Wie sinnvoll ist ein Screening auf Typ-1-Diabetes bei Kindern?

Die kontinuierliche Glukosemessung ist vor allem für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes eine Erleichterung. (Foto: © habrovich – stock.adobe.com)

Auf dem Diabetes-Kongress 2023 im Mai diskutieren Experten über Chancen, Risiken und ethische Aspekte eines derzeit in Studien angewandten Antikörperscreenings, das bei Kindern eine in der Zukunft auftretende Diabeteserkrankung nachweisen soll.

Diabetes Typ 1 ist eine Stoffwechselerkrankung, die vor allem in westlichen Industrieländern, darunter auch in Deutschland, zunimmt: Derzeit leben hierzulande vier von 1000 Kindern und Jugendlichen damit. Experten schätzen, dass sich die Zahl bis 2040 verdoppeln wird. Doch bereits jetzt ist Typ-1-Diabetes die häufigste chronische Stoffwechselerkrankung bei jungen Menschen bis 20 Jahre.

Auf dem Diabetes-Kongress 2023 diskutieren Forschende und Behandelnde Chancen, Risiken und ethische Aspekte eines derzeit in Studien angewandten Antikörperscreenings, das bei Kindern eine in der Zukunft auftretende Diabeteserkrankung nachweisen soll. Die Früherkennung dieser Risikopatienten könnte zudem in eine die Erkrankung verzögernde Therapie mit einem monoklonalen Antikörper münden, welche in den USA bereits zugelassen ist. Die Vor- und Nachteile des Screenings werden auf dem Kongress gemeinsam mit dem Ethiker Giovanni Maio diskutiert.

„Typ-1-Diabetes ist nicht heilbar, lässt sich aber mit den modernen Methoden der Insulintherapie gut behandeln“, sagt Prof. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und Kommissarischer Ärztlicher Direktor der Abteilung Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie an der Kinderklinik Tübingen. „Dennoch bleibt für die Betroffenen die Belastung durch eine chronische Erkrankung. Nicht nur für die Erkrankten selbst, auch für deren Familien verändert sich mit der Diagnose das Leben oft massiv.“

In den vergangenen Jahren habe die Diagnostik, aber auch die Therapie des Typ-1-Diabetes bedeutende Fortschritte gemacht, erläutert Neu. Auch eine Früherkennung ist mittlerweile möglich: „Durch ein in Studien bereits durchgeführtes Antikörperscreening besteht die Möglichkeit, bei Kindern ein künftiges Erkrankungsrisiko zu identifizieren, lange bevor erste Symptome auftreten und die Krankheit ausbricht. Seit Kurzem in den USA zugelassen und in Europa beantragt ist die Gabe des monoklonalen Antikörpers Teplizumab, der in Studien die Manifestation der Erkrankung nicht verhindern, aber um einige Jahre verzögern konnte.“

Doch welchen Nutzen die Früherkennung für die betroffenen Kinder und deren Familie tatsächlich hat und ob ein Screening auf Diabetes Typ 1 wirklich sinnvoll sein könnte, sei derzeit unklar. „Dazu müssen noch viele offene Fragen geklärt werden – sowohl medizinische als auch ethische“, betont der Kinderdiabetologe: „So beispielsweise, wie treffsicher das Screening tatsächlich ist und wie mit falsch-positiven Befunden von Betroffenen umgegangen wird, die dann mit der Belastung eines nicht vorhandenen Risikos leben. Zum anderen sollte nicht unterschätzt werden, dass das Wissen um eine künftige Erkrankung schon im Vorfeld ihrer Entstehung eine jahrelange Bürde sein kann. Und ist der Einsatz von Teplizumab zur Krankheitsverzögerung ein Gewinn, wenn wir dafür den Einsatz einer Immunintervention mit möglichen Nebenwirkungen bei einem noch gesunden Kind in Kauf nehmen müssen? Ist eine Intervention gerechtfertigt bei einer heute gut behandelbaren Erkrankung und modernen Therapie-Optionen, die in vielen Bereichen ein nahezu normales Leben ermöglichen?“ Besonders die ethischen Aspekte müssten intensiv diskutiert werden.

Klar ist, dass der Diabetes Typ 1 bei vielen Kindern und Jugendlichen immer noch zu spät erkannt wird – häufig erst mit einer diabetischen Ketoazidose (DKA). „Hier ist unverzichtbar, die Aufklärung von Eltern, aber auch bei KiTa- und Schulpersonal zu verbessern, wie wir es mit der Kampagne zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes machen“, sagt Neu.