Symposium beleuchtet aktuelle Fragen der Kinder- und Jugendgynäkologie

Bei Endometriose beginnt die Schmerzsymptomatik häufig schon in der Adoleszens. (Foto: © KMPZZZ- stock.adobe.com)

Beim Symposium für Kinder- und Jugendgynäkologie in Berlin wurden aktuelle medizinische Themen für weibliche Kinder und Heranwachsende interdisziplinär beleuchtet – einschließlich der neuen Empfehlungen zur Geschlechtsdysphorie und -inkongruenz.

Eine wissenschaftliche Sitzung auf dem Berliner Symposium widmete sich der Vorstellung neuer Leitlinien mit Relevanz für die Kinder und Jugendgynäkologie. Darunter fällt die in Arbeit befindliche Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS).

Mit einer Prävalenz von 15 Prozent stellt das PCOS die häufigste endokrinologische Erkrankung bei Frauen im fertilen Alter dar, worunter eben auch weibliche Heranwachsende in der Adoleszenz zählen. Die Symptomatik ist klinisch unter anderem gekennzeichnet durch Zeichen der Hyperandrogenämie (vor allem Hirsutismus), Zyklusstörungen und (allerdings erst im Erwachsenenalter) eine polyzystische Ovarmorphologie. Häufig finden sich begleitend Übergewicht, Adipositas, Insulinresistenz und andere Zeichen des metabolischen Syndroms.

Aufgrund divergierender Definitionen des PCOS (insbesondere auch für das Jugendalter) und fehlender interdisziplinärer Standards der Diagnostik und Therapie wurde diese erste deutsche Leitlinie erstellt. Sie steht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG)  zufolge kurz vor Veröffentlichung.

Verbesserte Betreuung von Mädchen und Frauen mit UTS

Ein weiteres relevantes Thema ist das Ullrich-Turner-Syndrom (UTS). Es betrifft 25 bis 50 Personen pro 100.000 Frauen und kann in allen Lebensphasen mehrere Organe betreffen, was einen interdisziplinären Ansatz zur Betreuung erforderlich macht. Die neue internationale Leitlinie von 2023 geht auf wichtige Fortschritte in der Betreuung ein. In der Leitlinie wurde laut DGGG ein Augenmerk auf die fünf folgenden Gesichtspunkte gelegt:
1) diagnostische und genetische Probleme,
2) Wachstum und Entwicklung während der Kindheit und Jugend,
3) angeborene und erworbene Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
4) Übergang und Erwachsenensorge und
5) andere Begleiterkrankungen und neurokognitive Probleme.

Ein starker Konsens besteht für die Empfehlung zur Fertilität, die länger als dogmatisch galt, nämlich Frauen mit UTS zu beraten, dass ihre Wahrscheinlichkeit, spontan schwanger zu werden, schnell mit dem Alter abnimmt, wenn sie überhaupt vorhanden ist. Zudem sollte in Betracht gezogen werden, in jungen Jahren eine Fertilitätsbehandlung anzubieten. Außerdem widmet sich die Leitlinie der Überwachung von Begleiterkrankungen und gibt hier praxisnahe Empfehlungen dazu, welche Parameter wie häufig kontrolliert werden sollten – zum Beispiel die Empfehlung für eine lebenslange jährliche Messung des HbA1c mit oder ohne Nüchternplasma-Glukose, beginnend im Alter von zehn Jahren. 

Behandlung junger Menschen mit persistierender Geschlechtsinkongruenz

Vorgestellt wurde auf dem Berliner Symposium auch die hoch aktuelle und viel diskutierte
AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und
Jugendalter. Ziel der Leitlinie ist die Neufassung aktueller Behandlungsstandards im Kindes- und Jugendalter auf der Basis der bestmöglichen Rezeption des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Wissensstandes unter partizipativer Beteiligung von
Patient*innenvertreter*innen. Und das in einem Feld, in dem es nach wie vor
bedeutsame fachliche Ungewissheiten und daraus resultierende Kontroversen gibt. In der
Präambel heißt es: „In Achtung der Würde der Behandlungssuchenden unterstützt die Leitlinie den Abbau von Diskriminierung und die Entpathologisierung von Personen, deren
Geschlechtsidentität nicht mit ihrem anatomischen bzw. bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.“

Als Konsequenz dieses Paradigmenwechsels wird der Begriff der „Geschlechtsidentitätsstörung“ nicht mehr genutzt. Stattdessen werden nach der 11. Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme (ICD-11) „Geschlechtsinkongruenz“ und „Geschlechtsdysphorie“
verwendet. Trotz hoher medialer Aufmerksamkeit für die Thematik der Behandlung von
Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie betont die Autorengruppe, dass sich die Zahlen
medizinisch behandelter junger Menschen mit persistierender Geschlechtsinkongruenz und – dysphorie und dem Wunsch, die aktuelle Geschlechtszugehörigkeit zu verändern, absolut
gesehen auf niedrigem Niveau bewegen. „Man muss sorgsam sein. Gerade um die hormonelle Pubertätsblockade gab es Kontroversen. Mögliche Nebenwirkungen einer zu früh und später als falsch empfundenen Therapie müssen gegen die ebenfalls gravierenden Konsequenzen einer unterlassenen Intervention abgewogen werden“, erklärte Dr. Stephanie Lehmann-Kannt.

Hormontherapie vor Beginn der Pubertät bleibt Tabu

Im Gegensatz zur mittlerweile ungültigen AWMF-Leitlinie von 2013 (damals noch mit dem Titel „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter“) finden sich nun keine festen Altersgrenzen mehr für den Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie. Voraussetzung sei eine individuell festgestellte Entscheidungsreife. Zuvor lag die Empfehlung bei mindestens 16 Jahren. Lehmann-Kannt: „Wenn Kinder mit Klarheit und Vehemenz ihren Eltern kommunizieren, dass sie sich dem – qua Geburt – zugeordneten Geschlecht dauerhaft nicht zugehörig fühlen, sollte dies durchaus ernst genommen werden. Die Kinder sollen unterstützt, nicht aber gepusht werden.“

Präpubertär gäbe es jedoch keinen Prädiktor, ob die Geschlechtsdysphorie persistiere oder sich später wieder auflösen wird. Fest stehe: Bei einem hohen Prozentsatz präpubertär Geschlechtsinkongruenter Kinder persistiert diese Inkongruenz nicht bis zur Pubertät. Tabu ist daher jedwede Hormontherapie – blockierend wie geschlechtsangleichend – vor Beginn der Pubertät. Sinnvoll sei die Erfassung therapiesuchender Patientinnen und Patienten in einem Register, um zu überprüfen, wie angemessen die aktuellen Therapieoptionen langfristig betrachtet sind. Festzustellen sei, dass es bei Jugendlichen mehr Fälle von Trans-Jungen gäbe (3 zu 1). Die Ursache ist letztlich nicht geklärt. Der vieldiskutierte Einfluss sozialer Medien und die immer noch bestehende gesellschaftliche Höherstellung des Mannes reichen als Erklärungsmuster nicht aus. Im Erwachsenalter sei das Verhältnis von Geschlechtstransitionen eher ausgeglichen.

Die Behandlung von Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie muss sorgsam erfolgen.
Mögliche Nebenwirkungen einer zu früh begonnenen und später als falsch
empfundenen Therapie müssen abgewogen werden gegenüber den ebenfalls
möglicherweise gravierenden Konsequenzen einer unterlassenen Intervention“.
Dr. Stephanie Lehmann-Kannt, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie e.V. Nicht ausreichend für den Bedarf aus der Kinder- und Jugendgynäkologie sei nach wie vor das psychotherapeutische Angebot. 

Leidensweg bei Endometriose beginnt oft schon in der Jugend

Auch die Endometriose-Leitlinie wurde in Berlin beleuchtet. Sie beinhaltet in der gültigen
Fassung ein eigenes Kapitel zur Endometriose bei Adoleszentinnen. Die Autoren führen aus, dass der Leidensweg der Betroffenen lang sein kann – häufig dauert es zehn Jahre bis zur Diagnose. Studien zufolge haben bis zu zwei Drittel der erwachsenen Frauen, bei denen die Erkrankung operativ gesichert wurde, berichtet, dass ihre Schmerzsymptomatik bereits in der Adoleszenz begonnen hat. Ein Expertenkonsens der Leitlinie hält fest, dass alle Formen von anhaltenden Unterbauchschmerzen in der Adoleszenz Symptome einer Endometriose sein können. Zudem sollte die Primärtherapie bei Verdacht in dieser Altersgruppe medikamentös erfolgen.