Diabetes bei Kindern nach COVID-19-Infektion: DDG zweifelt an US-Studie

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Eine Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) weist auf einen Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und einer anschließenden Diabeteserkrankung bei Kindern hin. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bemängelt allerdings methodische Schwächen der Analyse, die die Studienergebnisse ihrer Ansicht nach relativieren.

Löst das SARS-CoV-2-Virus bei Kindern und Jugendlichen einen Diabetes mellitus aus? Dieser Vermutung ging unlängst eine Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) nach, die derzeit breit diskutiert wird.1 Darin scheinen die Autorinnen und Autoren einen Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und einer anschließenden Diabeteserkrankung zu erkennen.

Um das Risiko einer neuen Diabetes-Diagnose (Typ 1, Typ 2 oder anderer Diabetes) mehr als 30 Tage nach einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 zu bewerten, schätzte das CDC die Diabetes-Inzidenz bei Personen im Alter von unter 18 Jahren mit diagnostiziertem COVID-19 anhand von Versicherungsdaten vom 1. März 2020 bis zum 26. Februar 2021 und verglich sie mit der Inzidenz bei nach Alter und Geschlecht übereinstimmenden Patienten, die entweder während der Pandemie keine COVID-19-Diagnose erhalten hatten oder vor der Pandemie eine andere akute Atemwegsinfektion (ARI) gehabt hatten. Diese Analysen wurden mit einer zweiten Datenquelle (HealthVerity; 1. März 2020 bis 28. Juni 2021) repliziert, die Patienten einschloss, die eine Behandlung erhalten hatten, die möglicherweise mit COVID-19 in Verbindung stand.

Dabei zeigte sich, dass die Diabetes-Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen mit COVID-19 signifikant höher war als bei denjenigen ohne COVID-19 (IQVIA: Hazard Ratio [HR] 2,66; 95%-KI 1,98–3,56; HealthVerity: HR 1,31; 95%-KI 1,20–1,44) und auch höher war als bei Personen mit anderen ARI im präpandemischen Zeitraum (IQVIA: HR 2,16; 95%-KI 1,64–2,86).

Studienergebnis ist nicht eindeutig

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) weist auf gravierende methodische Schwächen der Studie hin, die die Studienergebnisse relativieren. Es seien weitere Studien über einen längeren Zeitraum mit konsistenten und größeren Datenmengen erforderlich, um Klarheit zu schaffen, erklärt die Fachgesellschaft. Ein seit Jahren von der DDG gefordertes Nationales Diabetesregister sowie eine elektronische Diabetesakte könnten auch hierzu bessere Erkenntnisse liefern.

Die Experten der DDG verweisen auf die inkonsistenten Ergebnisse der US-Studie, die mit Daten einer Versicherungsgesellschaft ein um 166 Prozent erhöhtes Diabetesrisiko, mit einer anderen Datenbank ein um 31 Prozent erhöhtes Risiko ergab. „Das ist ein erheblicher Unterschied, der kein eindeutiges Studienergebnis liefert“, konstatiert DDG-Präsident Prof. Andreas Neu. „Darüber hinaus gibt es weitere methodische Mängel, die die Validität der Untersuchung in Frage stellen.“

Unterschiedliche Diabetes-Typen werden nicht berücksichtigt

So unterscheidet die Arbeit Neu zufolge nicht zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2 – zwei wesentliche und sehr unterschiedliche Ausprägungen der Stoffwechselerkrankung. „Ohne diese Trennung ist eine Gesamteinschätzung kaum möglich: Wie viele der Kinder entwickeln einen Typ-1-, wie viele einen Typ-2-Diabetes?“, fragt Neu, Kommissarischer Ärztlicher Direktor der Abteilung für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Tübingen. Ein detaillierter Blick auf die Formen des Diabetes im Jugendalter ist besonders deshalb von Bedeutung, weil in den USA der Typ-2-Diabetes in dieser Altersgruppe eine wesentlich größere Rolle spielt als in Europa. Dies hängt unter anderem mit den Ernährungsgewohnheiten, aber auch mit den genetischen Merkmalen der Bevölkerung zusammen. Daten aus den USA lassen sich der DDG zufolge schon aus diesen Gründen nicht einfach auf hiesige Verhältnisse übertragen.

Dass SARS-CoV-2 einen Diabetes Typ 1 auslösen könne, sei grundsätzlich denkbar, lenkt Neu ein. Virusinfekte gelten seit langem als Risikofaktor für einen Diabetes Typ 1. Besteht bereits eine Veranlagung für diese Stoffwechselerkrankung, könne ein Infekt diese triggern und auslösen. „Dass dies jedoch innerhalb von 30 Tagen stattfindet, wie die Studie zeigen will, ist sehr unwahrscheinlich. Wir sprechen hier von einer mittel- oder langfristigen Entstehung dieses Krankheitsbildes“, ergänzt DDG Mediensprecher Prof. Baptist Gallwitz.

Risikofaktoren fließen nicht ein

Die Untersuchung vernachlässige zudem die ethnische Zugehörigkeit, das Körpergewicht und einen möglicherweise bestehenden Prädiabetes. „Das sind wesentliche Risikofaktoren, die bei einer Erhebung nicht fehlen dürfen“, kritisiert Gallwitz. Und schließlich seien die absoluten Fallzahlen in der Studie zu gering, um sich ein Gesamtbild der Situation zu machen. „Dass acht von 10.000 Kindern nach einer COVID-19-Infektion und drei von 10.000 Kindern ohne vorherige Infektion einen Diabetes bekommen, ist kein großer Unterschied“, kritisiert der stellvertretende Direktor der medizinischen Klinik IV am Universitätsklinikum Tübingen. Diese Datenlage sei aus Sicht der DDG kein Grund, Handlungskonsequenzen daraus abzuleiten oder sich gar über die derzeitige Situation hinaus Sorgen zu machen.

Eine aktuelle europäische Studie im Journal „Diabetes Care“ geht der Frage nach einem Zusammenhang zwischen Corona-Infektion und Diabeteserkrankung ebenfalls nach.2 Bereits zu Beginn der Pandemie untersuchten die Autoren auf Grundlage des DPV-Registers, ob Kinder und Jugendliche ein erhöhtes Risiko für einen Diabetes Typ 1 haben. Während sie zu dieser Zeit keinen signifikanten Unterschied feststellen konnten, sehen sie jetzt nach zwei Jahren Pandemie eine deutliche Zunahme der Inzidenz. „Ein kausaler Zusammenhang lässt sich daraus nicht ableiten“, gibt Gallwitz zu Bedenken. Auch die Autoren selbst erachten die Zunahme eher als einen indirekten Effekt. „Es müssen noch weitere Langzeitstudien mit verlässlichen Daten durchgeführt werden.“ Das DPV-Register biete dafür eine solide und umfangreiche Basis. Auch ein von der DDG seit Jahren gefordertes Nationales Diabetesregister sowie die elektronische Diabetes Akte (eDA) würde künftige Auswertungen deutlich verbessern und erleichtern sowie die Daten aus dem DPV-Register sinnvoll ergänzen.