Zulassung für Lecanemab: Die frühzeitige Diagnose bleibt eine Herausforderung

Mit der Zulassung des Alzheimer-Antikörpers Lecanemab kommt Hausärzten eine wichtige Rolle für die frühe Diagnose kognitiver Einschränkungen zu. (Foto: © Robert Kneschke – stock.adobe.com)

Nach der Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Alzheimer-Therapie mahnt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Früherkennungsstrukturen zu verbessern und Bevölkerung wie auch Ärzteschaft stärker für Demenzerkrankungen zu sensibilisieren. Denn ein Einsatz des Medikamentes ist nur in einem sehr frühen Krankheitsstadium erlaubt.

Der Antikörper kann das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung um etwa 30 Prozent verlangsamen, sie aber nicht heilen oder zum Stillstand bringen. „Dennoch ist die Zulassung für alle, die für die Therapie infrage kommen, eine gute Nachricht“, erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Viele Patientinnen und Patienten in Europa haben darauf gewartet, denn aus Sicht der Betroffenen macht ein verlangsamtes Fortschreiten der Erkrankung einen großen Unterschied. In den USA ist das Medikament bereits seit zwei Jahren zugelassen, in UK seit fast einem Jahr.“

Doch für viele Patienten kommt die Therapie nicht infrage. Größte Hürde: Das Medikament ist ausschließlich zur Therapie bei milden kognitiven Einschränkungen in den frühen Alzheimer-Erkrankungsphasen zugelassen. „Das ist ein Erkrankungsstadium, das viele Betroffene noch nicht bemerken – oder auch nicht wahrhaben wollen – und in dem sie die Symptome mit Stress, Burnout oder anderen Lebensumständen erklären.“ Da es bisher keine kausale Behandlung gab, rieten viele medizinische Erstversorger dazu, erst einmal abzuwarten, ob sich die Symptome verschlechtern. Hier müsse nun ein Umdenken stattfinden.

Doch selbst, wenn zu einer Abklärung geraten wird, seien Facharzttermine oft nicht zeitnah zu bekommen. „Wir befürchten daher, dass viele Betroffene das Therapiefenster verpassen könnten“, erklärt Berlit. Die DGN appelliert daher, die Versorgungsstrukturen so zu erweitern, dass jeder „Verdachtsfall“ zeitnah abgeklärt werden kann. Dabei müsse die diagnostische Kaskade klug erfolgen.

Dazu zählt der DGN zufolge, die Hausärzte zu sensibilisieren, in deren Praxis eine erste Verdachtsdiagnose gestellt werden sollte, was auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung erfordere. „Die erste diagnostische Abklärung ist zeitintensiv, das ist nicht ‚nebenbei‘ zu leisten. Eine gute Selektion der Patientinnen und Patienten ist aber wichtig, um die knappen fachärztlichen Ressourcen optimal zu nutzen und die weiterführende Diagnostik mit Untersuchung des Nervenwassers, Bildgebung und genetischer Testung nicht zu überfordern.“

Auch seien Präventionskampagnen erforderlich, damit bestehende Tabus im Umgang mit Alzheimer überwunden und die Menschen für erste Symptome des kognitiven Abbaus sensibilisiert werden. „Wir müssen sicherstellen, dass die Betroffenen rechtzeitig die Diagnose erhalten, damit sie von der Therapie profitieren können“, erklärt Berlit.

Darüber hinaus ist die Therapie nur für Patienten mit maximal einer Kopie des ApoE4-Gens zugelassen. Bei Betroffenen mit zwei Kopien des Gens ist die Gefahr für Nebenwirkungen, die schlimmstenfalls symptomatisch und gefährlich werden könnten, zu hoch. „Es ist aus unserer Sicht richtig, dass diese Patientengruppe aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen wurde und dass die Zulassung vorsieht, Patientinnen und Patienten gewissenhaft auszuwählen und auch im Verlauf weiter zu überwachen. Doch auch das erfordert fachärztliche Kapazitäten. Allein mit der Zulassung ist es nicht getan“, erklärte Berlit.

Weiter führt er aus, dass sich die Früherkennung wie in vielen anderen medizinischen Bereichen langfristig auch auszahle. Berechnungen des DZNE1 beziffern die Kosten für die Versorgung von Demenz-Kranken in Deutschland für das Jahr 2020 auf rund 83 Milliarden Euro – das entspräche mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach Prognosen könnten diese Kosten im Jahr 2040 sogar auf rund 141 Milliarden Euro ansteigen. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass die meisten Mittel in die Versorgung der schwer Betroffenen fließen, es würde also durchaus auch gesundheitsökonomisch etwas bringen, wenn bei möglichst vielen Betroffenen die schwere Erkrankungsphase durch Medikamente hinausgezögert werden könnte. „Wir hoffen daher, dass uns die Politik beim Ausbau der Versorgungspfade unterstützt.“

Ein weiteres Nadelöhr der Versorgung wird sich der DGN zufolge zumindest perspektivisch weiten. Noch muss Lecanemab unter fachärztlicher Aufsicht infundiert werden, was Räumlichkeiten, Infusionsliegen und Personal erfordert. In den USA wurde nun die Zulassung für die subkutane Darreichungsform von Lecanemab beantragt, was zumindest die Applikation deutlich vereinfache.

„Die Strukturen für die Patientenselektion, die Diagnostik, Beratung und regelmäßige Therapieüberwachung, wie sie die DGN vorschlägt, werden daher weiter erforderlich bleiben und müssen darüber hinaus so ausgelegt sein, dass sie dem demografischen Wandel Rechnung tragen können“, mahnt der DGN-Generalsekretär.