Weltweit erste Studie zu personalisierter Medizin mit funktionellem Testverfahren : Individuelle Therapie bei Lymphdrüsenkrebs und Leukämie möglich und wirksam12. Oktober 2021 Philipp Staber, Christoph Kornauth, Tea Pemovska und Giulio Superti-Furga. Foto: ©CeMM Aggressive, hämatologische Krebserkrankungen wie Leukämien oder Lymphome sind im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium nur schwer behandelbar, Standardtherapien zeigen oftmals wenig Wirkung. Erstmals konnte eine am AKH Wien durchgeführte Studie belegen, dass eine über einen funktionellen Test ausgewählte Therapie wirksam und umsetzbar ist. Mittels Einzelzellprofilen von Patientenbiopsien wurde die Wirkung von Medikamenten in einem neuen experimentellen Verfahren quantifiziert, 56 Patienten wurden daraufhin individuell auf sie abgestimmten Therapien unterzogen – mit deutlich positiven Ergebnissen. Personalisierte Therapieanpassungen erfolgen derzeit in erster Linie anhand genetischer Biomarker, diese bieten jedoch nur für weniger als 10 Prozent der Krebspatienten abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten. Funktionelle Präzisionsmedizin (FPM) zeichnet sich durch den Einsatz von funktionellen Tests aus, in denen ähnlich einem Antibiogramm, mittels „drug screening“ die Wirksamkeit einer Vielzahl von Medikamenten direkt an Krebszellen ausgetestet wird. In dieser innovativen Form der funktionellen personalisierten Medizin, speziell „single-cell functional precision medicine (scFPM)“, werden durch detaillierte Analyse einzelner Zellen die Effekte der Wirkstoffe auf sowohl bösartige als auch gesunde Zellen, welche im hierfür frisch entnommenen Gewebe von Krebspatienten isoliert werden, untersucht. Das Verfahren lässt eine Steigerung der spezifischen Wirksamkeit und eine Reduktion an Nebenwirkungen zu. In der hier angewandten Methode wird eine hohe Präzision durch automatisierte Mikroskopie und computergesteuerte Bildanalyse erreicht, ursprünglich wurde sie auch „Pharmakoskopie“ genannt. Im Rahmen der EXALT Studie (für Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment) an Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen des Bluts und des Lymphsystems konnten Wissenschaftler und Ärzte um Philipp Staber (MedUni Wien/AKH Wien), Ingrid Simonitsch-Klupp (MedUni Wien/AKH Wien), Giulio Superti-Furga (CeMM) sowie Berend Snijder (ETH Zürich, vormals CeMM) erstmals zeigen, dass eine Therapieauswahl über einen funktionellen Test klinisch umsetzbar und für die Betroffenen von Nutzen ist. Die Erstautorschaft der Publikation wird von Christoph Kornauth und Tea Pemovska (beide MedUni Wien/AKH Wien) sowie Gregory Vladimer (Exscientia, vormals CeMM) geteilt. Test der Medikamentenwirksamkeit „Aus Echtzeit-Biopsien haben wir Tumor-Einzelzellen der PatientInnen untersucht und die Wirkungen von über 130 Kandidaten-Substanzen direkt ausgetestet, um festzustellen, welche Therapie beim jeweiligen Individuum anspricht“, so Studienleiter Staber, assoziierter Professor an der Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH Wien sowie Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC). „Um den individuellen Nutzen der Patienten zu testen, wurde die Zeit des Therapieansprechens mit der zu ihrer jeweiligen Vortherapie verglichen. 54% unserer Patienten hatten unter der so gewählten Therapie eine deutliche, zumindest um mehr als 30% verlängerte Zeit ihres progressionsfreien Überlebens. Bei 21% der Patienten zeigte sich sogar ein Langzeitansprechen. Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Anpassung der Therapie nicht nur machbar, sondern auch wirksam ist, Resistenzen zu Vortherapien zu brechen“, so Staber. Für ihre Studie nutzen die Wissenschaftler „Pharmakoskopie“, einen bildbasierten Ansatz der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM), entwickelt in der Forschungsgruppe von CeMM Principal Investigator und Scientific Director Giulio Superti-Furga, auch Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Superti-Furga ergänzt: „Unser Anliegen war es, echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten viele, so wie wir am CeMM und an der MedUni Wien, an immer besseren molekularen Profilen von Genen, Proteinen und Metaboliten, die erlauben sollen, Patienten individuell zu behandeln. Aber beim Vorgang, der in dieser Studie eingesetzt wurde, geht es um eine Art von Abkürzung. Wir testen direkt, welches Medikament tatsächlich auf die Krebszellen wirkt. Die Idee zur personalisierten Krebsmedizin ist längst nicht neu. Doch in der dahinterliegenden Technologie, um Tumorgewebe so zu analysieren, dass daraus therapierelevante Informationen gewonnen werden können, stecken viele Jahre an Forschung. Heute können wir mit unerreichter Auflösung und Präzision Einzelzellanalysen von Patientenproben durchführen, einzelne Immunzell-Interaktionen beobachten und damit die Wirkung einer enormen Vielzahl an Medikamenten testen.“ Zielgerichtete Therapiewahl Laut CeMM wurde damit erstmals in einer klinischen Krebsstudie im Bereich der Präzisionsmedizin ein funktioneller Assay verwendet. Das heißt, dass Wirkstoffe direkt am individuellen Zellmaterial des Patienten getestet wurden, um daraus eine auf die jeweilige Person abgestimmte onkologische Therapie abzuleiten. Die Studie veranschaulicht, dass Patienten, für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen, von der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM) stark profitieren, denn mit der scFPM kann im Gegensatz zu früher eine Vielzahl an Wirkstoffen mittels eines High-Content-Assays detailliert erprobt werden. Die Studie „Functional Precision Medicine Provides Clinical Benefit in Advanced Aggressive Hematological Cancers and Identifies Exceptional Responders“ erschien am 11. Oktober 2021 in der Zeitschrift Cancer Discovery , DOI: 10.1158/2159-8290.CD-21-0538 AutorInnen: Christoph Kornauth*, Tea Pemovska*, Gregory Vladimer*, Günther Bayer, Michael Bergmann, Sandra Eder, Ruth Eichner, Martin Erl, Harald Esterbauer, Ruth Exner, Verena Felsleitner-Hauer, Maurizio Forte, Alexander Gaiger, Klaus Geissler, Hildegard Greinix, Wolfgang Gstöttner, Marcus Hacker, Bernd Hartmann, Alexander Hauswirth, Tim Heinemann, Daniel Heintel, Mir Hoda, Georg Hopfinger, Ulrich Jaeger, Lukas Kazianka, Lukas Kenner, Barbara Kiesewetter, Nikolaus Krall, Gerhard Krajnik, Stefan Kubicek, Trang Le, Simone Lubowitzki, Marius Mayerhoefer, Elisabeth Menschel, Olaf Merkel, Katsuhiro Miura, Leonhard Müllauer, Peter Neumeister, Thomas Noesslinger, Katharina Ocko, Leopold Öhler, Michael Panny, Alexander Pichler, Edit Porpaczy, Gerald Prager, Markus Raderer, Robin Ristl, Reinhard Ruckser, Julius Salamon, Ana-Iris Schiefer, Ann-Sofie Schmolke, Ilse Schwarzinger, Edgar Selzer, Christian Sillaber, Cathrin Skrabs, Wolfgang Sperr, Ismet Srndic, Renate Thalhammer, Peter Valent, Emiel van der Kouwe, Katrina Vanura, Stefan Vogt, Cora Waldstein, Dominik Wolf, Christoph Zielinski, Niklas Zojer, Ingrid Simonitsch-Klupp**, Giulio Superti-Furga**, Berend Snijder**, and Philipp Staber** *geteilte Erstautoren**geteilte Letztautoren Förderung: Die Studie wurde finanziert durch den Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF (LS16-034), den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (F4704-B20, F4711-B20 und P27132-B20), das European Molecular Biology Organization Long Term Fellowship (1543-2012, 733-2016), den Schweizerischen Nationalfonds (PP00P3_163961, PP00P3_194809 und CRSII5_193832) und den Europäischen Forschungsrat (SCIPER; 803063). Philipp Staber ist assoziierter Professor der MedUni Wien, Leiter der Forschungsgruppe “Functional Precision Hematology” und Direktor der klinischen Programme für Lymphdrüsenkrebs, Chronisch Lymphatische Leukämie und T-Zell Lymphome an der MedUni Wien und dem AKH Wien. Ingrid Simonitsch-Klupp ist außerordentliche Universitätsprofessorin am Klinischen Institut für Pathologie von MedUni Wien und AKH Wien, Leiterin der Arbeitsgruppe „Hämatopathologie“. Berend Snijder ist Assistenz-Professor am Institut für Molekulare Systembiologie an der ETH Zürich, und Gruppenleiter am Schweizer Institut für Bioinformatik. Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Zu seinen aktuellen Interessensgebieten in der Forschung zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin sowie die Rolle der menschlichen Membran-Transporter in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Die Förderung junger Talente durch neue kollaborative und inklusive Ansätze, die Vereinigung von Grundlagenforschung und deren medizinischer Umsetzung sowie die technologische Innovation zum Nutzen der PatientInnen und der Gesellschaft sind ihm ein besonderes Anliegen. ______________________________________________________
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