Tubulin-Modifikation bringt Spermien auf den richtigen Weg

Computergestützte Analyse lichtmikroskopischer Daten, die den linearen Schwimmweg eines normalen Spermiums (oben) und die abnormen kreisförmigen und diagonalen Schwimmwege der mutierten Spermien (Mitte und unten) zeigen, denen die Tubulin-Glycylierung fehlt. Foto: Gadadhar et al. / Science 2021

Eine internationale Wissenschaftler-Kooperation hat herausgefunden, dass für die korrekte Bewegung von Spermien die Modifikation des Tubulins in der Geißel durch angehängtes Glycin (Glycylierung) essenziell ist. Unterbleibt dies, so schwimmen die Spermien nicht geradeaus – eine mögliche Ursache für männliche Unfruchtbarkeit.

Die Wissenschaftler haben ihre Erkenntnisse im Fachjournal “Science” publiziert. Der Erstautor der Studie, Sudarshan Gadadhar vom Institut Curie (Paris, Frankreich), erklärt: „Der Kern der Spermiengeißel besteht aus Mikrotubuli, zusammen mit Zehntausenden von winzigen molekularen Motoren, genannt Dyneine, die es ermöglichen, diese Mikrotubuli rhythmisch zu biegen, um Wellen für die Bewegung und Steuerung zu erzeugen. Die Aktivität dieser Dynein-Motorproteine muss exakt koordiniert sein. Wenn die Glycylierung nicht stattfand, koordinierten sich die Motorproteine untereinander nicht und wir beobachteten, wie die Spermien plötzlich im Kreis schwammen.“

Um dies herauszufinden, arbeiteten die Autoren der Studie mit einer speziellen Art Maus, der die genetischen Baupläne für die Enzyme fehlen, die Mikrotubuli glycylieren. „Wir konnten funktionelle Defekte an Spermien von Mäusen beobachten, denen die Glycylierung fehlte, was zu einer Verminderung der Fruchtbarkeit führte. Da Mäuse für ihre hohe Fruchtbarkeit bekannt sind, könnte ein ähnlicher Defekt beim Menschen zu männlicher Sterilität führen“, so Carsten Janke vom Institut Curie, einer der Koordinatoren der Studie. Um herauszufinden, warum das Fehlen der Glycylierung zu einer gestörten Bewegung der Spermien und damit zu Unfruchtbarkeit führt, verwendete das Team Kryo-Elektronenmikroskopie, um die molekulare Struktur des Flagellums und seiner molekularen Motoren sichtbar zu machen. Die Analyse der mutierten Spermiengeißeln ergab, dass die Geißeln zwar korrekt aufgebaut waren, die Mutation aber die koordinierte Aktivität der axonalen Dyneine beeinträchtigte. Dies erklärt, warum die Spermien in ihrer Schwimmbewegung beeinträchtigt sind.

Diese Entdeckung hat Bedeutung über die Spermienfunktion hinaus. Die anderen Koordinatoren der Studie, Gaia Pigino (Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik [MPI-CBG], Dresden und Human Technopole, Mailand/Italien) und Luis Alvarez (Forschungszentrum caesar, Bonn) fassen zusammen: „Diese Studie zeigt, wie wichtig die Glycylierung für die Steuerung der Dynein-Motoren des Flagellums ist. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Mikrotubuli-Modifikationen die Funktion anderer Proteine in Zellen direkt beeinflussen. Unsere Ergebnisse liefern den direkten Beweis, dass Mikrotubuli eine aktive Rolle bei der Regulierung grundlegender biologischer Prozesse spielen, ermöglicht durch einen Code von Tubulin-Modifikationen. Zudem zeigt die Studie einen neuen Mechanismus, der zu männlicher Unfruchtbarkeit führen kann. Da die Spermiengeißeln nur eine von vielen Zilien-Arten in unserem Körper sind, denken wir, dass eine ähnliche Tubulin-kodierte Regulation bei verschiedenen Zilien-bezogenen Funktionen wichtig ist. Daher ermöglicht unsere Arbeit ein tieferes Verständnis verschiedener Krankheiten, wie Entwicklungsstörungen, Krebs, Nierenerkrankungen oder Atem- und Sehstörungen.“

(MPI-CBG/ms)