Tagesrhythmen der Neuroplastizität

Mithilfe von Optogenetik zeigte die Studie, dass die neuronalen Reaktionen in Ratten vor Sonnenaufgang schwächer und vor Sonnenuntergang stärker waren, was auf einen 24-Stunden-Rhythmus der kortikalen Aktivität hindeutet. (Bild: © uki Donen, Yoko Ikoma, Ko Matsui)

Neue Forschung zeigt, wie die Tagesrhythmen der Neuroplastizität die Erregbarkeit und Anpassungsfähigkeit neuronaler Netzwerke steuern. Die Ergebnisse liefern Hinweise darauf, dass bestimmte Tageszeiten besonders günstig für Lern- und Anpassungsprozesse sein könnten.

Der natürliche 24-Stunden-Rhythmus des Menschen ist einer der Faktoren, die das innere Milieu des Gehirns prägen. Diese inneren physiologischen Zyklen entstehen durch das Zusammenspiel der körpereigenen zirkadianen Uhr und des externen Hell-Dunkel-Zyklus, der sie synchronisiert. Wie sich diese täglichen Schwankungen auf Gehirnchemie, neuronale Erregbarkeit und Plastizität auswirken, war jedoch weitgehend unbekannt. Forscher der Universität Tohoku haben nun tageszeitabhängige Veränderungen der neuronalen Signalantworten im Gehirn nachtaktiver Ratten beobachtet. Die Ergebnisse wurden am 31. Oktober 2025 in der Fachzeitschrift „Neuroscience Research“ veröffentlicht.

Neuronale Erregbarkeit schwankt im Tagesverlauf

Die Forschenden nutzten Optogenetik, um Neuronen im visuellen Kortex von Ratten gezielt zu stimulieren und die resultierende elektrische Aktivität aufzuzeichnen. Dieser Ansatz ermöglichte die präzise Quantifizierung der neuronalen Reaktivität. Die Forscher fanden heraus, dass identische neuronale Reize je nach Tageszeit unterschiedliche Reaktionen hervorriefen. Die neuronale Aktivität war bei Sonnenaufgang reduziert und bei Sonnenuntergang erhöht. Da Ratten nachtaktiv sind, markiert der Sonnenaufgang die Phase nach einer aktiven Nacht, in der sie sich auf den Schlaf vorbereiten.

Der Neuromodulator Adenosin im Blick

Um den zugrundeliegenden Mechanismus zu erforschen, untersuchten die Forscher Adenosin, einen Neuromodulator, der sich während des Wachzustands anreichert und Müdigkeit verursacht. Blockierten die Forscher die Wirkung von Adenosin, zeigte sich bei Sonnenaufgang eine erhöhte neuronale Aktivität. Dies zeigt laut den Autoren, dass Adenosin die kortikale Erregbarkeit im Tagesverlauf reguliert.

„Die neuronale Erregbarkeit ist nicht konstant; sie hängt vom inneren Zustand des Gehirns ab“, erklärt Pro. Ko Matsui von der Universität Tohoku. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst identische Neuronen je nach Tageszeit unterschiedlich reagieren können. Dies wird durch Moleküle wie Adenosin gesteuert, die Stoffwechsel, Schlaf und neuronale Signalübertragung miteinander verbinden.“

Tageszeit beeinflusst Langzeitpotenzierung

Das Team untersuchte zudem, ob sich die Fähigkeit des Gehirns zur Langzeitpotenzierung (LTP) im Laufe des Tages verändert. Dies repräsentiert das Potenzial des Gehirns für Metaplastizität. Interessanterweise induzierte repetitive optische Stimulation eine LTP-ähnliche Verstärkung bei Sonnenaufgang, jedoch nicht bei Sonnenuntergang. Dies deutet darauf hin, dass das metaplastische Potenzial des Gehirns zu dieser Tageszeit erhöht ist, obwohl Schlafdruck und Müdigkeit ihren Höhepunkt bei Sonnenaufgang erreichen. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Fähigkeit des Gehirns zur Selbstorganisation einem Tagesrhythmus folgt, wobei bestimmte Zeiträume besonders günstig für Lernen und Anpassung sind.

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass unser Gehirn zeitliche Zeitfenster besitzt, die die Anpassungsfähigkeit begünstigen“, erklärt Studienleiterin Yuki Donen. „Zu wissen, wann das Gehirn besonders aufnahmefähig für Veränderungen ist, könnte dazu beitragen, Training, Rehabilitation und stimulationsbasierte Therapien zu optimieren.“ Beim Menschen, der hauptsächlich tagsüber aktiv ist, erreicht die Lern- und Gedächtnisleistung möglicherweise ihren Höhepunkt in der Dämmerung vor Sonnenuntergang. Die Autoren vermuten daher, dass die beste Zeit zum Lernen oder für neue Erfahrungen möglicherweise kurz vor dem Schlafengehen liegt.