Traumatherapie für Kinder und Jugendliche in der Ukraine

Der Krieg in Russland traumatisiert vor allem Kinder. (Foto: © Pavlo – stock.adobe.com)

Hunderte traumatisierte Kinder und Jugendliche in der Ukraine haben therapeutische Hilfe erhalten und über 240 ukrainische Fachkräfte wurden geschult. Das ist die Bilanz eines internationalen Projektes, traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) in dem seit 2022 im Krieg befindlichen Land zu etablieren. 

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 bedeutet im Leben der Ukrainer eine scharfe Zäsur: Bomben, Raketen und Übergriffe russischer Soldaten machen vor der Zivilbevölkerung nicht Halt. Tod und Angst gehören zum Alltag. Viele Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, waren und sind mit traumatischen Ereignissen konfrontiert, die unbehandelt zu langfristigen psychosozialen Einschränkungen führen können.

Prof. Elisa Pfeiffer, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), erkannte den dringenden Bedarf einer psychotherapeutischen Versorgung früh: „Es gab in der Ukraine bis dato keine evidenzbasierte Traumatherapie, noch dazu sind kurz vor der russischen Invasion die öffentlichen Mittel für psychische Gesundheit gekürzt worden.“

Herausforderung auch für Trainerinnen und Trainer

Als leitende Psychologin am Universitätsklinikum Ulm startete sie daher gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Cedric Sachser bereits im März 2022 ein Weiterbildungsprogramm für ukrainische Therapeuten in der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (TF-KVT). Unterstützt wurden sie von zertifizierten TF-KVT-Trainerinnen und Trainern aus aller Welt. Bis Mai 2024 schulte das Team mehr als 240 Personen in der evidenzbasierten Traumatherapie. 63 von ihnen sind mittlerweile vollständig zertifiziert.

Das Ausbildungsprogramm und die Therapie selbst wurden gezielt an die anhaltende Kriegssituation angepasst. So fand das Training digital statt und wurde simultan ins Ukrainische übersetzt. Situationsspezifische Aspekte wurden neu in die Ausbildung integriert, wie traumatische Trauer oder Umgang mit Traumatisierungen in Militärfamilien. Für die internationalen Trainer war der Kriegskontext auch eine persönliche Herausforderung: „In diesem Bereich ist man es gewohnt, die schlimmsten Geschichten zu hören. Aber solche Menschenrechtsverletzungen wie in der Ukraine, schockten auch unsere erfahrenen Trainerinnen und Trainer“, berichtet Pfeiffer.

Hunderte Kinder haben bereits profitiert

Im Zuge des Programms wurden mehr als 300 Kinder und Jugendliche mit TF-KVT behandelt und ihre Daten im Rahmen der wissenschaftlichen Evaluation des Trainingsprogramms und der Therapie erfasst. „Das ist nur ein Teil der tatsächlich behandelten Betroffenen – wir gehen von Hunderten mehr aus“, sagt Projektleiterin Pfeiffer. Viele Therapeuten hätten deutlich mehr als die in der Ausbildung vorgesehene Mindestzahl behandelt. In den rund 300 evaluierten Fällen wird der große Erfolg der Therapie deutlich: Die psychische Belastung der jungen Patienten ging nachweislich zurück, viele erfüllten nach Abschluss der Therapie sogar keine klinischen Diagnosestandards mehr für Posttraumatische Belastungsstörungen. „Wir haben teils sogar bessere Effekte als in Vergleichsstudien in Deutschland oder Norwegen. Die Kinder haben in jedem Fall sehr profitiert“, konstatiert Pfeiffer.

Ein wichtiges Ergebnis auch für die Forschung, denn damit werde deutlich, dass die Behandlung bei Kindern erfolgreich sei, die nach wie vor Traumata erleben. In der Ukraine kam die TF-KVT erstmals in einem andauernden Krieg zum Einsatz. „Eigentlich ist es ein Credo, dass Traumatherapie erst stattfindet, wenn das Kind schon in Sicherheit ist“, erläutert Psychologie-Professorin Pfeiffer. „Wir wollten aber gezielt den Kindern, die weiterhin Traumata erleben, helfen, da ihre Symptomatik sonst chronisch werden könnte.“ Für andere Kriegs- und Krisenregionen sei das eine wichtige Botschaft: „Es lohnt sich, frühzeitig anzusetzen.“

Selbstfürsorgeprogramm für die Therapeuten

Nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Therapeuten sind die Umstände außergewöhnlich, unterstreicht Pfeiffer: „Sie leben selbst im Krieg, erleben Verluste oder mussten flüchten, sind also ebenso wie die Patienten sehr belastet.“ Trotzdem – oder gerade deshalb – zeigen sie eine „beeindruckende Resilienz“. Eine Begleitstudie bescheinigt ihnen niedrige Werte im Bereich Burnout und sekundäre Traumatisierung. Um diese positiven Resultate langfristig zu stützen, umfasste das Projekt ein achtwöchiges Selbstfürsorgeprogramm für die Therapeuten.

Zur langfristigen Ausrichtung des Projektes gehörte zudem von Beginn an ein Austausch auf Augenhöhe, wie Pfeiffer betont: „Das Projekt war nur möglich durch eine enge Kooperation zwischen internationalen TF-KVT-Experten und lokalen Partnern vor Ort wie die Ukrainische Psychologische Fachgesellschaft.“ Seit Anfang des Jahres läuft nun der zweite Teil des Projekts, dessen Ziel es ist, in der Ukraine dauerhaft ein Traumatherapie-Netzwerk zu verankern. Dafür wurden unter anderem drei ukrainische Therapeutinnen als TF-KVT-Trainerinnen zertifiziert, die künftig eigenständig Schulungen und Supervisionen anbieten können. Eine von ihnen ist Natalia Mossul von der Universität Saporischschja, die mit ihrem Team bereits mehr als 200 weitere Therapeutinnen und Therapeuten geschult hat. Pfeiffer und ihr Team übergeben das Projekt nun Schritt für Schritt an die nationalen Partner.

Projekt ist auf finanzielle Unterstützung angewiesen

Doch ein Engpass bleibt: die Finanzierung. Ein TF-KVT-Training mit Supervision und Übersetzung koste rund 10.000 Euro pro Kohorte (ca. 30 Therapeut/-innen). „Ohne zahlreiche Einzel-Förderungen wie durch die Porticus-Stiftung oder das ukrainische Gesundheitsministerium, wäre das Projekt nicht umsetzbar gewesen“, betont Pfeiffer. Für die Zukunft hofft sie auf weitere Unterstützung, denn der hohe gesellschaftliche Nutzen sei nun evident. „Wir sehen, wie stark das ukrainische Volk ist und leisten Hilfe zur Selbsthilfe – Kinder, die wir heute behandeln, sind die Erwachsenen, die morgen ihr Land mitgestalten können.“