Zwischen Selbstverfügung und Solidarität: Ethikrat debattierte Widerspruchsregelung bei der Organspende

Derzeit bekunden postmortale Organspender ihre Entscheidung auf dem Organspenderausweis. Bei einer Widerspruchslösung wäre jeder Organspender, es sei denn, er widerspricht. Foto: Wellnhofer Designs – Fotolia.com

Im Rahmen einer öffentlichen Abendveranstaltung, an der auch etliche Bundestagsabgeordnete teilnahmen, diskutierte der Deutsche Ethikrat am 12.12.2018 Pro und Contra der Widerspruchregelung bei der Organspende.

Am 28.11.2018 fand im Deutschen Bundestag eine Orientierungsdebatte darüber statt, ob zukünftig anstelle der Entscheidungsregelung eine Widerspruchsregelung etabliert werden soll, um die desolate Lage der Organspende zu verbessern. Sinkende Spenderzahlen und lange Wartelisten lassen den Ruf nach grundsätzlich anderen Verfahrensweisen laut werden. Doch welche ethischen Herausforderungen ergeben sich aus den möglichen Neuregelungen für Patientinnen und Patienten, Angehörige, medizinisches Personal und zukünftige Spenderinnen und Spender? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussion des Deutschen Ethikrates.

In seinem Grußwort betonte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, die Wichtigkeit der aktuellen Debatte, erinnerte aber auch daran, dass die meisten Kontrahenten ein gemeinsames Ziel teilen: die Zahl der Organspenden zu erhöhen.

Widerspruchsmodell: Rechtsethisch vernünftig oder unzulässiger Eingriff?

Im Anschluss daran erörterten die Ratsmitglieder Reinhard Merkel und Wolfram Höfling die unterschiedliche rechtliche Auslegung des Widerspruchsmodells.

Für Merkel stellt die Organspende einen individuellen Akt postmortaler Solidarität mit einem unbekannten anderen dar. Dazu könne niemand von Gesetzes wegen genötigt werden. Aber die Nötigung zu einer Erklärung zu Lebzeiten sei in einer Rechtsordnung, die deutlich gewichtigere zwangsrechtliche Gebote zur Solidarität kennt, zur Rettung von Menschenleben ohne Weiteres zulässig und rechtsethisch vernünftig. 

Dagegen argumentierte Höfling, dass die geläufige Rechtfertigung eines Widerspruchsmodells im Recht der Organgewinnung verkenne, dass jede Entscheidung zur Organspende eine existenzielle Entscheidung über das eigene Sterben ist. Die Widerspruchsregelung beschränke in unzulässiger Weise das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Höfling schlägt vor, anstatt einer gesetzlichen Verordnung das deutsche Transplantationssystem als Ganzes einer an rechtsstaatlichen Maßstäben orientierten Neuordnung zu unterziehen.

Ethisches Gebot oder Verkennung der wahren Probleme?

Im zweiten Teil der Debatte diskutierten die Ratsmitglieder Wolfram Henn und Claudia Wiesemann medizinethische Fragen und die praktische Umsetzung der Widerspruchsregelung.

Für Henn stellt die Widerspruchsregelung mit Vetorecht der Angehörigen im Zeitalter mündiger Bürgerinnen und Bürger keinen Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung dar. In der Güterabwägung mit den Lebenschancen schwer kranker Menschen sei es vielmehr ethisch geboten, einen Verzicht auf eine Ablehnung als Akzeptanz zu bewerten. Zugleich betonte Henn, dass es dafür ein Umfeld inhaltlich ausgewogener Aufklärung und niederschwellig zugänglicher und zugleich verbindlicher Informationsmöglichkeiten bedarf.

Claudia Wiesemann entgegnete, dass es kein Spendeproblem gebe, sondern ein Melde- und Organisationsproblem der Krankenhäuser. Die geplante Einführung der Widerspruchsregelung verorte das Problem falsch und trage dazu bei, die ethischen Binnenkonflikte in den Entnahmekrankenhäusern zu verschleiern. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende, die sich an der Identifikation potenzieller Spender und der Organentnahme beteiligen, seien mit moralischen Verpflichtungen konfrontiert, die einander widersprechen. Diese organisationsethischen Konflikte müssten anerkannt und gelöst werden.

Gemeinsam nach Kompromissen suchen

In der abschließenden, von Ratsmitglied Alena Buyx moderierten und auch für das Auditorium geöffneten Podiumsdiskussion herrschte trotz der unterschiedlichen Positionen zur Einführung der Widerspruchsregelung Einigkeit darüber, dass die strukturellen Probleme der Organspende dringend gelöst werden müssen. Dazu bedürfe es einer hinreichenden Aufklärung und aktiven Einbindung der betroffenen Personen. In seinem Schlusswort appellierte Dabrock an den Deutschen Bundestag, angesichts des gemeinsamen Ziels nach tragfähigen Kompromissen zu suchen und in der bereits laufenden Parlamentsdebatte konkrete politische Lösungen zu finden.

(Deutscher Ethikrat/ms)