Seltene Lebererkrankungen früher erkennen und besser behandeln: Erste S3-Leitlinie setzt neue Maßstäbe

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Unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) ist erstmals eine S3-Leitlinie herausgegeben worden, die sich mit einer Gruppe seltener Lebererkrankungen befasst: den autoimmunen Lebererkrankungen.

Eine Erkrankung gilt als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen von ihr betroffen sind. Aufgrund dieser geringen Häufigkeit fehlt es oft an der breiten Versorgungsexpertise, die für eine schnelle Diagnose und Behandlung seltener Krankheitsbilder notwendig ist. Innerhalb der Gruppe der seltenen sind autoimmune Lebererkrankungen vergleichsweise häufig. Umso größer ist der Bedarf an standardisierter Diagnostik und effektiver Therapie. Unter dem Titel „Seltene Lebererkrankungen (LeiSe LebEr)“ stellt die neue S3-Leitlinie – gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – laut der DGVS erstmals systematisch die evidenzbasierte Diagnostik und Therapie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zusammen und formuliert klare Handlungsempfehlungen für die klinische Praxis.

„Die Leitlinie ist ein wichtiger Schritt zur Optimierung der Patientenversorgung. Sie trägt die Erkenntnisse über seltene Lebererkrankungen in die Breite und ermöglicht eine frühzeitige Diagnose und Behandlung“, sagt Prof. Ansgar W. Lohse, Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik (Gastroenterologie mit Sektionen Infektiologie und Tropenmedizin) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Koordinator der Leitlinie. Ziel sei es auch, Komplikationen zu vermeiden: Dazu zählen Leberversagen, Leberkrebs oder die Notwendigkeit einer Transplantation.

Klare Empfehlungen: Differenzierte Diagnostik je nach Krankheitsbild

Die neue DGVS-Leitlinie stellt klar: Autoimmune Lebererkrankungen wie die Autoimmune Hepatitis (AIH), die primär biliäre Cholangitis (PBC) und die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) müssen differenziert diagnostiziert werden. Bei der Autoimmunen Hepatitis (AIH) ist beispielsweise immer eine Leberbiopsie notwendig, um die Diagnose zu sichern. Die Entnahme und Untersuchung einer Gewebeprobe ist entscheidend, da sich die Erkrankung klinisch und laborchemisch sehr unterschiedlich darstellen kann. „Der Eingriff ist zwar manchmal etwas unangenehm, aber notwendig für eine klare Diagnose – und damit eine frühzeitige, aber auch langfristige Therapie, die das Fortschreiten einer ansonsten meist tödlichen Erkrankung effektiv verhindert“, erklärt Lohse.

Die PBC kann dagegen meist ohne invasive Verfahren diagnostiziert werden: Der Nachweis spezifischer Antikörper im Blut (insbesondere antimitochondriale Antikörper [AMA]) sowie typische Laborveränderungen geben entscheidende Hinweise. „Andere Ursachen für einen gestörten Gallenabfluss, wie beispielsweise Gallensteine, müssen ausgeschlossen werden. Auch jüngere Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren und vor allem Männer können an PBC erkranken; das muss stärker ins Bewusstsein der Behandler rücken“, erläutert Lohse die Besonderheiten der PBC.

Eine Leitlinie – von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter

Während sich die PBC fast ausschließlich im Erwachsenenalter manifestiert, treten die PSC und die AIH mitunter bereits im frühen Kindes- und Jugendalter auf. „Eine besondere Errungenschaft der Leitlinie ist daher die interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere mit der Pädiatrie, und damit die Erstellung von Handlungsempfehlungen, die für Patient*innen in allen Altersphasen Gültigkeit haben“, sagt Prof. Birgit Terjung, Mediensprecherin der DGVS. Bei Erkrankungen, die sich schon in frühen Lebensjahren zeigen, profitierten die Betroffenen von einer gemeinsamen Leitlinie und dem entsprechend einheitlichen Vorgehen in der Behandlung. „Das kann auch die Transition, also den Übergang in die Erwachsenenmedizin, erleichtern, die bei langjährig Betroffenen oft ein Knackpunkt in der Behandlung ist“, betont die Ärztliche Direktorin der GFO Kliniken Bonn und Chefärztin der Inneren Medizin – Gastroenterologie.