gut, dass die Kommission Wort gehalten hat und jetzt handelt.“

Die vorgeschlagenen Maßnahmen enthielten „gute Ansätze“, sie reichten noch nicht aus, „um den Medizintechnik-Standort Europa insgesamt wieder wettbewerbsfähig zu machen“, so BVMed-Vorstandsmitglied Möll weiter. Er betont, dass die Vorschläge nun zügig mit Parlament und Rat verhandelt, weiterentwickelt und enthaltene Widersprüchlichkeiten ausgemerzt werden müssten.

BVMed begrüßt bessere Planbarkeit und Verlässlichkeit

Dabei begrüßt der BVMed insbesondere die geplante Abschaffung der Rezertifizierung, eine bessere Planbarkeit und Verlässlichkeit des Systems durch mehr bindende Vorgaben an die benannten Stellen zu Fristen und Gebühren sowie die Unterstützung für Orphan Devices und Innovationen durch Expertenpanels.

All das reiche aber nicht aus, die Folgen des aktuellen Regelwerks für Innovationskraft, Produktverfügbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Gesundheitsindustrie kurzfristig abzustellen, so der Verband. Er bemängelt insbesondere, dass die zentrale Verantwortung in den Vorschlägen nicht enthalten sei. Der BVMed sieht im bisherigen System vor allem folgende Defizite:

  • Der Umfang und somit die Gesamtkosten und die Dauer der Konformitätsbewertungsverfahren bis zur Zertifizierung von Medizinprodukten sind für die Hersteller unvorhersehbar bzw. nicht planbar.
  • Die Auslegungen der Vorschriften und die Anwendung der MDCG-Leitfäden durch Benannte Stellen und Behörden gehen oft über das Gesetz hinaus und sind europaweit unterschiedlich, was dem Ziel der Harmonisierung im Binnenmarkt widerspricht.
  • Innovative Medizinprodukte werden nicht mehr in der EU, sondern in anderen Märkten, insbesondere den USA, initial zugelassen.
  • Einige Medizinprodukte sind auf dem Markt nicht mehr erhältlich und MedTech-Unternehmen gehen vom Markt, da die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist.
  • Kleine und mittlere Unternehmen sind von den negativen Folgen überproportional betroffen.

Vorschläge zur MDR sind „guter Auftakt für die Diskussion“

„Die Kommissionsvorschläge sind ein guter Auftakt für die Diskussion“, so Mölls Fazit. Er fordert einen „gesamthaften industriepolitischen Ansatz“. Es brauche nachhaltige Lösungen, um die Patientenversorgung mit hochwertigen Medizinprodukten zu gewährleisten, regulatorische Engpässe zu vermeiden und weitere Innovationen zu ermöglichen. Fristen, Prozesse und Anforderungen müssten vereinheitlicht sowie entbürokratisiert werden. Zudem gelte es, das Vertrauen ins System MDR wiederherzustellen. Auch digitale Lösungen müssten vorangetrieben werden, fordert der BVMed-Geschäftsführer.

Auch der Industrieverband Spectaris begrüßt, dass die EU-Kommission „den Handlungsbedarf anerkennt und gezielt auf Bürokratieabbau setzt“. „Das ist ein wichtiges und richtiges Signal für die Branche“, betont Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender Medizintechnik bei Spectaris. Entscheidend werde sein, dass die Pläne tatsächlich zu einfacheren, schnelleren und besser planbaren Verfahren führen, ohne Abstriche bei der Patientensicherheit.

Spectaris: Entlastungen „konstruktiv ausgestalten“

„Europa braucht ein Regulierungssystem, das Innovation ermöglicht statt ausbremst“, so Leonhard weiter. Der Verband hebt hervor, dass man den Gesetzgebungsprozess zur MDR im kommenden Jahr „intensiv politisch begleiten“ werde. Ziel müsse es sein, die angekündigten Entlastungen „konstruktiv auszugestalten und dauerhaft im System zu verankern“. Dazu zählen für den Verband unter anderem effizientere Verfahren bei Benannten Stellen, eine stärkere Digitalisierung, der Abbau von Doppel- und Mehrfachanforderungen sowie eine bessere Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen.

Für den Branchenverband Pharma Deutschland sind die Reformvorschläge des EU-Parlaments zur MDR ein „lange erwarteter“ und „wichtiger“ Schritt, um „bestehende strukturelle Defizite anzugehen“. Als positiv hebt der Verband Maßnahmen zum Bürokratieabbau, zur Effizienzsteigerung, zur Digitalisierung oder zur Erleichterung für lange eingeführte Medizinprodukte mit geringem Risiko hervor. Pharma Deutschland begrüßt auch eine stärkere Unterstützung von Mikro- und kleinen Unternehmen durch reduzierte Gebührensätze der Benannten Stellen und abgesenkte Anforderungen an klinische Nachweise.

Pharma Deutschland kritisiert geplante Rolle der EMA

Ganz zufrieden ist der Verband allerdings nicht. So sieht er die vorgesehene stärkere Rolle der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im Bereich der MDR kritisch. Der Reformvorschlag sieht vor, dass die EMA die national zuständigen Behörden künftig wissenschaftlich, technisch und administrativ bei der Koordinierung unterstützt. Dazu gehören Abgrenzungs- und Klassifizierungsfragen, länderübergreifende klinische Studien und Ausnahmeregelungen sowie Vigilanz und Marktüberwachung. Nach Einschätzung von Pharma Deutschland besteht die Gefahr, dass dadurch zusätzliche bürokratische Hürden entstehen. Die notwendige spezifische Fachexpertise sei hingegen bislang ausreichend etabliert.

Wenig überraschend gehen auch dem Pharma-Verband die geplanten Änderungen nicht weit genug: Die Schwierigkeiten, welche die aktuelle MDR erzeugt, seien auf den ersten Blick größer als die Lösungsansätze des Vorschlags, konstatierte Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland. „Wie groß die Lücke ist, wird eine intensive fachliche Beschäftigung mit dem Vorschlag ergeben.“

AOK-Bundesverband sieht Lücke in den geplanten Anpassungen der MDR

Eine ganz andere Lücke in vorgeschlagenen Anpassungen der MDR sieht der AOK-Bundesverband im Hinblick auf die Patientensicherheit. So verweist AOK-Vorständin Dr. Carola Reimann darauf, dass es sich um Produkte handle, bei denen die Patientensicherheit essenziell sei. Sie fordert eine obligatorische Haftpflichtversicherung der Hersteller.

„Hier weist der Verordnungsvorschlag allerdings eine Leerstelle auf“, betont sie. „Wichtig ist: Wenn durch Bürokratieabbau künftig auch Regeln zum Schutz von Patientinnen und Patienten abgebaut werden, dann muss gleichzeitig das Kostenrisiko für jene Herstellerfirmen steigen, die mangelhafte Produkte auf den Markt bringen.“

Obligatorische Haftpflichtversicherung für Hersteller

Deshalb fordere die AOK, dass die EU, Hersteller gesetzlich verpflichten solle, eine Haftpflichtversicherung mit einer „angemessenen Mindestdeckungssumme“ abzuschließen. Diese solle im Schadensfall von den Geschädigten auch direkt auf EU-Ebene in Anspruch genommen werden können, so Reimann weiter.

Weder Patienten noch Sozialversicherungsträger dürften auf den Kosten für Folgebehandlungen „sitzen bleiben“. Auch dass Betroffene kein Schmerzensgeld erhielten, wenn Hersteller fehlerhafter Produkte zahlungsunfähig seien, dürfe nicht sein. Reimann ist sich sicher: „Möglich sind obligatorische Haftpflichtversicherungen in jedem Fall: Das zeigen etwa Produkte, die unter die Strahlenschutzverordnung fallen, und ganz profan auch Kfz-Versicherungen.“ (ja/BIERMANN)