Wie TikTok & Co. das Lernen beeinflussen11. Juni 2025 Beeinträchtigt das Schauen von Kurzvideos das Lernen? (Quelle: Westend61/zerocreatives) Ob und wie sich Kurzvideos auf Social Media-Plattformen auf unsere Denkweise und unser Lernen auswirken – das hat die Technische Universität Braunschweig in zwei Studien untersucht, die in der Fachzeitschrift „Computers & Education“ veröffentlicht wurden. Kurzvideos auf TikTok, Instagram Reels und YouTube Shorts sind längst ein fester Bestandteil im Alltag junger Menschen. Die bunten Schnipsel zwischen zehn und 60 Sekunden Länge sind unterhaltsam, schnell und einfach konsumierbar sowie visuell ansprechend. Aber sind sie auch für die Wissensvermittlung geeignet? Kurzvideos fördern offenbar ein oberflächliches Verarbeiten von Informationen, können rationales Denken verdrängen und eignen sich für die Wissensvermittlung weniger gut als textbasiertes Lernmaterial. Das sind zentrale Ergebnisse zweier Untersuchungen, in denen das Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig die Auswirkungen von Kurzvideokonsum analysiert hat. „Es bedarf zwar noch weiterer Forschung, aber die Studien enthalten Hinweise darauf, dass Kurzvideos zum Lernen und Lehren niedrigkomplexer Inhalte gegenüber Texten im Nachteil sind“, erklärt Thorsten Otto, der in seiner Dissertation untersucht, ob und wie sich soziale Medien und deren Formate, wie beispielsweise Kurzvideos, gewinnbringend in der Bildung integrieren lassen. „Ich bin überzeugt, dass wir junge Menschen stärker für Bildung begeistern können, wenn man im Unterricht gezielt Anknüpfungspunkte an ihre Lebenswelt schafft“, so der Wissenschaftler. „Wenn es gelingt, alltagsnahe Elemente – wie Soziale Medien – verantwortungsvoll und punktuell in den Unterricht zu integrieren, ohne negative Lerneffekte zu erzeugen, kann dies das Engagement sowie die positive Haltung gegenüber schulischem Lernen deutlich fördern.“ Schnelle Clips, seichtes Lernen In der ersten der beiden Studien hat Otto rund 170 Erwachsene im Alter von 18 bis 52 Jahren zu ihrem Kurzvideokonsum, ihrer Fähigkeit zum rationalen Denken und ihrem Lernansatz befragt beziehungsweise getestet. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden waren Studierende. Dabei zeigte sich: Wer viele Kurzvideos konsumiert, schnitt beim Test für rationales Denken signifikant schlechter ab. „Um rationales Denken zu fördern, brauchen Kinder und junge Erwachsene Lernumgebungen, die ihnen vermitteln, wie statt was sie denken sollen“, betont Otto. Die zweite Studie ging einen Schritt weiter. Rund 120 Teilnehmende im Alter von 18 bis 30 Jahren wurden in einem Online-Experiment in vier Gruppen eingeteilt. Zwei der Gruppen sahen für drei Minuten eine Sammlung von unterhaltsamen, für Social Media-Plattformen typische Kurzvideos, die beiden anderen nicht. Das Lernmaterial wurde anschließend entweder in Form von zwei Kurzvideos oder in Textform präsentiert, der Inhalt beider Lernmaterialien (Text und Kurzvideo) war wortgenau derselbe. Im Anschluss sollten die Teilnehmenden ein Wissensquiz zum Inhalt des Lernmaterials und einen Test zum rationalen Denken bearbeiten. Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmenden, die den Lernstoff in Form von Kurzvideos vermittelt bekamen, schnitten im anschließenden Quiz schlechter ab als diejenigen, die mit Texten gelernt hatten. Darüber hinaus zeigte sich, dass bereits das dreiminütige Anschauen einer Sammlung von Kurzvideos zu einer Präferenz für einen oberflächlichen Lernansatz und somit für oberflächliches Lernen führte. Bei diesem Ansatz, der auf möglichst geringem Aufwand beruht, werden Inhalte auswendig gelernt, ohne sie wirklich durchdringen oder verstehen zu wollen. Forschungen zeigen: Wer so lernt, erzielt oft schlechtere Leistungen. Kritischer Umgang mit Kurzvideos Was bedeutet das nun konkret für Lernende, aber auch für Eltern, Lehrer und Dozenten? Kurzvideos sind zwar ein wirksames Mittel, um Aufmerksamkeit zu gewinnen – doch sie reichen offenbar nicht aus, um Wissen nachhaltig zu verankern. Aufgrund ihrer begrenzten Länge bieten sie meist nur einen sehr oberflächlichen Einstieg in ein Thema. Zudem beinhalten sie häufig eine Vielzahl gleichzeitig ablaufender Reize (wie schnelle Bildwechsel, gesprochene Sprache, Untertitel, Effekte und/oder Musik). Diese sind nicht alle für den eigentlichen Wissensgewinn notwendig, können aber zu kognitiver Überlastung führen und eine tiefergehende Verarbeitung erschweren. Diese Effekte lassen sich unter anderem durch die „Cognitive Theory of Multimedia Learning“ erklären: „Diese besagt, dass Lernen am effektivsten gelingt, wenn Informationen in einem ausgewogenen Verhältnis über unterschiedliche Kanäle – visuell und auditiv – präsentiert werden, ohne die begrenzten kognitiven Ressourcen zu überlasten.“ Im Unterricht sollte deshalb der kritische Umgang mit schnelllebigen Kurzvideos stärker thematisiert werden, empfiehlt Otto. „Lehrkräfte, die Kurzvideos in ihren Unterricht integrieren möchten, sollten bei der Auswahl oder Gestaltung auf Elemente verzichten, die eine zusätzliche kognitive Belastung verursachen wie etwa Untertitel oder ein zu hohes Tempo.“ Wer lernt, sollte auf das Schauen von unterhaltungsorientierten Kurzvideos verzichten, da dies den Wissenserwerb beim anschließenden Lernen spürbar mindern könnte. Und noch einen weiteren Tipp hat der Wissenschaftler parat: „Um das zwanghafte Konsumieren von Kurzvideos zu reduzieren, kann es helfen, Push-Nachrichten auszuschalten oder den Schwarz-Weiß-Modus einzustellen, damit die Videos ihren Reiz verlieren.“ Kein Ersatz für tiefgehende Lernprozesse Aus den Ergebnissen kann nicht geschlossen werden, dass Kurzvideos generell ungeeignet für die Wissensvermittlung sind. „Kurzvideos im Unterricht sind nicht per se problematisch – aber sie stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar“, stellt Otto klar. „Wenn es gelingt, ihre Stärken im Bereich der Aufmerksamkeitsbindung gezielt zu nutzen und zugleich ihre Grenzen zu reflektieren, könnten sie durchaus gewinnbringend in der Bildung eingesetzt werden. Dafür braucht es jedoch weitere Studien, um fundierte Aussagen über die Wirksamkeit des Kurzvideo-Formats für Lehr- und Lernprozesse treffen zu können.“
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