Tiermodell: Erreger einer uralten Krankheit besitzt Potenzial, die Leber zu regenerieren

Mycobacterium leprae (Abbildung: © Kateryna_Kon/stock.adobe.com)

Laut neuesten Erkenntnissen aus einem Versuch mit Gürteltieren können die mit der chronischen Infektionserkrankung Lepra assoziierte Parasiten Zellen so umprogrammieren, dass sie bei erwachsenen Tieren die Leber vergrößern, ohne Schäden, Narbenbildung oder Tumore zu verursachen. Gürteltiere sind ein natürlicher Wirt von Mycobacterium leprae.

Die Ergebnisse der Forschenden von der Universität Edinburgh (Großbritannien) deuten auf die Möglichkeit hin, diesen natürlichen Prozess so anzupassen, dass alternde Lebern erneuert werden können und es möglich ist, die Zeitspanne, in der Menschen krankheitsfrei leben zu verlängern. Laut den Autoren könnten dieser Prozess auch dazu beitragen, geschädigte Lebern wieder wachsen zu lassen und dadurch die Notwendigkeit für eine Transplantation zu verringern.

In älteren Studien wurde das Nachzüchten von Mäuselebern durch die Generierung von Stammzellen und Vorläuferzellen über eine invasive Technik vorangetrieben, die häufig zu einer Narbenbildung und zum Tumorwachstum führte. Um diese negativen Nebeneffekte zu überwinden, bauten die Forschenden aus Edinburgh auf ihrer früheren Entdeckung der teilweisen zellulären Reprogrammierungsfähigkeit von M. leprae auf. In Zusammenarbeit mit dem US-Gesundheitsministerium in Baton Rouge (USA) infizierte das Team 57 Gürteltiere mit dem Krankheitserreger und verglich ihre Lebern mit denen von nicht infizierten Gürteltieren sowie mit solchen, bei denen sich herausstellte, dass sie gegen einer M.-leprae-Infektion resistent waren.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die infizierten Tiere vergrößerte – aber gesunde und nicht geschädigte – Lebern mit den gleichen lebenswichtigen Bestandteilen wie Blutgefäßen, Gallengängen und funktionellen Einheiten entwickelten wie die nicht infizierten und resistenten Gürteltiere.

Das Team glaubt, dass die Bakterien die inhärente Regenerationsfähigkeit der Leber für sich nutzen – gewissermaßen „kapern“ –, um die Größe des Organs zu erhöhen und somit mehr Zellen für die eigene Vermehrung zur Verfügung zu haben. Die Forschenden entdeckten auch einige Anzeichen dafür, dass die Hepatozyten bei den infizierten Gürteltieren einen Zustand erreichten, den man als „verjüngt“ bezeichnen könnte.

Auch die Lebern der infizierten Gürteltiere enthielten Genexpressionsmuster ähnlich wie bei jüngeren Tieren und menschlichen fetalen Lebern. Gene, die mit dem Stoffwechsel, dem Wachstum und der Zellproliferation in Verbindung stehen, wurden aktiviert und die mit dem Alterungsprozess verbundenen Gene wurden herunterreguliert oder unterdrückt. Nach Auffassung der Wissenschaftler liegt dies daran, dass die Bakterien die Leberzellen umprogrammierten und sie in das frühere Stadium der Vorläuferzellen zurückführten, die wiederum zu neuen Hepatozyten wurden und neues Lebergewebe wachsen ließen.

Das Team hofft, dass ihre Entdeckung bei der Entwicklung von Interventionen für alternde und geschädigte Lebern beim Menschen helfen. Prof. Anura Rambukkana vom Centre for Regenerative Medicine der University of Edinburgh und Hauptautorin der Studie formuliert es so: „Wenn wir erkennen können, wie Bakterien die Leber als funktionelles Organ wachsen lassen, ohne schädliche Auswirkungen auf lebende Tiere zu haben, können wir dieses Wissen möglicherweise umsetzen, um sicherere therapeutische Eingriffe zur Verjüngung alternder Lebern und zur Regeneration geschädigter Gewebe zu entwickeln.“

„Der Alterungsprozess ist eines der größten Hindernisse für eine erfolgreiche Leberregeneration bei Menschen mit chronischen Lebererkrankungen – die Leber altert und registriert nicht mehr, dass verloren gegangenes Gewebe ersetzt werden muss”, kommentiert Prof. Malcolm Alison, Honorarprofessor an der University of Edinburgh, die aktuelle Veröffentlichung. “Diese Studie scheint zu zeigen, dass es möglich ist, diesen Prozess umzukehren beziehungsweise neu zu programmieren und gleichzeitig die Maschinerie zur Verjüngung alter Zellen zu reaktivieren, die anderenfall den Bedarf an neuem Gewebe nicht bemerken würden. Dies ist im Wesentlichen eine Proof-of-Principle-Studie unter Verwendung eines Infektionsmodells bei Gürteltieren – einer langlebigen Art, die eine Infektion ohne scheinbar schädliche Auswirkungen auf die Leber toleriert. Wichtig ist, dass die Leber ohne begleitende Pathologie (Krebs oder Zirrhose) größer wurde. Wir sollten allerdings daran denken, dass die Lebern der meisten Säugetiere aufhören zu wachsen, sobald sie ihre normale Größe erreicht haben – im Gegensatz zu der hier beschriebenen Situation. Nichtsdestotrotz könnte das Wissen um Prozesse, die beispielsweise Stammzellen in erwachsenen Geweben reaktivieren, einen Meilenstein in der regenerativen Medizin darstellen.“

Gleicher Meinung ist Dr. Darius Widera, Assoziierter Professor für Stammzellbiologie und Regenerative Medizin an der University of Reading (Großbritannnien). Er erklärt: „Dies ist eine spannende Studie, die zeigt, dass voll spezialisierte Gürteltier-Leberzellen unter bestimmten Umständen in einen juvenilen Zustand zurückverwandelt werden und erwachsenes Gürteltier-Lebergewebe regenerieren können. Die Autoren haben einen experimentellen Ansatz verwendet, den sie ursprünglich entwickelt haben, um Zellen des Nervensystems in einer Petrischale zu verjüngen. Kurz gesagt nutzten sie die Infektion mit Lepra verursachenden Bakterien, um eine zelluläre Umprogrammierung der Leberzellen in einen vorzeitigen Zustand zu erreichen. Dadurch wuchsen die Lebern ohne Tumorbildung oder Veränderungen in der Organarchitektur. Insgesamt könnten die Ergebnisse den Weg für neue Therapieansätze zur Behandlung von Lebererkrankungen wie Zirrhose ebnen.” Widera gibt allerdings zu bedenken: „Da die Forschung jedoch mit Gürteltieren als Modelltiere durchgeführt wurde, ist unklar, ob und wie diese vielversprechenden Ergebnisse auf die Biologie der menschlichen Leber übertragen werden können. Da die in dieser Studie verwendeten Bakterien außerdem krankheitserregend sind, wäre vor der klinischen Umsetzung eine erhebliche Verfeinerung der Methoden erforderlich.“

„Dies ist eine interessante Forschungsarbeit und insofern ungewöhnlich, als dass sie das Leberwachstum ohne Leberschädigung zeigt“, findet auch Dr. Zania Stamataki, Assoziierte Professorin am Centre for Liver and Gastrointestinal Research der University of Birmingham (Großbritannien). „Die Studie stellt ein innovatives Beispiel dafür dar, wie wir Mikroben als Werkzeuge zum Verständnis der Biologie nutzen können.“ Stamataki fährt fort: „Die meisten Fortschritte in der Leberregeneration wurden bisher mit Maus- oder Rattenmodellen erzielt, die eine kurze Lebensdauer haben und nicht geeignet sind, das Leberwachstum ohne Schädigungen zu untersuchen. Das Modell mit Neunbinden-Gürteltieren ergibt deutliche Anzeichen einer Lebervergrößerung nach einer Infektion mit M. leprae, ohne Lebervernarbung oder Anzeichen einer Tumorbildung.“ Stamataki unterstreicht: „Es ist wichtig zu verstehen, wie M. leprae das Leberwachstum unter diesen gesunden Bedingungen fördert und ob dies auch bei akuten und chronischen Leberschäden möglich ist. Dies ist ein vielversprechendes Modell und eine spannende Arbeit, mit dem Potenzial, neue molekulare Wege für die Leberregeneration aufzudecken, die in der menschlichen Leber anwendbar sein könnten.“