ATR-Protein reguliert neuronale Aktivität8. Juli 2021 ATR befindet sich im präsynaptischen Kompartiment und steuert die neuronale Aktivität. Sein Verlust führt zu einer erhöhten Freisetzung von Neurotransmittern und zu gesteigerter Erregbarkeit, was zu epileptischen Anfällen führen kann. (Quelle: FLI/Kerstin Wagner & Alessandro Ori; erstellt mit BioRender.com) Das ATR-Protein spielt als Regulator der DNA-Schadensreaktion (DDR) eine wichtige Rolle bei der Reaktion auf Replikationsstress. Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) und Universitätsklinikums Jena zeigen nun, dass der ATR-Verlust in Neuronen die neuronale Aktivität verstärkt und Epilepsie-Anfälligkeit erhöht. Das ATR-Protein (Ataxia Telangiectasia and Rad3 related) ist ein Hauptregulator, der bei der DNA-Synthese als Reaktion auf Replikationsstress die DNA-Reparatur steuert und bei Bedarf den Zellzyklus stoppt. Das bedeutet, dass Zellen oder Gewebe mit einer hohen Replikationskapazität den Verlust von ATR nicht tolerieren können. Der vollständige Verlust von ATR ist daher für die Zellen und Organismen tödlich. Hypomorphe Mutationen in ATR (teilweiser Verlust der Genfunktion) verursachen dagegen beim Menschen das Seckel-Syndrom, eine Instabilitätsstörung der Chromosomen. Patienten, die an diesem Syndrom leiden, zeigen Zwergenwuchs, Entwicklungsverzögerung, Mikrozephalie und geistige Behinderung. Oft sind diese Symptome auch mit einem senilen, progeroiden Erscheinungsbild mit vorzeitiger Alterungssymptomatik verbunden, was auf eine bisher noch unbekannte Rolle von ATR hindeutet. Bis heute ist jedoch nicht bekannt, ob und wie Mutationen in ATR die neuronale Funktionalität von postmitotischen Neuronen regulieren und neurologische Symptome wie Mikrozephalie, Lerndefizite und geistige Behinderung hervorrufen können. Welche Auswirkungen der ATR-Verlust auf die Gehirnentwicklung und die Funktionalität von Neuronen hat, untersuchten Forschende um Prof. Zhao-Qi Wang, Leiter der Arbeitsgruppe “Genomische Stabilität” am Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena, in Zusammenarbeit mit Prof. Christian Geis, Sektion Neuroimmunologie am Universitätsklinikum Jena, mithilfe von gentechnisch veränderten Mausmodellen. „Fehlte ATR in den embryonalen neuronalen Vorläufer- oder anderen proliferierenden Zellen, zeigten die Tiere schwere neurologische Entwicklungsdefekte und starben schon kurz nach der Geburt,“ erläutert Dr. Murat Kirtay, der die Analysen im Rahmen seiner Doktorarbeit durchführte. Im Gegensatz dazu hatten die Mausstämme, bei denen ATR in den postmitotischen Neuronen fehlte, eine normale Lebenserwartung. „Unsere Studie belegt, dass, wenn ATR selektiv aus sich nicht mehr teilenden Zellen entfernt wird, die Lebensfähigkeit der Neuronen nicht beeinträchtigt ist und für die Bildung und Struktur des Mausgehirns entbehrlich ist”, erklärt Kirtay weiter. Bleiben Zellen also vom Replikationsstress verschont, ist eine Aufhebung der ATR-DDR-Achse durch Verlust von ATR den Forschern zufolge weder für die postmitotischen Neuronen toxisch noch entscheidend für die Gehirnentwicklung. Neue Rolle von ATR in postmitotischen Neuronen Der ATR-Verlust führt jedoch zu Defiziten der Kleinhirnfunktion, denn trotz scheinbar normaler Struktur und Morphologie des Kleinhirns zeigten Mäuse mit ATR-Mutation in den Purkinje-Zellen des Kleinhirns auffällige Bewegungsstörungen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe wiesen sie Defizite in der motorischen Koordination auf, was besonders bei alten Mäusen auffällig war. Darüber hinaus führte mit zunehmendem Alter der Verlust von ATR in exzitatorischen Neuronen im Großhirn zu sporadischen, nicht tödlichen epileptischen Anfällen. „Da Epilepsie durch Änderungen der synaptischen Übertragung und neuronalen Aktivität hervorgerufen werden kann, deutet das Auftreten epileptischer Anfälle stark darauf hin, dass bei den mutierten Mäusen altersabhängige Veränderungen der neuronalen Erregbarkeit resultieren, die Nervenzellen anfälliger für Stress oder Umweltreize machen“, deutet Prof. Zhao-Qi Wang die vorliegenden Ergebnisse. Der ATR-Verlust in den Neuronen führt zu einer Übererregbarkeit und senkt die Schwelle für epileptische Anfälle. ATR reguliert die intrinsische neuronale Aktivität „Trotz der normalen Morphologie des Kleinhirns und des Großhirns waren die Neurone ohne ATR in ihrer synaptischen Funktion beeinträchtigt. Elektrophysiologische Analysen der Mausmodelle zeigten eine erhöhte intrinsische neuronale Erregbarkeit und Feuerrate der Neurone sowie eine gesteigerte Funktion der Präsynapsen“, erläutert Geis. Durch den ATR-Verlust werden in den Neuronen weder DNA-Schäden induziert noch die DDR-Signalwege aktiviert, d.h. die beobachteten synaptischen Defekte sind hiervon unabhängig. Die Studie gibt somit Einblicke in grundlegende Mechanismen, die den neurologischen Symptomen des Seckel-Syndroms zugrunde liegen können. „Unsere Studie zeigt, dass der Verlust von ATR in Neuronen mit der Gehirnentwicklung und dem Leben vereinbar ist, aber zu einer hohen Anfälligkeit für epileptische Anfälle führt“, fasst Wang die Ergebnisse zusammen. Diese neurologischen Defekte manifestieren sich vor allem während des Alterungsprozesses. „Darüber hinaus konnten wir erstmals aufzeigen, dass ATR eine bisher unbekannte, aber wichtige Rolle bei der neuronalen und synaptischen Funktion und Erregbarkeit besitzt, was über die bereits bekannten DDR-Signalwege weit hinausgeht. Diese überraschend neue Entdeckung ist daher wichtig für Kliniker und Wissenschaftler auf dem Gebiet der DNA-Reparatur, der Neurobiologie sowie der neuronalen Homöostase.“ Originalpublikation: Kirtay M et al. ATR regulates neuronal activity by modulating presynaptic firing. Nat Commun 2021;12:4067.
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