Studie: Fehlende kindgerechte Laborreferenzwerte erschweren Diagnose seltener Erkrankungen1. Juli 2025 Foto: Henrik Dolle – stock.adobe.com Einer aktuellen Studie aus Österreich zufolge erkennt mehr als Hälfte der Labore krankhafte Blutwerte für Phosphat beziehungsweise alkalische Phosphatase bei Kindern nicht, gesetzliche Vorgaben fehlen. Auch in Deutschland fehlen offizielle Vorgaben für kindliche Referenzwerte. Eine neue Untersuchung der Medizinischen Universität Wien zeigt, dass viele medizinische Labors in Österreich keine altersangepassten Referenzbereiche für Kinder verwenden. Dies kann dazu führen, dass krankhafte Blutwerte bei Kindern als unauffällig gelten – mit möglichen Folgen für die rechtzeitige Erkennung seltener Erkrankungen. Im Rahmen der Studie der MedUni Wien wurden zwei seltene genetische Knochenerkrankungen exemplarisch untersucht: die X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) und die Hypophosphatasie (HPP). Beide Erkrankungen lassen sich anhand bestimmter Laborwerte erkennen: bei XLH ist der Phosphatwert im Blut erniedrigt, bei HPP die Aktivität der alkalischen Phosphatase. Da sich diese Werte im Kindesalter deutlich von jenen Erwachsener unterscheiden, ist die Verwendung altersgerechter Normbereiche für eine korrekte Interpretation entscheidend. Krankhafte Veränderung bleibt unbemerkt – trotz korrekter Messung Die Forschenden versandten eine standardisierte Blutprobe mit für ein vierjähriges Kind krankhaften Werten an 26 niedergelassene Labors in Österreich. Obwohl die Messergebnisse technisch korrekt waren, deuteten viele Labors die Werte als für im Kindesalter normal. Nur 18 Prozent der Labors nutzten geeignete Referenzbereiche für Phosphat, 41 Prozent für die alkalische Phosphatase. In mehr als der Hälfte der Fälle blieb die krankhafte Veränderung unbemerkt. Studienleiter Adalbert Raimann von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien und dem Vienna Bone and Growth Center (einem Zusammenschluss mehrerer Kliniken, die sich mit seltenen Knochenerkrankungen befassen) erklärt: „Ein Grund für dieses Ergebnis ist das Fehlen gesetzlicher Vorgaben: In Österreich – wie auch in vielen anderen europäischen Ländern – besteht für Labors noch immer keine Verpflichtung, altersbezogene Referenzwerte zu verwenden oder transparent anzugeben.“ Auch deutsche Richtlinie geht auf die Altersabhängigkeit von Referenzintervallen nicht ein Auch in Deutschland gibt es keine offiziellen Vorgaben bezüglich kindlicher Referenzwerte,wie PD Dr. Jakob Zierk, Oberarzt in der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Erlangen und Experte der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin e. V. (DKGL) erläutert: „In der maßgeblichen Richtlinie (Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen, „RiLiBÄK“) wird auf die Altersabhängigkeit von Referenzintervallen absolut nicht eingegangen. Damit liegt es in der Eigenverantwortung der jeweiligen Laboratorien, für Kinder adäquate Referenzbereiche zur Verfügung zu stellen. Einzelne Laboratorien erfüllen diese Aufgabe sehr gewissenhaft, jedoch nicht alle. Zudem stehen für viele Laboranalysen schlicht keine guten altersabhängigen Referenzbereiche zur Verfügung, was an der äußerst herausfordernden Methodik liegt, mit der Referenzintervalle im Kindesalter erstellt werden.“ Für die Qualitätssicherung spielt das Thema kindliche Referenzwerte Zierks Einschätzung nach eine „viel zu geringe“ Rolle: „Dabei ist das Referenzintervall die essenzielle Hilfe bei der Befundinterpretation. Im Rahmen von (externen) Qualitätskontrollen und Audits werden zwar auch die Referenzintervalle überprüft, eine systematische/strukturierte Prüfung altersabhängiger Referenzintervalle findet dabei jedoch nicht statt. Dies setzt Kinder der Gefahr einer fehlerhaften Interpretation ihrer Labortestergebnisse aus.“ Interpretation von Labortests mit guten Referenzintervallen „oft vernachlässigt“ Mit Blick auf die Ergebnisse aus Österreich betont der Experte: „Ich freue mich über diese interessante Studie, die ein mir persönlich und wissenschaftlich wichtiges Anliegen unterstützt. Während viel Energie in die korrekte und wiederholbare Messung von Labortests gesteckt wurde, wird die Interpretation mit guten Referenzintervallen oft vernachlässigt, insbesonde im Kindesalter. In der deutschen Fachgesellschaft (DGKL) haben wir eine Sektion ‚Entscheidungsgrenzen und Richtgrenzen‘, die sich mit innovativen Methoden zur Erstellung von Referenzintervallen befasst – Referenzintervalle für Kinder sind hier ein besonderes Augenmerk, da diese häufig vernachlässigt werden und durch die innovativen Methoden besonders gut bearbeitet werden können. So wurde ausgehend von dieser Problematik die PEDREF-Studie etabliert, in der mit innovativen Methoden Referenzintervalle für Kinder ermittelt werden, die die altersabhängige Entwicklung besonders gut abbilden.“ Die Autorinnen und Autoren der österreichischen Studie empfehlen, nationale und internationale Richtlinien für pädiatrische Referenzbereiche zu entwickeln und deren Anwendung an Qualitätsstandards zu knüpfen. Bis dahin könnte eine öffentliche Auflistung von Laboren mit kindgerechten Normwerten Transparenz schaffen, um Kindern und Jugendlichen eine altersentsprechende Labordiagnostik und schnelle Diagnosestellung zu ermöglichen. (MedUni Wien/ja)
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