Spannungspneumothorax per Roboter aus der Ferne entlasten

Forscherin Carolin Müller aus dem TUM Klinikum zeigt ein neues robotisches Modul, das für den Falle eines Spannungspneumothorax entwickelt wurde. (Foto: ©TUM)

Forschende der Technische Universität München (TUM) haben ein medizinisches Robotersystem entwickelt, das Leben retten kann. Es entlastet Verletzte mit lebensbedrohlichem Spannungspneumothorax im Brustraum. 

Auf der Robotikmesse Automatica stellten die Forschenden erstmals die robotische Lösung vor, die künftig während eines Evakuierungsfluges telemedizinisch bedient werden können soll. Sie ist innerhalb des vom Europäischen Verteidigungsfond finanzierten Projektes iMEDCAP entstanden. Die Lösung ist sowohl für zivile als auch militärische Anwendungsfälle gedacht.

Wird ein Spannungspneumothorax nicht behandelt, versterben die Betroffenen innerhalb von Minuten, sagt Carolin Müller, Forscherin in der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des TUM Klinikums. „Er wird oft übersehen, ist aber leicht zu behandeln, indem eine Dekompressionsnadel in den Brustkorb gestochen wird, damit die eingeschlossene Luft entweichen kann“, so Müller.

Roboter übernimmt die Erstversorgung von Verletzen

In unzugänglichen Gebieten soll das künftig ein Roboter übernehmen, für dessen Arm die Forschenden einen Aufsatz entwickelt haben, wie die TUM in einer Mitteilung erläutert. Dieser Endeffektor kombiniere eine Dekompressionsnadel mit einem Ultraschallgerät. Nur zwei Positionen – der Monaldi- und der Bülau-Punkt im zweiten und fünften Zwischenrippenraum – kommen für den Einstich der Nadel in Frage. „Per Ultraschall lassen sich diese Punkte zweifelsfrei bestimmen. Zudem kann das System diagnostizieren, ob tatsächlich ein Pneumothorax vorliegt“, erklärt die TUM.

Mithilfe des neuen Mechanismus, den Müller zusammen mit Forschenden aus dem Lehrstuhl für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik (MiMed) der TUM entwickelt hat und der im Juni erstmals auf der Automatica gezeigt wurde, dringen die Nadel und der sie umgebende Katheter durch die Haut in den Brustkorb ein. Während die Nadel wieder herausgezogen wird, verbleibt der Katheter im Körper und die Luft kann entweichen. „So wird entscheidende Zeit gewonnen, um Betroffene eines Spannungspneumothorax etwa nach einer Brustkorbverletzung infolge eines Verkehrsunfalls oder einer Schussverletzung behandeln zu können“, erläutert Prof. Peter Biberthaler, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des TUM Klinikums.

Flugkapsel und telemedizinische Anwendungen zusammen gedacht

Diese Ergebnisse sind Teil des Forschungsprojektes iMEDCAP, das der European Defense Fund seit dem Start am 1. Dezember 2023 für drei Jahre mit insgesamt 25 Millionen Euro fördert. Fokus liegt auf der „Entwicklung von intelligenten militärischen Fähigkeiten zur Überwachung, medizinischen Versorgung und Evakuierung von ansteckenden, verletzten und kontaminierten Personen“. Unter Leitung des TUM-Lehrstuhls für Flugsystemdynamik sind 24 Organisationen aus neun Ländern an den Forschungen beteiligt, darunter das Bundesministerium für Verteidigung, Institute der Bundeswehr sowie das Start-up AVILUS, das u.a. Drohnen für medizinische Evakuierungen entwickelt und von fünf Promovierenden der TUM mitgegründet worden ist.

Das Ziel ist unter anderem, mit dem bereits im Test befindlichen Avilus-Fluggerät „Grille“ schwerverletzte Patienten ferngesteuert und möglichst schnell aus Gefahrenzonen und Krisengebieten evakuieren zu können. Die zukünftig in der Drohne angebrachten Roboterarme ermöglichen der TUM zufolge eine Behandlung bereits während des Flugs. Dazu schaltet sich eine Ärztin oder ein Arzt zu. Die in der Ferne getroffenen notfallmedizinischen Entscheidungen könne der Roboterarm durch Interventionsmodule umsetzen und so Menschenleben retten.

Weitere robotische Module in der Entwicklung

Weitere robotische Module entwickelt die MiMed-Forschungsgruppe Rescue-Robotics unter Leitung von Christoph Parhofer derzeit. Dabei geht es um Module, die eigenständig über einen ossären Zugang Medikamente verabreichen, durch Anlegen eines Tourniquet starke Blutungen der Arme und Beine stoppen oder – im Falle eines militärischen Ernstfalls mit Einsatz von Chemiewaffen – beispielsweise Atropin spritzen können. „Unsere robotischen Module sind in der Lage, einige der Handgriffe zu übernehmen, die direkt nach einem Unfall nötig sind“, sagt MiMed-Lehrstuhlinhaber Prof. Tim Lüth, „wichtig ist, dass die Anwendung robust ist und nicht ausfällt, wenn es um Sekunden geht.