Wann entstehen bei Kleinkindern erste Erinnerungen?27. März 2025 Foto: © Oksana Kuzmina – stock.adobe.com Einer aktuellen Studie zufolge können Kleinkinder ihre ersten autobiographischen Erinnerungen schon ab dem Alter von einem Jahr speichern. Unabhängige Experten loben zwar die herausfordernde Untersuchung mit kleinen Kindern, warnen aber vor einer Überinterpretation der Ergebnisse. Unsere ersten Erinnerungen an Erlebnisse fangen nicht bei der Geburt an. Die infantile Amnesie beschreibt dieses Phänomen der fehlenden Kindheitserinnerungen in den ersten Lebensjahren. Was die Gründe dafür sein könnten und ab welchem Zeitpunkt erste Erinnerungen gespeichert werden können, haben Forschende aus den USA an Kleinkindern und Säuglingen genauer untersucht. Ihre Ergebnisse sprechen dafür, dass die Hirnregion Hippocampus schon ab dem Alter von einem Jahr erlebte Erinnerungen speichern kann. Das episodische Gedächtnis ist dafür verantwortlich, dass man sich langfristig an persönliche Erlebnisse erinnert. Es unterscheidet sich vom semantischen Gedächtnis, das allgemeine Fakten speichert (wie Namen), und vom impliziten Gedächtnis, das unbewusste Fähigkeiten sichert (wie Laufen). Kurzfristige Informationen werden im Arbeitsgedächtnis und sensorischen Gedächtnis gehalten. Eine für das episodische Gedächtnis zentrale Hirnregion ist der Hippocampus. Er ist an allen Gedächtnisbildungsprozessen – der Abspeicherung, Sicherung und dem Abruf von Erinnerungen – beteiligt, aber in den ersten Lebensjahren noch nicht vollständig entwickelt. Der genaue Grund dafür, warum man sich nicht an Kindheitserlebnisse erinnert, ist unklar – etwa, ob es am Speichern der Erinnerung oder späteren Prozessen, wie dem Abrufen, liegt. Um dies zu klären, haben die Forschenden 26 Kinder im Alter von vier bis 25 Monaten untersucht – eine Hälfte jünger und die andere Hälfte älter als ein Jahr. Durch funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) konnten sie die Hirnaktivitäten der Kinder darstellen. Während der Untersuchung zeigten sie ihnen mehrere Bilder in Folge. Nach durchschnittlich einer Minute wurden in einem nachfolgenden Test Bilderpaare gezeigt: ein bereits gezeigtes und ein neues. Wenn die Kinder dem alten Bild mehr Aufmerksamkeit schenkten, war dies ein Indikator für ein Erinnern. Bei Kindern, die sich an Bilder erinnerten, zeigte der Hippocampus beim allerersten Sehen eines dann später erinnerten Bildes eine verstärkte Aktivität – im Vergleich zu Bildern, die dann vergessen wurden. Das soll laut Studie ein Hinweis dafür sein, dass die Erinnerung beim ersten Sehen enkodiert wurde. Diese Aktivität trat nur bei Kindern, die über ein Jahr alt waren, auf und zeigte sich besonders im hinteren Teil des Hippocampus. Die Forschenden schließen aus diesen Ergebnissen, dass das Speichern durch den Hippocampus ab ungefähr einem Jahr möglich sei und daher die Gründe für die infantile Amnesie nicht beim Abspeichern, sondern bei nachfolgenden Gedächtnisprozessen liegen müssten. Episodische Erinnerungen sind komplex Prof. Pamela Banta Lavenex, Dekanin der Fakultät für Psychologie an der FernUni Schweiz in Brig, Schweiz, hält diese Schlussfolgerung für eine Überinterpretation der Ergebnisse, die Leser zu der Annahme verleiten könnte, dass die vorliegende Studie zeige, dass Kinder episodische Erinnerungen früher als bisher angenommen speichern können. Tatsächlich bestünden episodische Erinnerungen aber aus drei Komponenten: das Was, das Wo und das Wann, erklärt die Expertin. „Es ist die relationale Bindung dieser drei Komponenten, die jede episodische Erinnerung einzigartig macht: Was ist wem, wo und wann passiert?“ Die aktuelle Studie zeige aber lediglich, dass der Hippocampus die Wiedererkennung von Objekten im Alter von zwölf Monaten verarbeitet. „Dies ist interessant, da es bedeutet, dass der Hippocampus in der Lage ist, Informationen aus einer der drei Komponenten des episodischen Gedächtnisses – der ‚Was‘-Komponente – zu verarbeiten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Korrelation zwischen der Aktivität des Hippocampus und den erinnerten Elementen bei Kindern unter zwölf Monaten nicht signifikant war.“ Dies deute darauf hin, dass der Hippocampus vor diesem Alter möglicherweise nicht reif genug ist, um selbst die in dieser Studie vorgestellten visuellen Informationen zu verarbeiten. Dies stehe im Einklang mit früheren neuroanatomischen, neurohistochemischen, molekularen und Genexpressionsdaten, die die graduelle Reifung des Hippocampus zwischen der Geburt und dem Alter von zwei Jahren dokumentieren, erklärte Banta Lavenex. Tatsächlich gebe es aktuell keine bildgebenden oder verhaltensbezogenen Belege dafür, dass der menschliche Hippocampus vor dem Alter von etwa zwei Jahren das erzeugen kann, was Erwachsene als episodische Erinnerungen kennen. Faszierende Ergebnisse, die neue Fragen aufwerfen Prof. Flavio Donato, Forschungsgruppenleiter am Biozentrum der Universität Basel, Schweiz, bezeichnet die Ergebnisse der Studie als „faszinierend“, dennoch untersuche sie nur eine bestimmte Art von Gedächtnis – die kurzzeitige Speicherung – und lasse die Frage offen, ob der Hippocampus in diesem Stadium andere Formen des Gedächtnisses unterstützt. „Bei Erwachsenen spielt der Hippocampus eine entscheidende Rolle bei der Konsolidierung des Langzeitgedächtnisses und der räumlichen Navigation, aber diese Fähigkeiten scheinen sich erst später zu entwickeln, etwa im Alter von zwei Jahren und darüber hinaus“, erklärte Donato. Die Studie habe aber gezeigt, dass der Hippocampus bereits im frühen Kindesalter aktiv an Gedächtnisprozessen beteiligt ist. Daraus erwachse unter anderem die Frage, welche minimalen neuronalen Schaltkreise dann für die Gedächtnisbildung erforderlich sind. „Ein Verständnis dieser Frage könnte Einblicke in gedächtnisbezogene Störungen geben, bei denen diese Prozesse zusammenbrechen – und möglicherweise Strategien für Interventionen bieten.“
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