Wie sozialer Rückzug das jugendliche Gehirn beeinflusst

Sozial zurückgezogene Jugendliche oder solche, die Einsamkeit bevorzugen, weisen laut neuer Studie messbare Unterschiede in der Struktur und Funktion ihres Gehirns auf. (Foto: © fotoduets – stock.adobe.com)

Forschende am Boston Children’s Hospital haben herausgefunden, dass sozial zurückgezogene Jugendliche oder solche, die Einsamkeit bevorzugen, messbare Unterschiede in der Struktur und Funktion ihres Gehirns aufweisen. Die Ergebnisse wurden in „Cerebral Cortex“ veröffentlicht.

In dieser von der National Science Foundation unterstützten Studie wollten Stamoulis und ihre Kollegen die Gehirnkorrelate des sozialen Rückzugs im Jugendalter identifizieren – ein Risiko, das in dieser Entwicklungsphase besonders ausgeprägt ist. Um dies zu untersuchen, nutzte das Team Daten der von den National Institutes of Health finanzierten ABCD-Studie (Adolescent Brain Cognitive Development): Eine Kohorte von 11.880 Jugendlichen wurde an 21 Standorten in den USA mit Bildgebungs-, Verhaltens- und Umweltmessungen beobachtet. Das Team analysierte MRT- und fMRT-Daten von fast 3000 Jugendlichen, deren Eltern über das Sozialverhalten ihrer Kinder berichtet hatten, einschließlich der Frage, ob diese dazu neigten, sich zurückzuziehen oder lieber allein zu sein.

„Die ABCD-Studie ist einzigartig, weil sie die einzige ist, die tiefe Neurobildgebung verwendet, um sowohl strukturelle als auch funktionelle Gehirnaktivität zu messen“, berichtet Stamoulis. „Sie untersucht auch das Jugendumfeld und misst Sozialverhalten, psychische Gesundheit usw.“

Wie Rückzug das jugendliche Gehirn formt

Stamoulis stellt fest, dass die Ergebnisse selbst zwar nicht unerwartet waren, die Details jedoch wichtige neue Erkenntnisse boten. Sozial zurückgezogene Jugendliche zeigten strukturelle Unterschiede in Regionen des Gehirns, die die soziale und emotionale Verarbeitung unterstützen, einschließlich der Insula und des anterioren Cingulums. Funktionell zeigten ihre Gehirnnetzwerke auch schwächere Verbindungen und eine größere Fragilität in Schaltkreisen, die soziales Verhalten und Entscheidungsfindung unterstützen. Diese Unterschiede waren nicht auf eine einzelne Region beschränkt, sondern erstreckten sich über mehrere Netzwerke, die kognitive Funktionen über Domänen hinweg unterstützten, was ihre potenziellen Auswirkungen verstärkte.

„Wir haben bestätigt, dass soziale Isolation nicht nur Gehirnbereiche betrifft, die soziale Funktionen unterstützen, sondern auch andere Prozesse“, erklärt der Forscher. „Der Zusammenhang mit weitverbreiteten Schaltkreisen im Gehirn legt nahe, dass soziale Isolation das Risiko für psychische Gesundheitsprobleme erhöhen kann.“

Einsamkeit als Warnsignal: Leitlinien für Ärzte

Für Kliniker haben diese Ergebnisse mehrere Implikationen. Ein gewisses Maß an Einsamkeit ist im Jugendalter normal und sogar unerlässlich. Aber im Zusammenhang mit den festgestellten Gehirnveränderungen verdienen Muster des anhaltenden sozialen Rückzugs genauere Aufmerksamkeit. Ärzte sind in der einzigartigen Position, Familien dabei zu helfen, zu verstehen, worum es geht. „Es ist wirkungsvoll, Familien aufzuklären, indem man ihnen zeigt, was im Gehirn ihrer Kinder vorgeht“, erklärt Stamoulis.

Auswirkungen der Einsamkeit im Laufe der Zeit

Da die ABCD-Studie auf eine Nachuntersuchung alle zwei Jahre ausgelegt ist, können Stamoulis und ihre Kollegen nun verfolgen, wie sich diese Muster im Laufe der Entwicklung von Kindern entwickeln. „Jetzt können wir einen zeitlichen Trend in der Entwicklung des Gehirns erkennen und ihn mit dem von Kindern vergleichen, die diese Vorlieben oder Verhaltensweisen nicht haben“, berichtet Stamoulis.

In der nächsten Forschungsphase wird untersucht, ob anhaltende Einsamkeit einen bleibenden Eindruck hinterlässt und wie stark frühzeitige Interventionen diesen Weg verändern können. Durch die Beobachtung der Jugendlichen im Laufe der Zeit hoffen Stamoulis und ihre Kollegen, ein klareres Bild davon zu gewinnen, wie sozialer Rückzug das Gehirn prägt – und wie dieses Wissen dazu beitragen könnte, frühere und wirksamere Interventionen zu entwickeln.

(lj/BIERMANN)