Semaglutid reduziert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Übergewichtigen ohne Diabetes13. November 2023 Foto: ©Halfpoint/stock.adobe.com Das Diabetes- und Abnehmmedikament Semaglutid reduziert das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas um 20 Prozent, auch wenn diese nicht an Diabetes erkrankt sind. Zu diesem Ergebnis kommen die Autorinnen und Autoren der SELECT-Studie. Die Ergebnisse der von Novo Nordisk finanzierten Studie wurden bereits Anfang August in einer Pressemittelung des Unternehmens vorgestellt und nun anlässlich der Scientific Sessions 2023 der Amercian Heart Association im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. Die multizentrische, doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte, ereignisgesteuerte Überlegenheitsstudie stand unter Leitung von A. Michael Lincoff, Medizinprofessor und interventioneller Kardiologe an der Cleveland Clinic (USA). Die Forschenden untersuchten über 44 Jahre alte Patientinnen und Patienten, die sowohl eine kardiovaskuläre Erkrankung als auch einen Body-Mass-Index über 26, jedoch kein Diabetes hatten. Der eine Studienarm mit 8803 Probanden erhielt einmal wöchentlich subkutan eine Semaglutid-Dosis von 2,4 Milligramm, der andere Studienarm mit 8801 Probanden ein Placebo-Präparat. Nach einer durchschnittlich Nachbeobachtungszeit von 39,8 Monaten verringerte die Einnahme von Semaglutid im Vergleich zu Placebo das Risiko, einen nichttödlichen Myokardinfarkt oder einen nichttödlichen Schlaganfall zu erleiden oder aufgrund einer kardiovaskulären Ursache zu versterben. So trat ein primäres kardiovaskuläres Endpunktereignis bei 569 Patienten (6,5%) in der Semaglutid-Gruppe und bei 701 Patienten (8,0%) in der Placebo-Gruppe auf (Hazard Ratio 0,80; 95%-Konfidenzintervall 0,72–0,90; p<0,001). In der Verum-Grupp kam es jedoch auch signifikant häufiger zu unerwünschten Ereignissen, die zum dauerhaften Absetzen des Studienprodukts führten: bei 1461 Patienten (16,6%) in der Semaglutid-Gruppe und bei 718 Patienten (8,2%) in der Placebo-Gruppe (p<0,001). Getrieben war dieses Resultat vor allem durch häufigere gastrointestinale Nebenwirkungen unter Semaglutid. Auch Gallenblasen-bezogene Ereignisse – eine bekannte Nebenwirkung von GLP-1-Agonisten – waren in der Semaglutid-Gruppe höher mit 2,8 Prozent versus 2,3 Prozent. Andere Ereignisse wie akutes Nierenversagen oder Pankreatitiden unterschieden sich in ihrer Häufigkeit nicht zwischen den Versuchsgruppen. Übergewicht und Adipositas sind bekannte Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Reduktion dieses Risikos ist neben der Gewichtsreduktion ein zusätzlicher positiver Effekt von Semaglutid. Allerdings ist bisher unklar, über welchen Mechanismus das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesenkt wird – als Nebeneffekt der Gewichtsabnahme oder als direkter Effekt des Medikaments auf das Herz-Kreislauf-System. Die positive Wirkung von Semaglutid oder anderen GLP-1-Rezeptor-Agonisten auf die kardiovaskuläre Gesundheit konnte bereits zuvor in Studien mit Menschen, die an Diabetes leiden, gezeigt werden. Für den Wirkstoff Tirzepatid stehen diese Daten noch aus. Tirzepatid, welches jüngst von der US Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA als Abnehmmedikament bei übergewichtigen und adipösen Personen zugelassen wurde, erzielte in klinischen Studien eine größere Gewichtsreduktion als Semaglutid in anderen Studien. In Europa ist Tirzepatid bisher allerdings nur zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen. „Patienten, die schnell viel Gewicht verlieren müssen, bleibt oft nur ein chirurgischer Eingriff. Eine Ernährungsumstellung ist oft schwierig durchzuhalten und erzielt nicht die gewünschten Ergebnisse“, kommentiert Prof. Alexander Bartelt, Leiter der Forschungsgruppe für Kardiovaskulären Stoffwechsel, Klinikum der Universität München (LMU). Er sieht in dem untersuchten Wirkstoff neue Hoffnung für übergewichtige Herz-Kreislauf-Patientinnen und -Patienten. „Durch die Behandlung mit Semaglutid stehen den Patienten nun mehr und bessere Optionen zur Verfügung, um erstmal eine große Menge Gewicht zu verlieren. Im Anschluss kann der Lebenswandel unterstützen, das neue Gewicht zu halten.“ „Zusammenfassend sind die Ergebnisse vergleichbar mit den Ergebnissen aus den Diabetes-Studien für Semaglutid, hier aber jetzt ohne Diabetes in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit Übergewicht. Dieses Therapieprinzip könnte somit in der Tat ein sogenannter ‚game changer‘ in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen werden, bei denen Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor ist“, meint auch Andreas Zeiher, außerordentlicher Professor für Kardiologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er verweist auch auf die vielfältigen positiven Nebeneffekte der Semaglutid-Behandlung: „Semaglutid führte zu einer circa zehnprozentigen Gewichtsreduktion, einer 39-prozentigen Reduktion von C-reaktivem Protein (CRP) – das ist vergleichbar mit Statinen – und einer signifikanten Reduktion des systolischen Blutdrucks. Der Effekt trat relativ früh in der Nachbeobachtung nach Beginn der Randomisierung auf, was dafür spricht, dass nicht nur die Gewichtsreduktion selbst – die längere Zeit braucht –, sondern auch die physiologischen Parameter zur Reduktion der Ereignisse beigetragen haben. Hier ist besonders die CRP-Reduktion als Zeichen der reduzierten Inflammation zu nennen, die möglicherweise zu verbesserter Endothelfunktion, Plaquestabilisierung und verringerter Plättchenaggregation beigetragen hat. Möglicherweise ist dies eine Folge der Reduktion von ektopem Fett, das inflammatorisches Potenzial besitzt. Interessanterweise ist die CRP-Reduktion nachweisbar, trotz umfassender medikamentöser Therapie für die Sekundärprävention, einschließlich Lipid-reduzierender Therapie in 90 Prozent der Studienteilnehmer.“ Prof. Stefan Störk, Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik I sowie Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz, Universitätsklinikum Würzburg, sieht in der SELECT-Studie „einen Meilenstein für die Versorgung von Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko und Übergewicht“. Er betont, dass sich alternative Methoden für dieses Patientenkollektiv bisher nicht haben durchsetzen können. „Alternative Verfahren sind die bariatrische Chirurgie, die mit einer Reduktion des Körpergewichts von etwa 30 Prozent im Mittel verbunden ist und für Menschen mit sehr starkem Übergewicht in Frage kommt. Allerdings gibt es hierfür noch keine randomisierte Endpunktstudie. Die Effekte einer – eventuell lebenslangen – Therapie mit Semaglutid und gegebenenfalls dann auftretenden Langzeitnebenwirkungen sind ebenfalls noch nicht bekannt. Aktuell lässt sich jedoch konstatieren, dass die Gabe von Semaglutid für übergewichtige Menschen eine akzeptable Methode zur effektiven Gewichtsreduktion darstellt, die sich in günstige Mortalitäts- und Morbiditätseffekte übersetzt“, so Störk. (ah)
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