Deutsche fühlen sich über Qualität im Gesundheitswesen schlecht informiert23. März 2022 Foto: nndanko – stock.adobe.com Der Bertelsmannstiftung zufolge fühlen sich nach 15 Jahren Qualitätsberichterstattung im deutschen Gesundheitswesen noch immer zwei Drittel der Menschen schlecht über die Leistungen von Arztpraxen, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen informiert. Die im deutschen Gesundheitswesen seit 15 Jahren betriebene, zum Teil recht aufwendige Qualitätsberichterstattung scheint ihr Ziel weitgehend zu verfehlen. Laut einer aktuellen Befragung von Kantar Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung fühlen sich 64 Prozent bei der Suche nach einer Arztpraxis, einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung nicht ausreichend informiert. Das Gefühl der Unsicherheit fällt umso größer aus, je geringer der Bildungsabschluss ist. Zugleich geben 87 Prozent der Befragten an, dass Einrichtungen der Gesundheitsversorgung gesetzlich dazu verpflichtet werden sollten, ihre Qualitätsdaten offenzulegen. „Es klafft eine große Lücke zwischen dem Informationsbedarf der Bevölkerung und dem, was das Gesundheitssystem derzeit aus sich heraus an Transparenz bietet“, sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. „Die offizielle Qualitätsberichterstattung bleibt deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück.“ Dieses Fazit steht am Ende einer Bilanz der Qualitätstransparenz im deutschen Gesundheitswesen, die die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit ihrem Projekt „Weisse Liste“ vorgelegt hat. „Das Resümee ist ernüchternd. Die Ergebnisse der Qualitätssicherung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen scheinen die Menschen mit den bisherigen Mitteln und Wegen kaum zu erreichen. Über die Qualität von Arztpraxen liegen praktisch keine belastbaren Daten vor“, erklärt Uwe Schwenk, Direktor des Gesundheitsprogramms der Bertelsmann Stiftung und Geschäftsführer der Weisse Liste gGmbH. „Dabei wäre Vieles, was in anderen Ländern schon üblich ist, auch in Deutschland ohne großen Zusatzaufwand möglich.“ Routinedaten und Patientenerfahrungen nutzen Schon heute ließen sich Abrechnungs- und andere Routinedaten heranziehen, um über medizinische Leistungen und deren Qualität zu informieren. So könnten etwa diejenigen, die eine Knochendichtemessung benötigen, gezielt nach Arztpraxen suchen, die diese Leistung auch anbieten. Dennoch werden solche Möglichkeiten in der Bundesrepublik, anders als in anderen Ländern, bisher nicht konsequent genutzt. „Die Datenbasis in Deutschland bietet an sich viel Potenzial. Wir könnten für die Qualitätsberichterstattung schon heute sehr viel mehr daraus machen, ohne den Dokumentationsaufwand für die Einrichtungen zu erhöhen“, konstatiert Etgeton. „Dazu ist es notwendig, vorhandene Datenbestände allgemein zugänglich zu machen. Sie sind nicht das Eigentum der Ärzteschaft, der Krankenkassen oder des Staates, sondern ein öffentliches Gut.“ Eine weitere Quelle für Informationen über das Versorgungsgeschehen sind die Patientinnen und Patienten selbst. 82 Prozent der Befragten halten die Erfahrungen, die andere mit einer Arztpraxis, einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung gemacht haben, für wichtig, um deren Qualität zu beurteilen. Obwohl die Gesundheitsministerkonferenz schon 2018 eine systematische Erhebung von Patientenerfahrungen in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens gefordert hat, ist davon bislang so gut wie nichts umgesetzt worden. Auch beim Einsatz von so genannten „Patient Reported Outcome Measures“ (PROM) bleibt Deutschland hinter Ländern wie England und Schweden zurück. Bei PROM-Verfahren berichten Patientinnen und Patienten anhand medizinischer Kriterien selbst, wie eine bestimmte Behandlung gewirkt hat. Informationen in den Versorgungsprozess integrieren Über den Umfang und die Beschaffenheit der Qualitätsdaten hinaus geht es auch um deren zielgenaue und situationsgerechte Nutzung im Versorgungsalltag. Zentral ist dafür der Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten in der jeweiligen Behandlungssituation. 71 Prozent der Befragten erwarten von ihrer Hausarztpraxis Orientierungshilfe, etwa bei der Suche nach einem Krankenhaus. Hierbei ließen sich für die Beurteilung der Versorgungsqualität die Fallzahlen heranziehen, die abbilden, wie oft eine Klinik bestimmte Operationen durchführt. Ob und inwieweit Ärztinnen und Ärzte allerdings die Daten der offiziellen Qualitätsberichterstattung zur Beratung nutzen, ist unklar. Digitale Hilfsmittel, wie die Praxissoftware oder die elektronische Patientenakte, könnten einen schnellen Zugriff auf relevante Informationen in der Sprechstunde ermöglichen. So wünschen sich 67 Prozent der Befragten, dass eine elektronische Patientenakte neben der Dokumentation von Befunden und Therapien auch Qualitätsinformationen zu Gesundheitsanbietern vorhält. Neben der Hausarztpraxis erwarten immerhin 62 Prozent der Befragten Orientierungshilfe in Sachen Qualität auch von Krankenkassen oder einer unabhängigen Institution, wie der Stiftung Warentest. „Es spricht viel dafür, die Akteure, die an einer sachgerechten und nutzerorientierten Qualitätsinformation interessiert sind, mit ihren Aktivitäten und Angeboten in einer übergreifenden, digital gestützten Plattform zusammenzuführen“, sagt Uwe Schwenk. Eine umfassende Qualitätsberichterstattung, die über die nötigen Daten verfügt, könnte ihr Potenzial am besten im Kontext eines digitalen Informations- und Leitsystems für Patientinnen und Patienten entfalten, das die seriösen Transparenzangebote bündelt und sie als festen Bestandteil in Behandlungsabläufe integriert.Zusatzinformationen: Seit 2007 bereitet die Weisse Liste für Patientinnen und Patienten Qualitätsinformationen im Internet auf (www.weisse-liste.de). Träger des Projekts ist die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit den maßgeblichen Patienten- und Verbraucherverbänden. Nach 15 Jahren Erfahrung im Bereich der Qualitätsberichterstattung haben Bertelsmann Stiftung und Weisse Liste eine Bilanz vorgelegt, die den Stand der Qualitätstransparenz im deutschen Gesundheitswesen kritisch resümiert und Vorschläge für einen Neustart skizziert. Dieses Bilanzpapier wurde vor seiner Veröffentlichung mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft sowie Patienten- und Verbraucherverbänden diskutiert. Die Befragung wurde von Kantar Emnid Ende Januar 2022 unter 1.027 Personen durchgeführt und ist repräsentativ.
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