Stiller Anstieg von Leberkrankungen: Wissenschaftler drängen auf verstärktes Handeln

Präventive Hepatologie: Europäische Experten fordern stärkere Bemühungen, um chronische Lebererkrankungen wie MASLD und MASH bei Risikopatienten vorherzusehen, anstatt nur Betroffene in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung zu behandeln. (Abbildung: © Pixel-Shot/stock.adobe.com)

In einem kürzlich in „The Lancet. Regional Health Europe“ veröffentlichten Beitrag warnen Experten, dass eine bessere Identifizierung chronischer Lebererkrankungen nötig ist, um deren zunehmendem Einfluss entgegenzutreten.

Anfang Juni fand in Barcelona (Spanien) das erste Treffen des Global Thinktank on Steatotic Liver Disease statt. Unterstützt wurde das Meeting vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal), dessen Mitarbeiter die Autoren der neuen Publikation sind. Mehr als 100 internationale Fachleute sprachen im Rahmen des Treffens eine dringende Warnung aus: Millionen von Menschen werden auch weiterhin in den Gesundheitssystemen der einzelnen Länder unerkannt bleiben, wenn Früherkennung und eine personenzentrierte Versorgung nicht umgehend Priorität erhalten.

Häufige, aber unsichtbare Erkrankung

Von mit einer Stoffwechseldysfunktion assoziierten steatotischen Lebererkrankungen (MASLD) sind nach Angaben von ISGlobal etwa 33 Prozent aller Erwachsenen weltweit betroffen. Den Anteil der von der mit metabolischer Dysfunktion verbundenen Steatohepatitis (MASH) schätzt man auf fünf Prozent. Auch wenn sie eine schwerwiegende Erkrankung ist, verursacht die MASH keine Symptome, bis sie in einem fortgeschrittenen Stadium ist. In dem genannten Lancet-Beitrag fordern die Experten die nationalen Gesundheitssysteme dazu auf, die MASH-Detektionsraten bis zum Jahr 2027 zu verdoppeln. Dabei betonen sie den Nutzen nicht invasiver Diagnose-Tools und die Bedeutung von durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützten Verfahren, die dazu beitragen können, Personen mit einem erhöhten Risiko für eine solche Erkrankung in der Primärversorgung zu identifizieren.

In dem Artikel weisen die Autoren auch auf die kürzlich erfolgte Zulassung einer neuen Therapie hin, die es noch dringender mache, dass der Zugang von Betroffenen zur Diagnostik verbessert wird. Denn, so argumentieren die Forschenden: Eine effektive Behandlung müsse Hand in Hand mit einer besseren Diagnostik gehen.

Konkrete Handlungsvorschläge für die Identifizierung von Risikopersonen

Um einen Paradigmenwandel in der Reaktion auf MASH herbeizuführen und die durch sie bestehende wachsende Gefahr für die öffentliche Gesundheit bis zum Jahr 2030 zu eliminieren, schlagen die Experten konkrete Handlungen vor: so zum Beispiel ein Routine-Screening für Risikogruppen, eine Einbindung von Lebertests in regelmäßige Gesundheits-Check-ups, eine Aktualisierung von Erstattungsstrategien und die Förderung von Kollaborationen zwischen Primärversorgung, Endokrinologie, Kardiologie und Patientenorganisationen.

„Die Zukunft des Kampfes gegen MASH liegt darin, die Erkrankung vorherzusehen, also nicht nur Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung zu behandeln, sondern schon früh auch diejenigen zu identifizieren, die noch keine Fibrose haben“, erklärt Prof. Jeffrey Lazarus. Er leitet die Public Health Liver Group am ISGlobal und ist Hauptautor der gerade veröffentlichten Studie. „Diese Verschiebung hin zu einer präventiven Hepatologie ist der Schlüssel zu einer besseren Stoffwechselgesundheit von Millionen Menschen auf der ganzen Welt.“

Veränderung des Sprachgebrauchs und der Versorgung rund um die Lebererkrankung

Parallel zu dem Beitrag in „The Lancet. Regional Health Europe“ haben 40 Fachleute in „Nature Medicine“ die People-First Liver Charter veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Roadmap, mit der das mit Lebererkrankungen assoziierte Stigma aufgehoben werden soll. Denn dieses führt häufig zu Verzögerungen bei einer rechtzeitigen Diagnose und Behandlung. Die Autoren fordern eine Verschiebung hin zu einem personenzentrierten Sprachgebrauch und ebensolchen Versorgungsmodellen, bei denen dem individuellen Label eine höhere Priorität eingeräumt wird als dem Diagnose-Label. Von einem solchen Ansatz verspricht man sich mehr Respekt und Empathie für die Betroffenen sowie eine Minimierung von Ungleichheiten im Kontakt mit den Gesundheitssystemen. Dazu gehört auch die in der jüngeren Vergangenheit erfolgte Umbenennung von Leberkrankungen in stärker inklusive Begriffe. Mehr als 70 Organisationen, so schreibt das ISGlobal, hätten diese neuen Begriffe übernommen.

Chronische Lebererkrankungen in Spanien: Aktuelle Situation

Beim Kick-off-Meeting des Global Thinktank on Steatotic Liver Disease in Barcelona Anfang Juni wurden Daten zur aktuellen Situation in Spanien vorgestellt, zusammen mit konkreten Empfehlungen. Spanien verzeichnet einen signifikanten Anstieg von Lebererkrankungsfällen – mit zunehmendem Einfluss auf die Mortalitätsraten und die Gesundheitskosten.

Im Jahr 2021 lebten schätzungsweise acht Millionen Menschen in Spanien mit MASLD. Man geht davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf 12,7 Millionen anwachsen wird – dann wären 27,6 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Im Jahr 2016 hatten etwa 1,8 Millionen Spanier an einer MASH gelitten. Hier geht man von einer Zunahme auf 2,7 Millionen bis zum Jahr 2030 aus. Im Ergebnis, so die Schätzung, werde sich die MASH-assoziierte Mortalität verdoppeln: Diese würde für dieses Jahr etwa 7590 Todesfälle bedeuten. Die direkten, mit der Erkrankung verbundenen Gesundheitskosten könnten sich zudem mehr als verdoppeln – von 1,48 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 auf 3,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2040.

Angesichts dieses Szenarios warnt Lazarus: „Wir empfehlen eine nationale Strategie unter Führung des Gesundheitsministeriums und in Zusammenarbeit mit allen autonomen Gemeinschaften [in Spanien; Anm. d. Redaktion], die ein MASLD-Register beinhaltet, dessen Einschluss in wichtige Gesundheitsindikatoren, eine automatisierte Diagnose in der Primärversorgung, eine bessere Ausbildung für medizinisches Fachpersonal, eine automatisierte Diagnostik in der Primärversorgung und einen Ausbau gemeindenaher Dienste.“

Chronische Lebererkrankungen auch als nicht übertragbare Erkrankung berücksichtigen

Obwohl chronische Lebererkrankungen mehr als 1,5 Milliarden Menschen betreffen, so unterstreicht das ISGlobal in seiner aktuellen Mitteilung, sind sie in globalen Strategien zur Bekämpfung nicht übertragbarer Krankheiten (NCDs) weitgehend ausgeklammert. Knapp vier Monate vor dem hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen zu NCDs, das im September 2025 stattfinden soll, forderten die in Barcelona versammelten Experten, diese historische Lücke zu schließen und chronische Lebererkrankungen rascher in die globale Gesundheitspolitik und klinische Praxis zu integrieren.