Zurück zum Sport nach Gelenkverletzung und OP: Bandagen und Orthesen am Knie- und Sprunggelenk – wann helfen sie wirklich?27. Juni 2019 © pavel1964-AdobeStock Die Meinungen zu Bandagen und Orthesen nach Angaben der Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA) weit auseinander: Während die einen auf das Hilfsmittel schwörten und ihnen Stütze und Stabilität zuschrieben, ließen die anderen sie ungenutzt im Schrank verstauben und setzten lieber auf die eigene Muskelkraft. Ob es sich darbei um ein Irrtum oder eine richtige Einschätzung handele sei nun die Frage. Daher nahmen folgende Experten der AGA zu gängigen Annahmen zum Tragen von Bandagen und Orthesen Stellung: Dr. Christina Valle (Fachärztin für Physikalische Medizin und Rehabilitation), Vorsitz AGA-Komitee Prävention, konservative Therapie und Rehabilitation; Arthur Praetorius, M.Sc. (Sportwissenschaftler), Mitglied AGA-Komitee Prävention, konservative Therapie und Rehabilitation; PD Dr. Philipp Minzlaff (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie) Mitglied AGA-Komitee Prävention, konservative Therapie und Rehabilitation. “Ich trage beim Sport immer Kniebandagen, um meine Knie vor Verletzungen zu schützen.” Valle: “Eine Kniebandage kann durch ihre Stützfunktion das Führen des Kniegelenkes erleichtern, ersetzt aber kein gezieltes Muskel- und Koordinationstraining. Wer sich beim Sport im Knie instabil fühlt, sollte das vor dem Griff zur Bandage stets ärztlich abklären. Bei bestimmten Sportarten werden aber durchaus spezielle Bandagen zur Verletzungsprävention eingesetzt.” “Mit meiner Knieorthese traue ich mir nach meiner frischen Knie-OP vielmehr Belastung zu als ohne.” Valle: “Eine Orthese kann nach einer Operation am Kniegelenk – abhängig von Erkrankung, OP-Verfahren und patientenbezogenen Faktoren – dem Patienten subjektiv mehr Sicherheit in seiner Bewegung vermitteln und unnötige Ängste nehmen. Trotzdem ist die Versorgung mit einer Orthese alleine kein Freibrief für vermehrte Belastung oder sportliche Aktivitäten. Dies sollte immer mit dem behandelnden Arzt und Physiotherapeuten abgesprochen werden.” “Die Kniebandage schwächt meine Muskulatur. Lieber versuche ich auch bei Knieschmerzen ohne die Bandage joggen zu gehen.” Praetorius: “Das dauerhafte Tragen einer Bandage kann die Kraft der angrenzenden Muskulatur tatsächlich schwächen, da weniger Kraft für die Kniestreckung und -beugung nötig ist. Bei leichten Defiziten in den Bereichen Kraft, Beweglichkeit und neuromuskulärer Kontrolle unterstützt die Kniebandage jedoch dabei, das Knie zu führen. Druck und Kompression tragen dazu bei, den sensorischen Input aus dem Kniegelenk an das zentrale Nervensystem zu erhöhen und somit die Bewegungsleistung zu verbessern. Bei belastungsabhängigen Problemen mit der Kniescheibe kann die Kniebandage helfen schmerzfrei zu laufen. Grundsätzlich sollten Schmerzen beim Laufen aber immer als Warnsignal verstanden werden und der Körper durch ein geeignetes Training auf die Belastung vorbereitet werden. “Mit Knieorthese kann ich schon drei Monate nach Kreuzband-OP wieder Fußball spielen.” Valle: “Nach einer Kreuzbandoperation benötigt das neue Band teilweise über zwölf Monate, bis es gut im Kniegelenk eingewachsen ist. Hier folgt die Heilung bestimmten Heilungsstufen, die dringend bei der Rehabilitation und der Rückkehr in den Sport berücksichtigt werden müssen. Nach drei Monaten ist eine Kreuzbandplastik in der Regel noch nicht so sicher verheilt, dass komplexe Mannschaftssportarten wie Fußball ohne hohes neues Rupturrisiko (Riss) ausgeübt werden können. Auch eine Orthese kann dieses Risiko nach drei Monaten kaum reduzieren, sodass Fußball nach so kurzer Zeit weder mit noch ohne Orthese empfohlen werden kann. Zusätzlich sollte vor Rückkehr in den Sport stets eine sportspezifische Testung vom Arzt oder Physiotherapeuten durchgeführt werden.” “Meine Kniebandage schützt mich beim Sport vor einem erneuten Kreuzbandriss.” Valle: “Viele Ärzte verordnen nach der Kreuzbandoperation eine stabilisierende Orthese. Oftmals einfach um den Patienten an seine noch nicht vorhandene Heilung zu erinnern. Die Kreuzbänder benötigen deutlich mehr Zeit zur Heilung als allgemein vermutet oder subjektiv empfunden wird. Daher ist es nach einer Kreuzbandverletzung und ggf. -operation wichtig, vorsichtig unter physiotherapeutischer und ärztlicher Anleitung die Kraft und Stabilität an dem betroffenen Bein wieder aufzubauen. Gezieltes Training der einzelnen kniestabilisierenden Strukturen ist der beste Schutz vor einer neuen Kreuzbandverletzung. Hierzu gibt es Präventionsprogramme, die gezielt helfen können. Vor der Rückkehr in den Sport sollte stets eine sportspezifische Testung vom Arzt oder Physiotherapeuten durchgeführt werden. Eine Kniebandage kann dabei als Erinnerungsfaktor unterstützend wirken, ersetzt jedoch kein gezieltes Präventionstraining. Im Hochleistungssport werden Orthesen am Kniegelenk auch zur Vermeidung von Verletzungen eingesetzt. Sie sind jedoch meist anders aufgebaut als die herkömmlich im Handel erhältlichen Orthesen.” “Mein Meniskus ist doch genäht und die OP war schon vor einem halben Jahr. Wozu noch eine Schiene tragen?” Minzlaff: “Die Meniskusheilung dauert lange. Auch Monate nach der OP können Veränderungen im MRT gesehen werden. Eine Schiene kann zwar die Heilung nicht direkt beeinflussen, allerdings das Gelenk von außen schützen und führen und damit möglicherweise vor erneuten Rissen schützen. Wie lange eine Orthese nach der OP getragen werden sollte, ist bislang nicht geklärt. Das wichtigste ist in jedem Fall, dass Gelenke mit genähten Menisken stabil sind, etwaige Bandinstabilitäten (z. B. Riss des vorderen Kreuzbandes) mitbehandelt werden und die gelenkstabilisierende Muskulatur gekräftigt wird. Um die Naht zu schützen und das Operationsergebnis sicherzustellen, kann es sinnvoll sein, bei kniebelastenden Tätigkeiten, z. B. Tennisspiel oder Gartenarbeit, auch nach 6 Monaten noch eine Orthese zu nutzen. Darüber hinaus sollten Kraft, Beweglichkeit und neuromuskuläre Kontrolle durch Fachleute (Sportorthopäden, Sportwissenschaftler) nach nachvollziehbaren Kriterien getestet werden.” “Nach meiner Außenbandverletzung die Sprunggelenksorthese zu tragen erspart mir die OP.” Praetorius: “Ob eine Verletzung des Außenbandapparates am Sprunggelenk operiert werden muss, hängt vom Schweregrad ab. Wenn nicht operiert werden muss, kann eine Sprunggelenksorthese im ersten Schritt helfen das Gelenk zu stabilisieren. Im zweiten Schritt ist ein geeignetes Kraft- und Körperwahrnehmungstraining (Propriozeptionstraining) enorm wichtig. Wer das konsequent umsetzt, kann die volle Funktion und Leistung des Gelenkes auch ohne Operation wieder herstellen. Allerdings kann es auch noch nach längerer Zeit zu chronischen Sprunggelenksproblemen kommen, die operativ versorgt werden müssen, um das Gelenk zu stabilisieren.” “Ich will möglichst schnell meine Oberschenkelmuskulatur wieder aufbauen und lass die Orthese lieber weg.” Valle: “Es muss immer unterschieden werden, warum und nach welchem Eingriff eine Orthese am Kniegelenk verordnet wurde. Das betrifft auch die tägliche Tragedauer, Einschränkung der Kniegelenkbeweglichkeit und Art der Orthese. Ohne Rücksprache mit dem Operateur und behandelnden Therapeuten sollte nicht mit Krafttraining am Oberschenkel begonnen werden. Das Tragen einer Orthese bedeutet in der Regel keine komplette Ruhigstellung oder Entlastung, so dass die Oberschenkelmuskulatur auch in der Orthese angesteuert werden kann.” “Beim Skifahren stehe ich mit meinem kaputten Meniskus mit Bandage sicherer auf den Skiern.” Minzlaff: “Gerade degenerative Meniskusrisse sind häufig von arthrotischen Gelenkveränderungen begleitet. Ergussbildung unter Belastung kann die Folge sein. Dadurch treten Schmerzen auf und die sportliche Belastung ist eingeschränkt. Eine Kniegelenkbandage hat einen komprimierenden Effekt auf das Gelenk und kann so einer möglichen Ergussbildung z. B. beim Skifahren vorbeugen. Einen positiven Effekt auf den Meniskusriss hat eine Bandage allerdings nicht. Lediglich Begleitsymptome ganz bestimmter Rissformen können behandelt werden. Typische Meniskuszeichen wie Bewegungseinschränkung, Gelenkblockaden oder stechende bewegungsabhängige Schmerzen bleiben von einer Bandage allerdings unberührt.” Über die AGA: Die AGA ist die größte europäische Fachgesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie mit mehr als 5000 Mitgliedern. Die Ziele der AGA sind unter anderem Nachwuchsförderung, Weiterbildung, Standespolitik im Zusammenhang mit der Arthroskopie und Gelenkchirurgie, Sicherung und Kontrolle der Qualität und die Unterstützung und Finanzierung von wissenschaftlichen und klinischen Projekten. Die AGA hat ihren Sitz in der Schweiz.
Mehr erfahren zu: "Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen" Zwei große Schritte zum aufrechten Gang des Menschen Eine neue internationale Studie konnte nun die Schritte entschlüsseln, die das menschliche Becken im Laufe von Millionen von Jahren so veränderten, dass zweibeiniges Gehen möglich wurde.
Mehr erfahren zu: "Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt" Genetische Schwachstelle bei Synovialsarkomen erkannt Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines kleinen Moleküls als Blocker zur Hemmung des SUMO2-Proteins eine erfolgreiche Strategie gegen Synovialsarkome sein könnte.
Mehr erfahren zu: "KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen" KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen Was denken Patienten über Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin? Eine internationale Studie liefert eine Antwort. Zentrales Ergebnis: Je schlechter der eigene Gesundheitszustand, desto eher wird der Einsatz von KI […]