Vorkommen des Borna Disease Virus 1 bei Pferden und anderen Spezies

Prof. Angelika Schoster, LMU München und PD Dr. Dennis Rubbenstroth, Friedrich-Loeffler-Institut Fotos: © LMU München; FLI

Interview mit Prof. Angelika Schoster, Leiterin der Pferdeklinik der LMU München, und PD Dr. Dennis Rubbenstroth, Leiter des Nationalen Referenzlabors für Bornavirusinfektionen der Tiere am Friedrich-Loeffler-Institut

Frau Prof. Schoster hat in Wien, Österreich, Veterinärmedizin studiert und ihre Dissertation angefertigt. In Kanada folgte eine 4-jährige klinische Weiterbildung für Innere Medizin des Pferdes (Diplomate ACVIM und ECEIM) und ein 3-jähriges Doktoratsstudium (DVSc). Im Anschluss war Schoster als PhD Fellow an der Universität Kopenhagen, Dänemark, und danach
10 Jahre in Zürich, Schweiz, als Oberärztin für Innere Medizin an der Universität Zürich tätig, an der sie sich auch habilitierte. Seit dem 1. April 2023 ist die gebürtige Österreicherin Inhaberin des Lehrstuhls für Pferdemedizin und leitet die Pferdeklinik der LMU.

Dr. Dennis Rubbenstroth ist Fachtierarzt für Mikrobiologie und für Geflügel und Privatdozent an der TiHo Hannover. Seit 2020 ist er Leiter des Nationalen Referenzlabors für Bornavirusinfektionen der Tiere am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI).

Das Interview, das in Kompakt VetMed 02/2024 erschienen ist, führte Tierärztin Sigrun Grombacher.


Frau Prof. Schoster, Sie sehen immer wieder Fälle von BoDV-1-Erkrankungen bei Pferden. Wie häufig sind Sie dem Erreger bisher begegnet?

Schoster: Während meiner 10-jährigen Tätigkeit in Zürich wurden mir immer wieder einzelne klinische Fälle von BoDV-1 bei Pferden vorgestellt. In der Schweiz gibt es Gebiete in Graubünden und im St. Gallener Rheintal, in denen BoDV-1-Fälle bei Pferden vorkommen. Auch war ich zu 20 % für „Equinella“ tätig, eine Früherkennungs- und Informationsplattform für nicht
meldepflichtige Pferdekrankheiten in der Schweiz (Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen, BLV). Durch die teilnehmenden Tierärzte wurden auch immer wieder Borna-Fälle bei Pferden gemeldet. Seit ich im April 2023 an der LMU München begonnen habe, habe ich bereits mehrere akute Borna-Fälle mit typischer klinischer Symptomatik bei uns an der Klinik gesehen. Diese wurden durch die Borna-Diagnostik des FLI sowie pathohistologischen Untersuchungen unseres Instituts für Veterinärpathologie nachgewiesen. Die vorgestellten Tiere hatten alle einen akuten progressiven Krankheitsverlauf. BoDV-1 führt beim Pferd zu einer
Meningoenzephalitis, d. h. einer akuten progressiven neurologischen Erkrankung mit zentralnervösen Symptomen. Die Tiere sind alle innerhalb weniger Tage symptomatisch geworden, haben sich verschlechtert und mussten aufgrund der Symptomatik euthanasiert werden. Ich kenne einzelne Tiere, bei denen der Krankheitsverlauf bis zu 4 Wochen gedauert hat. Keines hat sich wieder erholt. Die Tiere zeigten alle einen hochgradig veränderten neurologischen Status. Klinische Fälle von Borna-Virus-Erkrankung sind meldepflichtig und werden durch die Länder bzw. den Bund in Zusammenarbeit mit dem FLI überwacht. Fast alle viralen neurologischen Infektionserkrankungen beim Pferd sind nicht spezifisch therapierbar, egal ob es sich um West-Nil-, Herpes-, oder Bornaviren handelt. Man kann als Tierarzt nur
symptomatisch unterstützend therapieren.


Welche klinischen Symptome zeigen erkrankte Pferde?

Schoster: Betroffene Pferde kommen meist als Notfall aufgrund von Fieber und hochgradigen neurologischen Symptomen in unterschiedlicher Ausprägung. Die Borna-Fälle zeigen sehr klassische neurologische Symptome, also zentralnervöse, vom Gehirn ausgehende Symptome, während Herpes in der Regel v. a. Rückenmarksymptome auslöst. Das West-Nil-Virus verursacht meist beides, Gehirn und Rückenmarksymptome. Borna verursacht klassischerweise eine Großhirnsymptomatik, d.h. wir sehen Verhaltens- und Wesensänderungen. Die Tiere wirken extrem apathisch, abwesend, mit reduzierter Sensibilität. Betroffene Pferde zeigen häufig abnormes Fressverhalten, Schluckschwierigkeiten, Leerkauen und reduzierte Zungenmotorik. Ganz typisch ist auch das Ausschachten des Penis ohne Harnabsatz. Außerdem sieht man eine Ataxie, Muskelzittern und andere Bewegungsstörungen. Zusätzlich kommen natürlich auch unspezifische Symptome dazu, wie Fressunlust und Zähneknirschen, welche bei vielen Erkrankungen als Schmerzsymptome vorkommen. Ähnlich verhält es sich mit Schreckhaftigkeit, die muss man auf das jeweilige Pferd bezogen sehen. Bei einem normalerweise stoischen Pferd, das schreckhaftes Verhalten zeigt, kann das ein klinisches Symptom sein, bei einem ohnehin schreckhaften Tier ist das schwieriger zu beurteilen. Die Symptome sind progressiv und im Verlauf liegen die Tiere irgendwann dann fest. Die letzten haben wir vor diesem Stadium erlöst. Als zu erkennen war, dass es sich nicht um Herpes handelt, sondern eher Borna, dass es stetig abwärts geht, das Pferd weder frisst noch trinkt, haben wir den Leidensweg verkürzt und die Tiere erlöst.

Wie erfolgt die Entscheidung zur Euthanasie?

Schoster: Die Diagnostik benötigt teilweise bis zu einer Woche. Solange überlebt ein betroffenes Pferd häufig nicht. In der Regel ist das eine klinische Verdachtsdiagnose mit typischen Symptomen und Verlauf, die wir den Tierbesitzern gegenüber auch so kommunizieren. Ehrlicherweise ist die Ursache bei progressiven neurologischen Symptomen dieses Ausmaßes bei Pferden nicht relevant, sondern nur der Verlauf unter Therapie. Wir therapieren Pferde mit diesen Symptomen mit Entzündungshemmern, Schmerzmitteln, Corticosteroiden und, wenn wir den Verdacht auf eine bakterielle Beteiligung haben, auch mit Antibiotika. Da wir meistens Liquor entnehmen und nicht viel Auffälliges in dem Liquor ist, außer leichten Entzündungsanzeichen, können wir bereits sehr viele Erkrankungen ausschließen wie Neoplasien oder eine bakterielle Meningitis, die man im Liquor sehr gut erkennt. Dann bleiben eigentlich nur noch die viralen Erreger. Parasiten müssen wir in Deutschland in der ZNS-Diagnostik beim Pferd kaum berücksichtigen. Und was die Viren angeht gibt es keine spezifische Therapie, die muss der Körper selber bekämpfen und wenn sich das
Krankheitsgeschehen über 48 h progressiv verschlechtert, ist die Prognose schlecht. Als Corticosteroid setzen wir Dexamethason ein, weil wir das intravenös spritzen können. Für Prednisolon wäre eine orale Gabe nötig und die Tiere fressen meist nicht und wenn wir es eingeben und das Abschlucken klappt nicht richtig, dann kommt nur die Hälfte an. Generell versuchen wir bei schweren Entzündungen im Nervensystem, diese zu unterdrücken, da sie
die Nervenzellen weiter schädigen. Die Pferde bekommen zusätzlich alle ein NSAID, außerdem führen wir eine Flüssigkeitstherapie durch und verabreichen Vitamin E und Selen als Antioxidantien.

Kommen beim Pferd keine antiviralen Medikamente zum Einsatz?

Schoster: Jein. Es gibt ein antivirales Medikament, Valaciclovir, das spezifisch bei Herpes-Viren eingesetzt werden kann, das setzen wir ein. Da versuchen wir, die Herpesviren in der virämischen Phase an der Replikation zu hemmen, aber das wirkt eben nur bei Herpesviren. In Zellkultur wurde eine Wirksamkeit von Ribavirin und Favipiravir gegen Bornaviren nachgewiesen. Auch in der Humanmedizin werden diese beiden Wirkstoffe inzwischen eingesetzt im Rahmen von experimentellen, d. h. wissenschaftlich nicht erprobten Notfallbehandlungen. Studien beim Pferd gibt es dazu meines Wissens jedoch nicht.

Herr Dr. Rubbenstroth, Sie haben mit einer Gruppe von Forschenden eine Studie zur molekularen Epidemiologie und Phylogeographie des BoDV-1 herausgebracht resp. diese
durchläuft gerade die Peer-Review. Worin bestand das Ziel der Studie?

Rubbenstroth: Nach der Bestätigung des zoonotischen Potenzials und dem Nachweis tödlicher BoDV1-Infektionen bei Menschen ist das Interesse an diesem Virus deutlich gestiegen. Die Daten zu seiner Verbreitung waren jedoch bisher noch sehr lückenhaft und z. T. veraltet. Dies liegt u. a. daran, dass BoDV1-Infektionen in Deutschland erst seit 2020 wieder meldepflichtig sind. Zuvor waren sie es bereits bis 2011, jedoch wurden damals leider auch viele unbestätigte Fälle gemeldet, sodass diese Daten nur bedingt zu gebrauchen sind. Unsere Studie hatte daher das Ziel, neue Daten zur Verbreitung von BoDV-1 zu sammeln, die nicht nur aktueller, sondern v. a. auch flächendeckender und verlässlicher sein sollten als die bisherige Datenlage. Da eine flächendeckende Beprobung des BoDV-1-Reservoirwirts, der Feldspitzmaus, kaum durchführbar ist, haben wir uns dafür entschieden, Fälle der Borna´schen Krankheit bei Haustieren als Indikatoren für das Auftreten des Virus zu nutzen. Dazu haben wir veterinärmedizinische Diagnostikeinrichtungen im gesamten deutschsprachigen Raum aufgerufen, uns ihre BoDV-1-Fälle mitzuteilen und Untersuchungsmaterial davon zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit Kooperationspartnern aus der Humanmedizin versucht, die bisher bekannten humanen BoDV-1-Fälle zusammenzufassen und ebenfalls zu kartieren. Ein weiteres Ziel war, Richtlinien dafür festzulegen, wann ein BoDV1-Fall bei einem Tier oder Menschen als ein Indikator für endemisches Vorkommen des Virus in der jeweiligen Region gelten kann.

Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

Rubbenstroth: Obwohl Einrichtungen aus dem gesamten deutsch sprachigen Raum aufgerufen waren, BoDV-1-Fälle mitzuteilen, und auch Kolleginnen und Kollegen außerhalb der bekannten Endemiegebietedaran teilgenommen haben, stammte die weit überwiegende Mehrzahl der Fälle sowohl bei Tieren als auch bei Menschen aus den bereits bekannten Endemiegebieten in Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Anhand genetischer Untersuchungen der gefundenen Viren lässt sich BoDV-1 in verschiedene Varianten einteilen, von denen jede in ganz bestimmten Regionen des Endemiegebiets zu finden ist. Dass diese Regionen kaum untereinander überlappen, ist ein sehr typisches Muster für einen Erreger, der an einen nur sehr wenig mobilen Reservoirwirt gebunden ist – wie in diesem Fall die Feldspitzmaus. Unsere Ergebnisse sprechen damit auch sehr deutlich gegen die in der Vergangenheit aufgestellte Behauptung, dass BoDV-1 auch durch sehr viel mobilere Wirte verbreitet werden kann, wie z.B. Menschen, Pferde oder andere Haustiere, und auch gegen eine weltweite Verbreitung des Virus. Darüber hinaus lassen sich anhand der genetischen Signaturen der gefundenen Viren auch Aussagen darüber treffen, in welcher Region sich betroffene Menschen oder Haustiere vermutlich mit dem Erreger infiziert haben. Bei den menschlichen Fällen fand dies laut unserer Studie fast immer in der Heimatregion des jeweiligen Patienten statt.

Es gab auch einige geografische „Neueinträge“ …

Rubbenstroth: Vereinzelte BoDV-1-Fälle bei Haustieren wurden im gesamten Bundesgebiet festgestellt. Abgesehen von der Möglichkeit ungenauer oder falscher Ortsangaben zu den z.T. recht alten Archivfällen kann v. a. die lange, mehrere Wochen bis Monate dauernde Inkubationszeit zu solchen Fällen führen. Wenn ein Tier, das sich im Endemiegebiet infiziert hat, innerhalb der Inkubationszeit verkauft wird oder aus anderen Gründen den Standort wechselt, und dann anschließend erkrankt und als BoDV-1-infiziert diagnostiziert wird, dann führt dies zu einer Ortsangabe, die nicht dem Infektionsort und dem tatsächlichen Vorkommen des Virus entspricht. Im Rahmen der Studie konnten wir mehrere solcher Fälle identifizieren, in denen wir die Virussequenz dann der Herkunftsregion des Tieres zuordnen konnten. In anderen Fällen, in denen keine Hintergrundinformationen über einen kürzlichen Standortwechsel verfügbar waren, können wir nicht ausschließen, dass sie tatsächlich auf ein bisher unbekanntes lokales BoDV-1-Vorkommen außerhalb des bisher bekannten Endemiegebiets zurückzuführen sind. Dies bedarf dann jedoch weiterer Bestätigung. In unserer Studie haben wir Kriterien festgelegt, wie genetisch ähnlich und wie räumlich nah beieinander 2 BoDV-1-Funde sein müssen, um ein potenzielles Endemiegebiet anzuzeigen.

Könnten die beobachteten unterschiedlich langen Inkubationszeiten auf unterschiedliche Infektionswege zurückgehen?

Rubbenstroth: Ähnlich wie das Tollwutvirus bewegt sich das BoDV-1 entlang der Nervenbahnen vom Ort seines Eintritts in den Organismus zum Gehirn. Für das Tollwutvirus ist gut bekannt, dass die Inkubationszeit auch davon abhängt, wie weit sein Weg ins Gehirn ist. Für das BoDV-1 ist die Datenlage dazu wesentlich spärlicher, aber es ist durchaus denkbar, dass auch hier die Entfernung des Eintrittsorts zum Gehirn eine Rolle spielt. Andere denkbare Faktoren könnten beispielsweise der Immunstatus des Infizierten sein, da Bornavirus induzierten Erkrankungen eine Immunpathogenese zugrunde liegt, also eine Schädigung weniger durch das Virus selbst als vielmehr durch die Immunantwort, die gegen das Virus gerichtet ist. Konkrete Daten zu tierartlichen Unterschieden bezüglich der Inkubationszeiten gibt es bislang nicht.

Wie könnten praktizierende Tierärzte die Forschung unterstützen?

Rubbenstroth: Bei neurologischen Erkrankungen sollte v.a. im bekannten Endemiegebiet immer auch an die Borna‘sche Krankheit gedacht werden. Bei Tieren mit einem epidemiologischen Bezug zum Endemiegebiet oder bei klinisch sehr typischen Fällen lohnt die Abklärung aber auch in nicht-endemischen Regionen. Wichtig ist dabei zu bedenken, dass der Nachweis des Virus am lebenden Tier leider nicht trivial ist und dass nur der direkte Virusnachweis (z. B. per PCR aus dem Liquor) eine sichere Diagnose erlaubt, während die Serologie immer nur einen Verdacht ermöglicht. Sehr viel sicherer ist der Nachweis post mortem aus dem Gehirn, Rückenmark oder ggf. auch dem Sehnerv möglich. Um unsere Studien zur Verbreitung des Virus weiterzuführen und möglicherweise weitere bisher noch unbekannte BoDV-1-Vorkommen zu identifizieren, sind wir darauf angewiesen, dass diese Untersuchungen auch in möglichst vielen Fällen durchgeführt und die BoDV-1-Nachweise anschließend gemeldet werden.

Frau Prof. Schoster, Herr Dr. Rubbenstroth, herzlichen Dank für das Gespräch.