Vitamin-B12-Mangel: Kein Nachweis für Vorteile einer Früherkennung im Rahmen des Neugeborenenscreenings

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Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, den Nutzen oder Schaden der Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen (Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie) im erweiterten Neugeborenenscreening zu bewerten.

Der menschliche Körper braucht Vitamin B12 und bestimmte Enzyme, um Eiweißstoffe abbauen zu können. Wenn eine Schwangere keinerlei Vitamin B12 aufnimmt oder aufnehmen kann, ist dies für das Neugeborene gefährlich. Der Abbau von Eiweiß kann beim Neugeborenen aber auch dadurch blockiert sein, dass spezielle Enzyme fehlen. Dies ist der Fall bei den angeborenen Stoffwechsel-erkrankungen Homocystinurie, Propionazidämie und Methylmalonazidurie. Vitamin-B12-Mangel sowie die drei angeborenen Stoffwechselerkrankungen sind jeweils selten beziehungsweise sehr selten, können aber die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern gefährden. So kann es unter anderem zu Hirnschäden, Krampfanfällen und Koma sowie zu Schäden an Augen, Nieren und Blutgefäßen kommen. In nicht wenigen Fällen ist das Leben des Neugeborenen in Gefahr.

Zur Diagnose von Vitamin-B12-Mangel und mit Vitamin-B12-Mangel zusammenhängenden Zielerkrankungen kann auf Filterpapier aufgetropftes Blut verwendet werden. Beim in Deutschland gemäß der Kinder-Richtlinie des G-BA durchgeführten erweiterten Neugeborenenscreening wird in der 36. bis 72. Lebensstunde Venen- oder Fersenblut gewonnen, auf Filterpapierkarten aufgetropft und hinsichtlich bestimmter Erkrankungen untersucht. Die im Fokus dieses IQWiG-Vorberichts stehenden Zielerkrankungen zählen bislang nicht dazu. Es läuft jedoch ein großes Pilotprojekt: die von der Universität Heidelberg geleitete Studie „NGS 2020/NGS 2025“.

Ziel eines Neugeborenenscreenings auf Vitamin-B12-Mangel und weiteren Zielerkrankungen ist die frühere Identifikation und Behandlung von betroffenen Kindern, bevor der Stoffwechsel entgleist und irreversible Schäden verursacht. Derzeit haben nur acht der 47 europäischen Staaten ein Screening auf mindestens eine der hier maßgeblichen Zielerkrankungen etabliert; und dies dann zum Teil auch deshalb, weil es in ihrer Bevölkerung eine Häufung einer spezifischen Zielerkrankung gibt.

Nutzen der Früherkennung bleibt mangels Evidenz unklar

Sollte die Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen in das erweiterte Neugeborenenscreening aufgenommen werden? Hierfür recherchierte das IQWiG-Projektteam drei Studien, die Screening mit keinem Screening verglichen, sowie 13 Untersuchungen, die frühe mit später Behandlung betroffener Kinder gegenüberstellten.

Die Studien, die die Effekte von Screening prüften, lieferten keine aussagekräftigen Daten für eine Beantwortung der Fragestellung. Denn obwohl insgesamt mehrere Hunderttausend Kinder untersucht wurden, waren nur knapp 20 Kinder von einer der Zielerkrankungen betroffen.

Die 13 Untersuchungen die frühe gegenüber einer späten Behandlung miteinander verglichen, waren ebenfalls nicht verwertbar. Hauptproblem dieser Beobachtungsstudien ist, dass sich früh und spät behandelte Kinder in vielerlei Hinsicht unterscheiden (Alter, Nachbeobachtungsdauer, Patientenauswahl, Erkrankungsschwere etc.). Etwaige Unterschiede lassen sich daher gerade nicht auf den Behandlungszeitpunkt zurückführen, sondern sind möglicherweise allein durch Unterschiede in Alter, Erkrankungsschwere oder anderen Merkmalen bedingt. Ein weiteres Problem liegt darin, dass einige der Analysen sich auf Stoffwechseldefekte bezogen, die zwar in anderen Ländern vorkommen, die aber in Deutschland bislang so gut wie noch nie beobachtet worden sind.

Mangels aussagekräftiger Evidenz aus den vorliegenden Studien bleiben Nutzen oder Schaden der Früherkennung eines Vitamin-B12-Mangels und weiterer Zielerkrankungen somit unklar. Aus Sicht des IQWiG könnte eine multinationale Forschungskooperation hilfreich sein, um Vor- und Nachteile der Früherkennung zu untersuchen – beispielsweise durch Vergleiche zwischen Ländern mit und ohne Screening.

Stellungnahmen zum Vorbericht sind bis zum 05.10.2023 möglich.