So süchtig machen soziale Medien

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Nach einer neuen DAK-Studie erfüllen 2,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland die Kriterien für eine Abhängigkeit nach der sogenannten „Social Media Disorder Scale“.

Laut Studie verbringen Jungen und Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren durchschnittlich rund zweieinhalb Stunden täglich mit sozialen Medien. Durch die intensive Nutzung entstehen gesundheitliche Probleme. Es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Sucht und Depressionen. Die sozialen Probleme sind vielfältig: zu wenig Schlaf, Realitätsflucht und Streit mit den Eltern.

Für die DAK-Studie „WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media“ hat das Forsa-Institut 1.001 Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren befragt. Erstmals wurde mit dieser Analyse die Häufigkeit einer Social-Media-Abhängigkeit in einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe untersucht. Grundlage sind wissenschaftliche Kriterien aus den Niederlanden (Social Media Disorder Scale). Werden mindestens fünf von neun Standardfragen mit „ja“ beantwortet, liegt laut Fragebogen eine Social-Media-Abhängigkeit vor. Kernergebnis der DAK-Studie: 2,6 Prozent der Befragten sind bereits süchtig nach Social Media – Mädchen mit 3,4 Prozent etwas häufiger als Jungen (1,9 Prozent). Auf alle 12- bis 17-Jährigen in Deutschland hochgerechnet entspricht dieser Prozentsatz etwa 100.000 Betroffenen.

3,5 Stunden in sozialen Netzwerken unterwegs

Mädchen sind länger in sozialen Medien unterwegs als Jungen – im Schnitt knapp über drei Stunden pro Tag (Jungen: 2,5 Stunden pro Tag). Je älter die Befragten werden, desto mehr Zeit verbringen sie bei WhatsApp, Instagram und Co.: Mädchen zwischen 16 und 17 Jahren sind fast 3,5 Stunden pro Tag in sozialen Medien, gleichaltrige Jungen nur 2,75 Stunden. Mit Abstand die beliebteste Anwendung ist WhatsApp, gefolgt von Instagram und Snapchat.

„Je länger und häufiger die Kinder und Jugendlichen online sind, desto höher ist das Suchtrisiko“, sagte Prof. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE. „Wir beobachten, dass Eltern häufig keine klaren Regeln zum Umgang mit sozialen Medien aufstellen. Die sind aber dringend nötig, damit ihre Kinder nicht unbemerkt in die Abhängigkeit rutschen.“

Besonders alarmierend sei der Zusammenhang zwischen Social-Media-Sucht und Depressionen, sagt Thomasius: Wer von sozialen Medien abhängig ist, hat ein um den Faktor 4,6 Prozent höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken als Nicht-Süchtige – so das Ergebnis der DAK-Studie: Jeder dritte Jugendliche mit einer Social Media Disorder berichtet über Symptome einer Depression. „Über Ursache und Wirkung haben wir noch keine Erkenntnisse“, kommentierte der Suchtexperte. „Natürlich kann es auch sein, dass sich depressive Kinder und Jugendliche häufiger in die virtuelle Welt zurückziehen und deshalb ein Suchtverhalten entwickeln. In jedem Fall verstärken sich die beiden Faktoren, so dass eine ernste gesundheitliche Gefahr droht.“

Zu wenig Schlaf und häufig Streit

Laut Untersuchung haben soziale Medien bei den befragten Kindern und Jugendlichen häufig negative soziale Auswirkungen in verschiedenen Bereichen – auch wenn sie nicht als süchtig gelten:

• Jeder dritte Befragte nutzt soziale Medien, um nicht an unangenehme Dinge denken zu müssen. Bei den Mädchen trifft dies sogar auf vier von zehn Befragten zu.
• Knapp ein Viertel der Befragten bekommt wegen der Nutzung sozialer Medien manchmal, häufig oder sogar sehr häufig zu wenig Schlaf.
• 22 Prozent streiten manchmal, häufig oder sehr häufig mit den Eltern über die Nutzung sozialer Medien – öfter betroffen sind die 12- bis 13-Jährigen (32 %).
• 14 Prozent gaben an, soziale Medien oft heimlich zu nutzen. Ebenso viele können die Nutzung nicht stoppen, obwohl andere ihnen sagten, dass sie dies dringend tun müssen.
• 13 Prozent sind unglücklich, wenn sie keine sozialen Medien nutzen können.
• Acht Prozent der Befragten sind mit allen Freunden ausschließlich über soziale Medien in Kontakt.
• Fünf Prozent der Befragten haben regelmäßig kein Interesse mehr an Hobbys oder anderen Beschäftigungen, weil sie lieber Social Media nutzen.

Um die Suchtgefahr der sozialen Medien einzudämmen, plädiert Suchtexperte Thomasius für Aufklärung und einen verstärkten Jugendschutz. „Eltern, Lehrer und Erzieher brauchen Unterstützung, damit sie Kinder auf ihrem Weg zu medienkompetenten Anwendern begleiten“, sagte Thomasius. „Außerdem muss der Jugendschutz durch strenge Regeln für die Anbieter sozialer Medien gestärkt werden. Auch technische Lösungen zur Selbstbeschränkung sind sinnvolle Instrumente, um das Konsumverhalten besser zu kontrollieren.“

Prävention ab der ersten Vorsorgeuntersuchung

Der Sucht nach sozialen Medien und ihre Folgen will der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) gemeinsam mit den pädiatrischen Schwestergesellschaften DGKJ, DGSPJ, DGAAP, DAKJ und der Stiftung Kind und Jugend durch frühe Prävention begegnen. Aus diesem Grund hat der Berufsverband eine Handreichung für Eltern entwickelt, die diesen hilft, Kinder von Geburt an gegen das Dauerdaddeln und schließlich die Abhängigkeit und ihre gesundheitlichen und sozialen Folgen zu schützen.

“Wir dürfen nicht erst handeln, wenn die Kinder mit zwölf Jahren ihre ganze Zeit an Bildschirmmedien verbringen. Dann ist es zu spät. Wir müssen den Eltern helfen, für ihre Kinder einen guten Umgang mit den elektronischen Medien zu finden und dadurch Sucht zu vermeiden. Und zwar von den ersten Lebenstagen an. Deshalb haben wir die Handreichung entwickelt”, sagte Dr. Uwe Büsching, Medienexperte des BVKJ.

Die Handreichung gibt es ab sofort bereits bei den ersten Vorsorgeuntersuchungen beim Kinder- und Jugendarzt. Sie erscheint in Form eines handlichen Flyers mit Erklärungen und alltagsnahen Tipps, wie Eltern ihre Kinder von früh auf an einen achtsamen  Umgang mit digitalen Medien heranführen können und ihre Medienkompetenz schulen können.

“Dabei geht es uns nicht darum, die Geräte zu verteufeln”, so Büsching, “aber es ist uns wichtig, den Konsum von Bildschirmmedien zeitlich zu begrenzen und Kindern zu zeigen, welche Freude es macht, mit allen Sinnen die reale Welt und das reale Miteinander mit Freunden zu erleben. Verankert in der Wirklichkeit können Kinder und Jugendliche später auch mit Medienwelten selbstbestimmter umgehen. Uns geht es also nicht um ein Verbot, sondern um den gesunden Umgang mit digitalen Medien. Dafür müssen Eltern ihre Kinder altersgerecht in die Medienwelten hinein begleiten, über Inhalt und Ausmaß der Mediennutzung ihrer Kinder informiert sein, darüber mit ihnen im Gespräch bleiben und auch steuern – von Anfang an. Unsere Handreichung kann ihnen dabei helfen.”